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Inspektion im Luftkissen-Tunnel unter dem Wiener Platz in Dresden

Erstmals nach sieben Jahren muss ein Tunnel unter dem Wiener Platz in Dresden wieder gereinigt werden. Warum das in mehr als einem Dutzend Meter Tiefe so selten nötig ist.

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14 Meter unterm Wiener Platz in Dresden begutachten Laura Kämpffe und Sebastian Härtel den Luftkissen-Abwassertunnel. An den Wänden hat sich eine dicke Schmutzschicht hat abgesetzt
14 Meter unterm Wiener Platz in Dresden begutachten Laura Kämpffe und Sebastian Härtel den Luftkissen-Abwassertunnel. An den Wänden hat sich eine dicke Schmutzschicht hat abgesetzt © Stadtentwässerung Dresden

Dresden. In der Unterwelt des Wiener Platzes gibt es eine Kanalanlage, die äußerst selten ist: ein Abwassertunnel unter dem Straßentunnel und der Tiefgarage. In der Fachsprache werden solche Röhren Düker genannt, holländisch für Taucher.

Jetzt steht Sebastian Härtel in seiner grünen Wathose 14 Meter unterm Wiener Platz. Der 33-jährige Kanalbetriebsarbeiter inspiziert mit seinem Zollstock, wie viel Dreck sich in der 2,40 Meter hohen Edelstahlröhre abgesetzt hat. An seiner Seite seine 20-jährige Kollegin Laura Kämpffe, die erstmals in diesem besonderen Kanal arbeitet. Erst im vergangenen Jahr hatte die junge Frau ihren Abschluss als Fachkraft für Abwassertechnik gemacht. Jetzt arbeitet sie im Team von Frank Lieber, Kanalnetzmeister Süd-Ost.

Die Vorgeschichte: Behinderung beim Tunnelbau

Lieber kennt die Anlage, den sogenannten Luftkissendüker, aus dem Effeff. Der Düker ist einmalig in Sachsen und in Europa äußerst selten. In Deutschland gibt es gerade mal eine Handvoll dieser Anlagen, neben Dresden nur in Regensburg und in Hamburg.

In den 1990er-Jahren tüftelten der 63-jährige Abwasserfachmann und andere Techniker zwei Jahre lange, um diese Lösung zu finden. Der Tunnel am Wiener Platz sollte gebaut werden, und der alte Sandsteinkanal von 1870 war im Wege.

Mit herkömmlicher Technik wie einer Hebeanlage konnten die dort ankommenden Abwassermengen nicht aus dieser Tiefe wieder nach oben befördert werden. Schließlich sind das bis zu 8.800 Liter pro Sekunde. "Damals hatten wir zur Partnerstadt Hamburg und der Schweiz Kontakt aufgenommen", erinnert sich Lieber. Im Hamburger Hafen gab es einen kleinen Luftkissendüker. "Wir hatten zwei Jahre getüftelt, bis wir ihn gebaut haben." Das geschah 1998 und 1999.

Das System: Mit Druck gegen den Dreck

An den 108 Meter langen Abwassertunnel schließen sich an beiden Seiten sogenannte Sifons an, die nach dem Prinzip des Abflusses eines Waschbeckens funktionieren. Dort sammelt sich das Abwasser zuerst, wenn es aus Richtung Hauptbahnhof unterirdisch zur Reitbahnstraße fließt. Steigt der Spiegel, füllt sich auch der etwas höher liegende Edelstahlkanal.

Dann kommt die Stunde der Druckluft. Von einem leistungsstarken Kompressor erzeugt, wird sie mit einem Druck von bis zu 0,4 Bar in die Röhre geblasen. So bildet sich oben eine große Luftblase, das sogenannte Luftkissen. Dadurch wird das Abwasser auf bis zu zwei Meter pro Sekunde beschleunigt, sodass es in Richtung Reitbahnstraße abfließt, erklärt Lieber. "Dabei wird der Dreck im Düker mitgerissen." Deshalb ist es nur sehr selten nötig, den Luftkissendüker zu reinigen.

Der Betrieb: Einsatz bei Starkregen

Auch Thomas Klengel ist bei der Inspektion mit dabei. Der Meister ist für den Luftkissendüker und andere Sonderbauwerke der Stadtentwässerung zuständig. "Das Abwasser durchströmt den Luftkissendüker nur, wenn es stark regnet", erläutert der 47-jährige Fachmann. Denn bis zu einer Menge von 110 Litern pro Sekunde fließt es durch eine nur 40 Zentimeter starke Leitung, das Trockenwetterrohr. Die Anlage arbeitet nun schon 24 Jahre zuverlässig.

Meister Thomas Klengel im Schaltraum des Luftkissendükers. Er ist froh, dass die äußerst seltene Anlage sich sehr gut bewährt hat und zuverlässig arbeitet.
Meister Thomas Klengel im Schaltraum des Luftkissendükers. Er ist froh, dass die äußerst seltene Anlage sich sehr gut bewährt hat und zuverlässig arbeitet. © Stadtentwässerung Dresden

Die Störung: Tischschleuder verstopft Kanal

Allerdings gibt es Ausnahmen, sagt Kanalnetzmeister Lieber. 2001 etwa war die kleine Leitung verstopft. Nach langem Suchen holten seine Männer eine Tischschleuder heraus. Der bislang ungewöhnlichste Fund.

Inspektion: Saug- und Spülfahrzeuge rücken an

Bei der Inspektion stoßen Laura Kämpffe und Sebastian Härtel nicht auf solche Funde. "Die heutige Inspektion hat aber ergeben, dass es einige Ablagerungen und auch Schmutzränder in Höhe der Wasserlinien gibt", resümiert Meister Klengel. "Deshalb müssen wir den Düker nach sieben Jahren wieder reinigen." Würde das nicht getan, könnten große Schmutzstücke nach starkem Regen von den Wänden fallen und in die Pumpen gelangen, die den Düker entleeren. "Dadurch würden die Pumpen verstopfen und ausfallen. Ein Leerpumpen der Dükerröhre wäre dann nicht mehr möglich", verweist Klengel auf die Konsequenz. "Das wollen wir verhindern."

Deshalb werden in vier Wochen zwei große Saug- und Spülfahrzeuge am Luftkissendüker anrollen. Mit einem Hochdruckgerät wird dann der Dreck in der Röhre gelöst. Danach kommt ein Saugrüssel zum Einsatz, der den Schlamm über seinen langen Schlauch in die Schmutzkammer des riesigen Tanks befördert. Ist das geschafft, müssen die Saug- und Spülfahrzeuge erst in vielen Jahren wieder anrollen – dank der modernen Luftkissentechnik. (SZ)

Fakten zum Luftkissen-Tunnel

  • 1998 und 1999 baute die Stadtentwässerung den Luftkissen-Düker am Wiener Platz. Dabei handelt es sich um einen großen Kanal unter Straßentunnel und Tiefgarage.
  • 110 Meter lang ist der Düker, in dem bis zu 8.800 Liter Abwasser pro Sekunde durch Druckluft wieder nach oben gedrückt werden können.
  • 5,5 Millionen Euro wurden für die moderne Anlage investiert.