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Ausstellung im Museum für Sächsische Volkskunst: Wie klingt Heimat?

Eine Ausstellung im Museum für Sächsische Volkskunst spürt dem Klang der Heimat nach. Der ist so vielfältig wie die Menschen, die in Sachsen leben.

Von Birgit Grimm
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Felix Räuber mit dem Duo „Forest Roots“ aus Zittau. Für die Musiker Heiko Fehrmann und Marcel Frehse sind die Klänge der Heimat die der Natur.
Felix Räuber mit dem Duo „Forest Roots“ aus Zittau. Für die Musiker Heiko Fehrmann und Marcel Frehse sind die Klänge der Heimat die der Natur. © Siegfried Michael Wagner

Gerhard Gundermann trug einen Löffelhut. Wahrscheinlich war es praktisch, den Löffel griffbereit in der Krempe zu haben im Tagebau auf dem Abraumbagger oder auch bei der Mugge und auf Tour. Die skurrile Kopfbedeckung ist im Museum für Sächsische Volkskunst zu bewundern, und das ist nur eine der Überraschungen, die die Sonderausstellung „Wie klingt Heimat?“ zu bieten hat. Der Musiker und Produzent Felix Räuber ist mit seinem alten Schulfreund Marc Oliver Rühle und einem Filmteam im Jahr 2018 durch sein Heimatbundesland Sachsen gereist, hat Klänge, Geräusche, Musikstücke gesammelt und mindestens fünfzig Menschen diese eine Frage gestellt: Wie klingt Heimat?

Der Musiker und Produzent Felix Räuber arbeitet seit 2018 an dem Projekt "Wie klingt Heimat", das jetzt als interaktive Ausstellung im Dresdner Jägerhof zu erleben ist.
Der Musiker und Produzent Felix Räuber arbeitet seit 2018 an dem Projekt "Wie klingt Heimat", das jetzt als interaktive Ausstellung im Dresdner Jägerhof zu erleben ist. © Nino Vincenzo Valpiani

Unbekanntes Lied von Gundermann

Räuber selbst sei froh, sie nicht beantworten zu müssen, sagte der Musiker, der weit in der Welt herumreiste, bevor er in seiner Heimat musikalische Schätze hob und Menschen fand, deren Geschichten ihn bewegten. Heimat verbindet sich für viele mit Kindheitserinnerungen. Für Räuber, der in Pappritz aufwuchs, sind es auch „die Pfiffe meines Vaters, wenn er zum Mittagessen rief, und die Sirenen der Elbedampfer“.

In Hoyerswerda lernte er in der Kulturfabrik Reinhard Ständer, genannt Pfeffi, kennen und entdeckte im dortigen Gerhard-Gundermann-Archiv unveröffentlichte Songs wie das „Lied der Raumschiffe und Kosmonauten“, das Gundi in den 80er-Jahren geschrieben hatte und das heute visionär klingt. Gänsehaut!

Hoyerswerda ist eine von acht Stationen, die das Kuratorenteam in der Ausstellung inszenierte. Eine andere ist Seiffen, wo der „Nussknackerkönig“ Markus Füchtner lebt und arbeitet. Seine Werkstatt ist seine Heimat geworden, mit all ihren Geräuschen, dem Knirschen der Dielen und dem Ticken der Uhr. „Das Drechselgeräusch, das Anschlagen des Holzes – so klingt es, wenn ein Nussknacker geboren wird“, sagt er. Als junger Mann konnte Markus Füchtner sich nicht vorstellen, sein Leben mit dem Männelmachen zu verbringen, während seine alten Schulfreunde durch die Welt reisten. Aber wenn er heute sagt: „Jetzt komm ich kaum noch aus dem Dorf heraus“, dann klingt das stolz. Holzspielzeugmacher in achter Generation! Sein Ururgroßvater Wilhelm erfand 1870 den erzgebirgischen Nussknacker, den mit der Krone. Und Markus Füchtner, der sich auf das „verrückte“ Projekt von Felix Räuber erst ein wenig zögerlich, aber doch neugierig einließ, hat für den Musiker einen besonderen Nussknacker gemacht: natürlich einen Räuberhauptmann. Ob Füchtner diese grüne Figur in sein königliches Repertoire in Rot und Blau und Naturtönen aufnimmt? Vielleicht, wenn jemand einen Räuber haben will und ihn bestellt und dann auch die Geduld hat zu warten ...

Die Oud ist eine orientalische Kurzhalslaute. Ein Musiker aus Syrien spielt sie, und er fand in der Bachstadt Leipzig eine neue Heimat.
Die Oud ist eine orientalische Kurzhalslaute. Ein Musiker aus Syrien spielt sie, und er fand in der Bachstadt Leipzig eine neue Heimat. © dpa

In Leipzig bekam Felix Räuber auf seiner Heimat-Tour Fernweh, als er bei einem Konzert in der Nikolaikirche dem Oudspieler Basel Alkatrib lauschte. Der Syrer war 2015 aus seiner Heimat geflohen und nach Leipzig gezogen – wegen Johann Sebastian Bach. Er baute sich ein neues Leben als Musiklehrer auf. Die Oud, eine orientalische Kurzhalslaute, ist im Jägerhof zu sehen.

Aus dem Musikwinkel im Vogtland kam die Moderne in den Jägerhof – mit einem in der elektroakustischen Manufaktur Vermona in Adorf für die Schau gebauten Syntheziser. Darauf können auch die Besucher musikalisch in die Zukunft reisen. Oder, wem das nicht abenteuerlich genug ist, gern auch ins All, wo ein Nussknacker von Markus Füchter übrigens schon war.

In der Ausstellung kann man hören und lesen, schauen und selbst kreativ werden. Im Kinoraum läuft der Film zu Räubers Sachsen-Reise. Intuitiv und interaktiv ist die Schau angelegt, nirgends wird der Heimatbegriff politisch instrumentalisiert. Wohlfühlatmosphäre. Das Ausstellungsdesign ist so cool wie kuschelig, hat eine gemütliche, eine natürliche Anmutung. Filz und Pappe sorgen dafür, dass die Klänge der einzelnen Stationen, die teils unter Kopfhörern zu hören sind, sich nicht zu sehr überlagern. Auf einer Matratze sitzt man wie im Gras und folgt den Gedanken und Erinnerungen des Zittauer Produzenten-Duos „Forest Roots“, deren Heimatklänge zuallererst aus dem Wald, aus der Natur kommen. Zudem ist es recht angenehm, unter den großen, grauen Filzhauben zu sitzen und den Liedern der Schleifer Ostersängerinnen zu lauschen, die sie in ihrer Heimat live am Ostersonntag in aller Frühe darbieten. Eine weibliche Tradition, die zu verschwinden droht wie auch das Schleifer Sorbisch, das im Alltag schon nicht mehr gesprochen wird.

Was schlüpft denn da? Ein Osterei der Künstlerin Elisabeth Bittl in der Ausstellung «Ostern im Jägerhof» im Museum für Sächsische Volkskunst
Was schlüpft denn da? Ein Osterei der Künstlerin Elisabeth Bittl in der Ausstellung «Ostern im Jägerhof» im Museum für Sächsische Volkskunst © dpa

Ostern im Jägerhof

Ein Osterfest ohne den frühlingshaft geschmückten Jägerhof ist für viele Dresdner undenkbar. Und so wird diesmal zeitgleich mit der „Heimat-Ausstellung“ die Ostereier-Schau eröffnet. Die Vielfalt der Eiergestaltungen, der Ideenreichtum der Volkskünstlerinnen und Kunsthandwerker scheint keine Grenzen zu kennen. In den kommenden drei Wochen geben sie im Jägerhof Einblick in ihr Können, tauschen sich mit dem Publikum aus, bieten ihre Schätze zum Kauf an.

Eine wahre Allrounderin in der Volkskunst war Elisabeth Bittl aus dem Allgäu, die in diesem Jahr 90 geworden wäre. 2016 ist sie gestorben. Sie konnte gewissermaßen alles von Textil bis Keramik. Nur Schmiedearbeiten hat sie nie gemacht. Mehr als zwanzig Jahre war sie regelmäßig in den Oster- und Weihnachtsausstellungen im Jägerhof präsent – persönlich und mit ihren Arbeiten, von denen sie ein Konvolut dem Museum überließ. Ihre Ei-Schöpfungen sind bemalt oder kunstvoll mit Draht gestaltet. Liebes- und Brautgaben hat sie mit Blattgold verziert und aus manchen ihrer Eier „schlüpft“ das Leben, erwacht die Natur.

Wie klingt Heimat? – bis 22. Oktober

Ostern im Jägerhof bis 16. April

Museum für Sächsische Volkskunst im Jägerhof, Dresden, Köpckestr. 1. Geöffnet 10 bis 18 Uhr, auch an allen Ostertagen, sonst montags geschlossen.

Felix Räuber mit dem Duo „Forest Roots“ aus Zittau. Für die Musiker Heiko Fehrmann und Marcel Frehse sind die Klänge der Heimat die der Natur.