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"Ich habe fest daran geglaubt, dass ich Linkshänderin bin"

Mit rechts schreiben zu müssen, hat Elmira aus Dresden schlechte Schulnoten beschert. Der Weg zurück braucht aufmerksame Eltern und therapeutische Hilfe.

Von Nadja Laske
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Ergotherapeutin Barbara Hamann arbeitet zusammen mit Elmira daran, die 13-Jährige zurück zu ihrer Linkshändigkeit zu führen. Ein langer Weg.
Ergotherapeutin Barbara Hamann arbeitet zusammen mit Elmira daran, die 13-Jährige zurück zu ihrer Linkshändigkeit zu führen. Ein langer Weg. © Sven Ellger

Dresden. Wie niedlich: die Kleine beim Spielen, im Zoo, am Strand. Videofilme von früher anzusehen, daran hatte Elmiras Familie viel Freude. Jedes Detail ist für immer festgehalten. Das breite Lächeln mit den ersten Zähnen, das wackelige Stehen auf zwei Beinchen, und wie das Kind die Klapper hält.

An dieser Stelle hätten sie stutzig werden können. Sind sie aber nicht. Elmira, die nun Teenager ist und in diesem Text mit diesem Namen bezeichnet werden möchte, griff mit der linken Hand zum Teddy und zur Babyflasche. "Sie machte alles immer mit links, schon als sie noch ein Kleinkind war", sagt ihr Vater heute. Nur aufgefallen ist ihm das nie. So lange nicht, bis klar war: Elmira ist Linkshänderin.

Warum tut sich das Mädchen nur so schwer in der Schule? Das fragten sich Elmiras Eltern schon gleich zu Beginn der ersten Klasse. Bis dahin hatte es keine Anzeichen dafür gegeben, dass ihre Tochter Probleme damit hat, sich Wissen anzueignen oder übermäßig ablenkbar ist. Sie war ein neugieriges, waches, aufgeschlossenes Kind. Nun aber erschöpfte sie schnell, verlor die anfängliche Freude an der Schule rasch und bekam schlechte Noten.

Gesellschaft erzieht Kinder zu Rechtshändern

Besonders das Schreiben fiel Elmira schwer, und sie konnte sich nur kurze Zeit konzentrieren. "Wir haben schließlich eine Ergotherapeutin befragt und sie hat einen Test mit zwei Kugeln gemacht", erzählt der Vater. An der Art, wie das Kind sie in der rechten und linken Hand hielt und bewegte, sah die Therapeutin, dass Elmira linkshändisch geschickter und sicherer ist. Dabei hatte sie aber doch niemand gezwungen, den Stift mit Links zu halten.

"Ganz unbewusst übt die Umwelt Einfluss auf die Kinder aus", sagt Barbara Hamann. Als Ergotherapeutin arbeitet sie am Sozialpädiatrischen Zentrum des Städtischen Klinikums Dresden und ist dort als Linkshänderberaterin tätig. "Das bedeutet, der Löffel liegt wie selbstverständlich rechts vom Teller, das Trinkglas steht ebenfalls rechts." Außerdem lernen Kinder, indem sie sich Handlungen von den Erwachsenen abschauen und sie imitieren. So übergehen sie ihre Linkshändigkeit. Doch aufmerksame Beobachter können trotzdem früh Signale für eine Linkshändigkeit wahrnehmen.

Ergotherapeutin Barbara Hamann mit einem linkshändischen Kind. 16:9 Format. Foto: Sven Ellger, Honorarfrei für Produkte von Sächsische.de und Sächsischer Zeitung Foto: Sven Ellger
Ergotherapeutin Barbara Hamann mit einem linkshändischen Kind. 16:9 Format. Foto: Sven Ellger, Honorarfrei für Produkte von Sächsische.de und Sächsischer Zeitung Foto: Sven Ellger © Sven Ellger

Für diese Sensibilität werben Elmiras Eltern nun zu jeder Gelegenheit bei Freunden, Bekannten, Kollegen und Eltern der Kita und Grundschule. "Als klar war, dass unsere Tochter eigentlich Linkshänderin ist und die Therapeutin uns empfahl, doch mal die alten Videos aus ihrer Kleinkindzeit anzusehen, waren wir erschüttert, wie deutlich die Dominanz der linken Hand zu erkennen war."

Auch Barbara Hamann sieht Potenziale: "Ich fände es gut, wenn angehende Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer in ihren Ausbildungen darauf geschult würden", sagt die ehemalige Grundschullehrerin. Das könne viel Stress und Leid verhindern, nicht nur bei den Kindern, sondern auch ihren Eltern. Bei Verdacht sollten sie den Kinderarzt konsultieren und sich von ihm zur Linkshänderberatung überweisen lassen.

"Für eine Rückführung ist es nie zu spät"

Zwar ist es schon lange nicht mehr üblich, Kindern die Linkshändigkeit abzutrainieren. Doch auch der vermeintlich freiwillige Wechsel auf rechts hat zumeist negative Folgen. "Linkshänder schreiben nie so leicht und schnell mit rechts, wie Rechtshänder. Das Schreiben strengt sie viel mehr an und verschleißt ihre Konzentrationsfähigkeit", so Barbara Hamann. Statistiken vermerken einen Anteil an Linkshändern in der Bevölkerung von zehn bis 15 Prozent. Die Therapeutin vermutet real 20 bis 25 Prozent. Häufig bleibt Linkshändigkeit unentdeckt.

Folglich hatte Elmira eine knappe Aufmerksamkeitsspanne, verlor die Lust am Lernen und war am Nachmittag zu müde für Hausaufgaben. Vom Schreiben und Malen taten ihr die rechte Hand und der Arm weh, so verkrampft fasste sie den Stift. Zusätzlich erhielt sie die Diagnose Lese-Rechtschreib-Schwäche, die mit der nicht erkannten Linkshändigkeit zusammenhängen kann.

Die gute Nachricht: "Eine Rückführung ist möglich", sagt Barbara Hamann. Auch sei es dafür nie zu spät. Nur während der Pubertät sehe man davon ab, weil das Gehirn in dieser Zeit optimiert wird und damit gut beschäftigt ist. Nach der Diagnose Linkshändigkeit begann Elmira die Therapie. "Ich habe fest daran geglaubt, dass ich Linkshänderin bin", sagt die 13-Jährige. So richtig habe es sich angefühlt, mit Links zu arbeiten.

Die Fortschritte werden größer

Doch der Weg zurück ist nicht leicht und recht lang. Etwa zwei Jahre brauchen die meisten Betroffenen dafür. Elmira besucht nun monatlich einmal die Therapiestunde bei Barbara Hamann am Sozialpädiatrischen Zentrum, das alle für Kinder relevanten medizinischen und therapeutischen Bereiche unter einem Dach vereint. Für die Zeit zwischen den Terminen erhält sie Übungsaufgaben.

Dass sich die Probleme damit beheben lassen, sei aber nicht sicher, sagt Barbara Hamann: "Einige schaffen es auch nicht." Elmira indes hat große Fortschritte gemacht. "Jetzt in der sechsten Klasse fällt mir das Arbeiten in der Schule viel leichter", sagt sie. Auch die Schwierigkeiten mit der Lese-Rechtschreib-Schwäche haben sich gebessert. "Ich lese jetzt endlich sogar Bücher", sagt sie.

Der erste Harry-Potter-Teil lässt sie fast vergessen, wie mühselig es früher war, Silbe an Silbe zu reihen und den Sinn eines Textes zu erfassen. In welcher Hand Harry seinen Zauberstab hält, kann ihr dabei egal sein. Sie würde ihn beherzt in die linke Hand nehmen.