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"Ich habe mit dem Schicksal gehadert"

Nichts braucht Markus Zoitl so dringend für seinen Beruf wie das Gehör. Doch genau das verlor der Intonateur und musste um alles bangen, was er erreicht hatte.

Von Nadja Laske
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Etwa sechs Stunden kann Markus Zoitl mit höchster Konzentration auf den Klang der Pfeifen lauschen. Manche Orgel hat rund 2000 davon. Jede einzelne muss mit speziellen Werkzeugen gestimmt werden.
Etwa sechs Stunden kann Markus Zoitl mit höchster Konzentration auf den Klang der Pfeifen lauschen. Manche Orgel hat rund 2000 davon. Jede einzelne muss mit speziellen Werkzeugen gestimmt werden. © Sven Ellger

Dresden. Die Hände auf der Holzplatte des imposanten Tisches im Pausenraum sitzt Markus Zoitl und kommt ins Erzählen. Er ist einer, der wenig von sich reden macht. Doch seine Geschichte sollte nicht hier in dieser Werkstatt bleiben. Sie muss unter die Menschen. Denn die Erfahrung des Orgelbauers und Intonateurs kann Mut machen und staunen lassen über die Möglichkeiten der Medizin und die Kraft des Optimismus.

Markus Zoitl sorgt dafür, dass die Klangfarbe, Lautstärke und Stimmung jeder einzelnen Pfeife einer Orgel bestmöglich im Raum klingt. So intoniert und stimmt er neue Orgeln oder gibt den riesigen Instrumenten den Klang zurück, den sie hatten, bevor sie vom Zahn der Zeit geschädigt, manche sogar ganz zerstört wurden. Die Orgelwerkstatt Wegscheider in Hellerau hat sich genau darauf spezialisiert. Sie restauriert und rekonstruiert Orgeln in ganz Europa. Seit vielen Jahren arbeitet der gebürtige Österreicher Markus Zoitl an den Projekten des Dresdner Unternehmens mit.

Vielleicht hat der Nachbar von einst die Weichen gestellt. Er überließ Markus Zoitls Familie ein Klavier, an dem er als Fünfjähriger zu spielen begann. Ein Jahr später schickten ihn seine Eltern in die Musikschule, mit elf Jahren kam er ans Bruckner-Konservatorium in Linz. Ein hoffnungsvoller Start mit Karriereaussicht.

Wattiges Gefühl im Kopf

"Aber als ich 15 war, wollte ich nicht mehr in die Schule gehen", erzählt Markus Zoitl. Schluss mit Mathe, Englisch, Latein. Er setzte durch, sich damit nicht mehr abgeben zu müssen und traf auf einen Zufall: "Im Nachbardorf gab es einen Orgelbauer, der einen Lehrling suchte." So lernte er die Schreinerarbeiten, den Pfeifenbau, die Installation sämtlicher Technik und erfuhr bereits, dass jede Orgel einen Experten braucht, der ihr einen ganz individuellen Klang verschafft.

Viele Jahre lang arbeitete Zoitl für eine der größten Orgelbaufirmen am Bodensee und entdeckte dort mit der Zeit seine Liebe zu genau diesem Aufgabenfeld seines Gewerkes. "Ich wollte mich lieber mit Klang beschäftigen, als Spezialist für Holz und Technik zu sein", sagt er - ein Ziel, das nur durch langjährige Assistenz bei gestandenen Intonateuren und mit viel Erfahrung zu erreichen ist. "Mein erstes hauptverantwortliches Projekt war eine Orgel in Mainz", erinnert er sich.

Seine Arbeit beginnt dann, wenn das Instrument dort eingebaut ist, wo es künftig zu hören sein wird. Doch auch in den Prozess der Planung neuer oder der Restaurierung historischer Pfeifen ist er involviert. Aktuell arbeitet Markus Zoitl an einer Orgel für die Stadtkirche Havelberg in Sachsen-Anhalt. Sie wurde 1754 gebaut und nun restauriert. Allein für das Schaffen des Klanges benötigt der Intonateur regulär rund sechs Monate Arbeit. Dass er dieses Projekt überhaupt angehen kann, verdankt der 46-Jährige der Wissenschaft.

Verknöcherung im Mittelohr

Nach dem Entschluss, seine bisherige Firma zu verlassen, noch einmal zu studieren und sich schließlich als Intonateur selbstständig zu machen, war Markus Zoitl unter anderem in den USA beschäftigt. "Es war mal wieder ein Zufall, der mir geholfen hat", sagt er. Denn auf dieser Dienstreise ergab sich über einen befreundeten Orgelbauer der Kontakt zu Kristian Wegscheider in Dresden. Er suchte für ein ganz besonders anspruchsvolles Orgelbauvorhaben in Ingolstadt einen wie Zoitl und konnte ihn gewinnen.

Kristian Wegscheider und sein Team sind auf Silbermannorgeln spezialisiert und haben unter anderen die Orgel der Dresdner Hofkirche restauriert. Zwar blieb Markus Zoitl immer freischaffend, doch das Unternehmen und seine Menschen sind ihm rasch ans Herz gewachsen. So fand er hier sogar eine neue Heimat.

"Es schien gerade alles rund zu sein", erzählt er, "ich plante mit meiner Familie nach Dresden umzuziehen, es war kurz vor Weihnachten, da wurde ich morgens mit einem seltsam wattigen Gefühl im Kopf wach." Das linke Ohr - sein Arbeitsmittel - nahm Geräusche nur noch gedämpft wahr. Der Arzt schloss einen Gehörsturz aus. Ohne große Umwege kam Markus Zoitl zur Untersuchung bei Dr. Ernst Röpke, leitender Oberarzt an der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie sowie plastische Operationen am Städtischen Klinikum.

Die Diagnose: Hammer, Amboss und Steigbügel seines linken Mittelohres waren krankhaft verknöchert. Dass die Beschwerden so plötzlich erschienen waren, stellte den Mediziner vor ein Rätsel. Doch Tatsache blieb: Markus Zoitl würde ohne eine ganz spezielle Behandlung nicht mehr ausreichend hören können, um seinem Beruf nachzugehen.

Eine Operation wäre möglich gewesen, hätte aber Risiken mit sich gebracht, die der Klangexperte auf keinen Fall eingehen wollte. Das Ärzteteam riet zu einem speziellen Implantat. "Die sogenannte Bone-Bridge besteht aus einem Knochenleitungsimplantat, das unter der Haut auf dem Schädelknochen sitzt, und einem Audioprozessor, dem eigentlichen Hörgerät, das den Schall in Vibration umwandelt", erklärt Dr. Ernst Röpke. Die Vibration werde über den Schädelknochen direkt an das Innenohr weitergegeben.

Fast ein halbes Jahr musste sich Markus Zoitl gedulden. Viele Untersuchungen waren nötig, um eine ganz sichere Diagnose zu stellen, die Operation zu planen und die Hightech-Hörhilfe auf seine exklusiven Bedürfnisse als Intonateur zu programmieren. Nach zwei Monaten Heilungsphase konnte Zoitl zum ersten Mal mit seiner Bone-Bridge hören. Die Tonspezialisten der Herstellerfirma besuchten ihn sogar bei der Arbeit in einer Kirche, um den Hörcomputer optimal auf die Tätigkeit einzustellen.

Existenzbedrohlicher Sinnesverlust

"Auch für uns war es spannend zu sehen, ob alles so funktioniert, wie wir es erhofft haben", so Dr. Röpke. Die Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde am Städtischen Klinikum unter Leitung Professor Friedemann Pabsts hat sich in Künstlerkreisen einen Namen gemacht. Stimme und Gehör sind gerade für Sänger und Musiker die absolut berufsnotwendigen Sinne, ohne die sie ihre Karrieren beenden müssten.

"Als ich die Diagnose erhielt, habe ich wirklich mit dem Schicksal gehadert", erinnert sich Markus Zoitl. Nach langen Ausbildungs- und Berufswegen fühlte er sich in Dresden angekommen wie noch nirgends zuvor. Die existenzbedrohliche Krankheit ist für ihn gut ausgegangen. Denn die Bone-Bridge hat ihm sein Gehör zurückgegeben. Der beste Beweis: "Ich habe seit der Operation vor gut zwei Jahren rund acht Orgeln ohne Einschränkungen intoniert."