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Was kommt nach dem Kapitalismus?

Die „Gas-Trilogie“ am Dresdner Staatsschauspiel zielt bildgewaltig auf die Fragen der Zeit.

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Sarah Schmidt, Yassin Trabelsi, Thomas Eisen und Eva Hüster in der „Gas-Trilogie“, die jetzt am Dresdner Schauspielhaus Premiere hatte.
Sarah Schmidt, Yassin Trabelsi, Thomas Eisen und Eva Hüster in der „Gas-Trilogie“, die jetzt am Dresdner Schauspielhaus Premiere hatte. © Sebastian Hoppe

Von Sebastian Thiele

Söhne pfeifen gern auf Väter. Nicht jeder Sohn will die funktionierende Firma und fläzt bald im angewärmten Chefsessel. In Georg Kaisers „Gas-Trilogie“ schlägt der Erbe für seine sozialistische Idee sogar Milliarden aus. Jetzt sind die Arbeiter direkt am Gewinn der Gasproduktion beteiligt. Natürlich nur, wenn alles läuft. Nachdem das halbe Werk in die Luft fliegt und der Erbe auf Landwirtschaft umsatteln will, spielen alle nicht mehr mit. Schließlich wird die Fabrik verstaatlicht, damit weiter Gas geliefert werden kann. Am Ende ist den Arbeitern alles egal, als willenlose Zombies produzieren sie Giftgas für den Krieg.

Unübersehbar, welche Fenster sich von der expressionistischen „Gas-Trilogie“, die Georg Kaiser zwischen 1917 und 1920 verfasste, zur Gegenwart öffnen lassen. Oft wurden in den 20er-Jahren seine Dramen gespielt. Kaisers Hauptthema: Die komplexe Zivilisation, die das Individuum in einer technisierten Welt verschluckt. Früher wurde die „Gas-Trilogie“, bestehend aus den Dramen „Die Koralle“, „Gas I“ und „Gas II“, nicht zu einem Stück verdampft. Für die Premiere am letzten Sonnabend im Großen Haus schrieben Chefdramaturg Jörg Bochow und Sebastian Baumgarten eine eigene Fassung, die auch zusätzliche Texte enthält.

Von der Familientragödie bis zur Apokalypse

Nein, der Saal bleibt heute verschlossen, auf der Hauptbühne wählen die Zuschauer ihre Plätze frei. Über ihnen schweben Projektionsflächen, wie eine Kuppel aus kantigen Puzzleteilen sieht das aus. Urwaldbilder leuchten ringsum. Es zirpt und zwitschert, während die Bühnenmitte schwarz verkohlt nichts Gutes erahnen lässt. Von Beginn an ist diese spannende Spielarena von Thilo Reuther funktional wie facettenreich. Alsbald zischt Nebel aus dem Boden. Ebenfalls zischt das Ensemble: „Gaaas!“ Von der Familientragödie bis zur Apokalypse, alles dreht sich hier um Rohstoff und Abhängigkeit im Industriezeitalter.

Zum Verständnis der Metaebene erhält das Publikum zunächst Physikunterricht: Mit Augenzwickern hält Franziskus Claus einen eloquenten und bildgestützten Vortrag zum Begriff Entropie, den Rudolf Clausius 1850 prägte. Danach gilt: Alles entwickelt sich in Unordnung. Will der Mensch geordnete Systeme erhalten, muss er Energie zuführen. Natürlich ist das fatal, wenn die wirtschaftliche Diktatur des Wachstums herrscht. Also: Was kommt nach dem Kapitalismus?

Die Sinne werden nicht verkleistert

Wie in all seinen Arbeiten baut Regisseur Sebastian Baumgarten dramatische Gesamtkunstwerke. Dabei ist das Schauspiel nur Teil des durchkomponierten Ganzen. Bild- und Lichtwechsel gehen mit Klang-Illustrationen einher, die Musiker Thomas Mahn live am Piano und Keyboard spielt. Alte Gaswerkfotos leuchten auf, historische Filmschnipsel von Fabriken flimmern oder erzählen vom Bau der Gaspipeline. Dazu eine Prise Animation - die Videokunst von Philipp Haupt wird zu einem der Hauptakteure. Aber die Sinne werden nicht verkleistert: Brüche sorgen stets für Denkanstöße. Formal zitiert die Regie passend zu den 20er-Jahren auch expressionistische Filmsprache: Herrlich grotesk ahmt etwa Yassin Trabelsi Nosferatu auf Zehenspitzen nach. Oder Thomas Eisen spricht als monströse Schattenfigur zu den Arbeitern. Später begeistert er auch als engstirniger, aufgeregter Ingenieur.

Pathos kommt hier nicht auf, wenn ernstes Geschehen satirisch konterkariert wird. Doch nicht immer ist das Schauspiel spritzig und körperlich. Im zweiten Teil verhandeln Eva Hüster und Sarah Schmidt ihre Texte sehr trocken und statisch. Da wirkt die schräge Schreiber-Figur von Franziskus Claus stärker nach, wenn sie mit den Beinen eine Schreibtischplatte samt Wassereimer balanciert. Aber Langeweile kommt durch die surrealen Bildwelten und skurril überspitzten Szenen nicht auf. Auch bleibt dieser Abend nicht selbstverliebt bei sich oder liefert ein simples Schwarz-Weiß-Modell. Ganz ohne Moralkeule lautet die Devise: Habe Mut zum Mitdenken. Wie löst sich die Welt vom Wachstumszwang? Was kann der Einzelne tun?Bitter schmeckt nur die Pille der dramaturgischen Endgestaltung des Abends: Im Anschluss eine Podiumsdiskussion mit Politik- und Kulturvertretern anzubieten, ist bereichernd. Zumal Staatsminister Martin Dulig und Philosoph Moritz Rudolph miteinander sprechen. Das Gespräch aber so zu planen, dass das Ensemble erst nach dem 45-Minuten-Talk Applaus erhält, war für alle undankbar.

Wieder am 19., 20. und 21.10.; Karten gibt es unter 0351 4913555.