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Dresden damals: Der Ministermord von Dresden

Bedrohung und Beschimpfung von Politikern sind mittlerweile leider nicht mehr ungewöhnlich. Experten warnen vor einer Verrohung des politischen Klimas. Vor 105 Jahren wurde in Dresden ein Minister sogar gelyncht.

Von Ralf Hübner
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Niedergeschrien, misshandelt und von der Brücke geworfen: Dresden im April 1919. Eine zeitgenössische Darstellung des Mordes an Kriegsminister Gustav Neuring.
Niedergeschrien, misshandelt und von der Brücke geworfen: Dresden im April 1919. Eine zeitgenössische Darstellung des Mordes an Kriegsminister Gustav Neuring. © Foto: Deutsche Fotothek / Unbeka

Dresden. Ein Landespolitiker wird in Dresden mitten in der Stadt am helllichten Tag von einer Menschenmenge umgebracht? Tatsächlich ereignete sich ein solche Tat vor 105 Jahren in den Nachwehen der Novemberrevolution von 1918. Am 12. April 1919 kam bei Unruhen der SPD-Politiker Gustav Neuring ums Leben. Heute ist die Tat nahezu vergessen. Nichts in Dresden erinnert an ihn.

"Der sächsische Kriegsminister Neuring ermordet", titelten damals die Dresdner Nachrichten am Tag nach dem Verbrechen auf Seite Eins. Im Verlauf einer Demonstration von Sanitätsmitarbeitern der Dresdner Garnison sowie von erkrankten und verwundeten Soldaten sei das Ministerium für Militärwesen länger Zeit mit Maschinengewehren beschossen worden. Einen Tag später wurde von der Regierung der Belagerungszustand über Sachsen verhängt und das Standrecht proklamiert.

Die Situation eskaliert

Die Berichte zu den damaligen Ereignissen können noch immer sprachlos machen. Anlass war eine Verfügung der Reichsregierung vom 11. April, mit der die Besoldung der Unteroffiziere, Mannschaften und der in den Lazaretten behandelten Soldaten reduziert werden sollte. Daraufhin kam es einen Tag später in Dresden auf dem Theaterplatz zu einer Kundgebung von einigen Hundert Sanitätskräften und Kriegsbeschädigten aus den Lazaretten. Die Menge zog über die Augustusbrücke vor das Blockhaus, dem damaligen Kriegsministerium. Zwei Abordnungen überbrachten Neuring die Forderungen der Demonstranten. Allerdings konnte dieser kaum Zusagen machen, denn eigentlich war er in dieser Sache nicht zuständig. Die Verantwortung lag bei der Reichsregierung.

Dennoch gelang es Neuring, sich zumindest mit den Sanitätsmitarbeitern zu einigen. Mit den Kriegsversehrten verliefen die Gespräche dagegen schwieriger. Berichten zufolge sollen sich unter die Unterhändler auch zwei Kommunisten gemischt haben, die von den Verhandlungen ausgeschlossen wurden. Sie sollen daraufhin der Menge vor dem Haus verkündet haben, die Gespräche seien gescheitert.

Die zunächst friedliche Stimmung begann zu kippen, offenbar weiter von Spartakistenaufgehetzt, drangen die mittlerweile etwa 2.000 Demonstranten in das Ministerium ein, konnten aber zunächst noch gestoppt werden, nachdem ein junger Soldat zwei Übungshandgranaten in einen Lichtschacht geworfen haben soll, wie die Dresdner Nachrichten berichteten.

Zwar wurde durch die Handgranaten niemand verletzt, doch jetzt eskalierte die Situation: Die Wachen sowie deren Ablösung, die aus der Altstadt über die Augustusbrücke marschiert kam, wurden ohne größere Gegenwehr ebenso entwaffnet wie eine Sicherheitskompanie. Ein alarmiertes Grenzjäger-Bataillon blieb am Albertplatz stehen und weigerte sich einzugreifen. Auf Verwundete könnten sie nicht schießen, ließen die Soldaten ihren Kommandeur wissen.

Schüsse auf den Sterbenden in der Elbe

Bei den Demonstranten verbreitete sich das Gerücht , der Minister habe den Befehl gegeben, die Handgranten zu werfen. Teilnehmer brachten Maschinengewehre, die sie den Wachmannschaften abgenommen hatten, am Goldenen Reiter und auf der Brücke in Stellung und feuerten vor allem auf die Fenster des zweiten und dritten Stockwerks des Ministeriums. Fensterscheiben zerbrachen. Dann soll die Menge in das Ministerium eingedrungen sein und die Räume verwüstet haben. Neuring wurde ergriffen. Er soll versucht haben, zu der Menge zu sprechen, sei aber niedergeschrien und misshandelt. Die Menge zerrte ihn auf die Brücke, und dort gegen 16 Uhr warf man Gustav Neuring vom dritten Neustädter Brückenpfeiler in die Elbe, wie es in den Berichten heißt.

Trotz der bei den Misshandlungen erlittenen Verletzungen habe er sich zunächst halten können. Aus zahlreichen Gewehren sei von der Brücke aus jedoch "ein lebhaftes Feuer auf den mit dem Tode ringenden Kriegsminister eröffnet worden." Etwa 40 Meter unterhalb der Brücke sei der 39-Jährige dann scheinbar am Kopf getroffen in den Fluten versunken.

Von der Altstädter Seite her habe danach Maschinengewehrfeuer auf die Demonstranten eingesetzt, die auf das Neustädter Ufer zurückwichen. Dennoch hielten die Unruhen bis zum Abend an und kamen erst nach weiteren Gesprächen im Schloss mit einer Abordnung der Kriegsversehrten zum Erliegen. Neurings Leiche wurde vier Wochen später in Kötitz, auf halbem Weg nach Meißen gefunden.

Der aus Hamburg stammende Neuring war ursprünglich aus der Gewerkschaftsbewegung gekommen. Er war SPD-Mitglied und 15 Jahre lang Leiter des sächsischen Farbrikarbeiterverbandes sowie später Vorsitzender des Dresdner Arbeiter- und Soldatenrates, Volksbeauftragter und schließlich Minister für Militärwesen. Er gehörte zum engen Kreis um Georg Gradnauer, Sachsens erstem Ministerpräsidenten nach dem Ersten Weltkrieg. Die Umbenennung des Kriegsministeriums in Ministerium für Militärwesen soll auf dessen Initiative erfolgt sein.

Nach der Tat wurde zunächst fieberhaft nach dem oder den Mördern Neurings gesucht. Allerdings erwies sich die Überführung der Verdächtigen wohl als überaus schwierig. Etwa 70 Beschuldigte und mehr als 400 Zeugen wurden vernommen. Am Ende standen elf Angeklagte vor Gericht von denen sechs zu Gefängnisstrafen von anderthalb bis drei Jahren sowie fünf Jahren Ehrverlust verurteilt wurden.

Gustav Neuring selbst ist auf dem Urnenhain des Friedhofes Tolkewitz begraben.

Schon in den Monaten zuvor hatte es während der Novemberrevolution in Dresden Tote gegeben. So waren unter anderem im Januar 1919 bei einer Demonstration vor dem Gebäude der Dresdner Volkszeitung, das militärisch bewacht wurde, zwölf Menschen ums Leben gekommen.