Demo gegen Rechtsextremismus in Dresden: "Wir sind die Ersten, die fortgeschafft würden"
Dresden. Eine Frau kehrt mit einem Besen einen blauen Haufen weg, der nicht zufällig dem Logo der AfD ähnelt. Darüber steht: „Verbietet die AfD, bevor die AfD euch verbietet!“ Dieses Motiv trägt Christian Lehmann auf einem Schild um seinen Hals, in der Hand hält er eine große Regenbogenfahne. Die Fahne seines Partners Volker Flemming geht von bunten Streifen zur EU-Flagge über. „Wir sind schwule Christen, wir sind die Ersten, die mit fortgeschafft würden“, ist Flemming überzeugt. „Auch als Christ gibt es keine Alternative zur Demokratie und Menschlichkeit.“
Am Sonntagnachmittag, als sich der Dresdner Neumarkt immer mehr füllt, bis er schließlich ganz erfüllt sein wird von Menschen mit bunten Flaggen und selbst gebastelten Schildern, stehen die beiden Dresdner am Rand der Demo des Bündnisses „Wir sind die Brandmauer“. Zwei Männer in dunklen Hüten und Sonnenbrillen. Von Anfang an seien sie bei den Demokratie-Demos in ihrer Stadt dabei gewesen, erzählen sie, aber auch mal in Bautzen, wo heute zeitgleich eine Kundgebung stattfindet.
Ermüdungserscheinungen? Fehlanzeige. Sie wollen weiter demonstrieren. „Ich hoffe, dass wir noch mehr Leute rausholen können aus der Stube und das anhält, bis wir zumindest die Landtagswahlen hinter uns gebracht haben“, sagt Flemming. „Ich habe schon den Eindruck, dass manche mittlerweile zum Umdenken kommen.“
Mit Bekannten sprechen sie über ihr Engagement, wollen mehr Leute aufrütteln, nun für die Demokratie auf die Straße zu gehen, damit noch viele begriffen, dass man sich engagieren müsse und niemand unpolitisch sei. Doch im Gespräch mit einer Nachbarin hätten sie erst heute gehört: Das geht mich nichts an. „Das kann ich überhaupt nicht verstehen, wie man so ignorant sein kann“, sagt Lehmann. Und: „Ich hätte als junger Mensch nie gedacht, dass ich dafür in meinem Alter noch mal auf die Straße gehen muss.“
Eine der jüngsten am Sonntag ist Mathilda, die eine selbst gebastelte Friedenstaube hält. Sie ist mit ihrer Mutter Anne zur Demo gekommen. Die findet es wichtig, dass ihre Tochter weiß, wofür sie gemeinsam auf die Straße gehen. Zu Hause sprechen sie darüber. „Uns ist es sehr wichtig, dass gerade in diesem Jahr mit den Landtagswahlen gezeigt wird, dass es doch eine Masse ist und wir noch mehr werden“, sagt Anne, die zum dritten Mal dabei ist und ebenfalls nicht zum letzten Mal demonstrieren will. Auf ihrem Rucksack klebt ein Sticker: „Nimm Rassismus persönlich.“
Mathilda soll sicher alleine zur Schule gehen können
Ihre Tochter soll in einem vielfältigen Dresden aufwachsen. „Mathilda ist jetzt fünf Jahre“, sagt Anne, aber die Angesprochene geht empört dazwischen: „Fünfeinhalb!“ Dieses Jahr kommt sie in die Schule. Ihre Mutter will dann keine Angst haben müssen, wenn sie Mathilda, die schwarz ist, alleine schickt.
Wohl die meisten, die sich am Sonntagnachmittag auf dem Neumarkt versammelt haben, sind erst durch die Veröffentlichung der Correctiv-Recherche zu Demonstranten geworden. So auch Silke Kirchhoff aus Meißen, die mit dem Dresdner Danny Kruse-Seipolt gekommen ist. Auf ihrem Schild steht: „Selbst die Kartoffel hat Migrationshintergrund.“ Das letzte Mal war sie ’89 demonstrieren. Nun ist es schon ihre fünfte Demo für die Demokratie, am Montag geht es in Meißen weiter.
Was treibt sie fast jede Woche auf die Straße? „Dass es immer rechtsextremer wird und man das Gefühl hat, man muss Gesicht zeigen, damit man sieht, wer mehr ist“, sagt Kirchhoff. Sie will demonstrieren „so lange es nötig ist“.
Kruse-Seipolt stimmt ihr zu. Er findet es wichtig, dass das AfD-Parteiverbot auf den Weg gebracht wird „unabhängig vom Ausgang“. Aber man sollte ernsthaft schauen, was sich rechtlich gegen die AfD unternehmen ließe. Silke Kirchhoff pflichtet ihm bei. Sie spiele immer mal wieder mit dem Gedanken, selbst in eine Partei einzutreten, „um politisch noch mal mehr abzubilden, wo man steht und dass man auf einer demokratischen Grundlage miteinander in den Diskurs geht“. Die Grünen könnten es am ehesten werden.
Luisa Neubauer: "Demokratie haben wir nicht, Demokratie sind wir"
Von 20.000 Teilnehmern werden die Veranstalter an diesem Tag sprechen. Die Zahl ist schwer zu schätzen, einige Tausend werden es auf jeden Fall sein. Die Polizei gibt keine eigenen Schätzungen mehr ab. Die Stimmung auf dem Neumarkt ist ausgelassen, Sänger Ezé Wendtoin heizt den Teilnehmern ordentlich ein und Klimaaktivistin Luisa Neubauer begeistert mit ihrer Rede über eine aktive Demokratie, in die sich jeder Einzelne einbringt. „Demokratie haben wir nicht, Demokratie sind wir.“
Zahra, eine der Demo-Organisatorinnen, ist überwältigt, wie viele Menschen abermals gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind. „Der heutige Tag hat gezeigt: Dresden steht nicht für Pegida und Nazis“, sagt sie. „Jetzt ist es wichtig, dass wir uns auch im Kleinen organisieren.“ Das Bündnis „Wir sind die Brandmauer Dresden“ will zukünftig verschiedene Bildungsformate anbieten. Das erste Online-Seminar zum Umgang mit rechten und menschenverachtenden Äußerungen findet am 13. März statt.
„Wir werden außerdem Demonstrationen in kleineren Städten mit unserer Technik unterstützen und gemeinsame Anreisen aus Dresden organisieren“, sagt Zahra. Es sei ein großer Unterschied, ob man gegen Rechtsextremismus in Bautzen oder in Dresden auf die Straße gehe. „Die sächsischen Kleinstädte können unsere Hilfe gebrauchen.“
Nach Polizeiangaben verlief die Versammlung störungsfrei. Etwa 130 Polizistinnen und Polizisten waren im Einsatz.