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Nach Brand: Zwangsarbeitslager in Dresden soll öffentlicher Gedenkort werden

In einem ehemaligen Dresdner Industriegebäude hat es vor wenigen Tagen gebrannt. Hier mussten Zwangsarbeiter von 1944 bis 1945 Rüstungsgüter herstellen. Jetzt gibt es Vorschläge, wie der Ort genutzt werden soll.

Von Kay Haufe & Alexander Schneider
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Diese Luftaufnahmen aus dem Jahr 2019 zeigt die früheren MIAG-Gebäude in Dresden, in denen sich ein Außenlager des KZs Flossenbürg befand.
Diese Luftaufnahmen aus dem Jahr 2019 zeigt die früheren MIAG-Gebäude in Dresden, in denen sich ein Außenlager des KZs Flossenbürg befand. © © KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Foto: Rainer Viertlböck

Dresden. Am vergangenen Wochenende brannte eine Industriebaracke auf der Fritz-Schreiter-Straße in Dresden-Zschachwitz. Zunächst in der Nacht zum Sonntag, ein weiteres Mal am Montagmorgen. Was die wenigsten Dresdner wissen: Hier befand sich von Oktober 1944 bis April 1945 ein Außenlager des KZs Flossenbürg.

Dem Brand vorausgegangen war ein Social Media-Posting der Wahlinitiative "Dissident:innen Dresden", in dem sie den Erhalt des ehemaligen Zwangsarbeitslagers als würdigen Gedenkort forderten. War der Brand eine Reaktion darauf; eine politisch motivierte Tat?

Jedenfalls nimmt auch die Polizei diesen Zusammenhang ernst, weshalb neben den üblichen Brandursachenermittlern auch Beamte vom Staatsschutz an den Ermittlungen beteiligt sind. Polizeisprecher Marko Laske sagt, die Brandausbruchstelle habe sich in "unmittelbarer Nähe" eines Gedenksteins befunden, der jedoch nicht beschädigt worden sei.

Die unbekannten Täter hätten Unrat angezündet. Die Polizei ermittle jedoch nach wie vor in alle Richtungen. Am Tatort und in einschlägigen Internet-Foren hätte man bislang keine Hinweise gefunden, die für eine politisch motivierte Tat sprechen. "Wir können das aber auch nicht ausschließen", so Laske, der Staatsschutz sei weiterhin mit im Boot.

Der zweite Brand am Montagmorgen sei keine Brandstiftung gewesen. Glutnester unter dem schwer zugänglichen Dach seien wieder ausgebrochen. Vor zwei Jahren hat es schon einmal in dem Gebäude gebrannt.

Die Feuerwehr hatte mehrere Stunden zu tun, um den Brand in der Nacht zum 18. Februar zu löschen.
Die Feuerwehr hatte mehrere Stunden zu tun, um den Brand in der Nacht zum 18. Februar zu löschen. © Roland Halkasch

Häftlinge mussten Rüstungsgüter herstellen

Nur wenige Dresdner kennen die Geschichte des Gebäudes im Süden der Stadt. 1873 gründeten die Gebrüder Seck hier die Firma Mühlenbau Seck, die nach dem Ersten Weltkrieg in die Mühlenbau und Industrie AG, kurz MIAG, umgewandelt wurde. Die Firma produzierte vor dem Zweiten Weltkrieg an mehreren Standorten Maschinen für den Mühlenbetrieb.

Im Zschachwitzer Werk wurden ab 1943 Sturmgeschütze und leichte Jagdpanzer sowie Antriebsteile für Panzer hergestellt, wie aus Informationen der "Sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft (SLAG) Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus" zum Außenlager Zschachwitz hervorgeht. Diese wurden bei dem Dokumentations- und Erinnerungsprojekt „Gedenkplätze“ zusammengetragen.

In dieser Baracke waren die Häftlinge untergebracht.
In dieser Baracke waren die Häftlinge untergebracht. © © KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Foto: Rainer Viertlböck

Weiter heißt es darin, dass ab Mitte Oktober 1944 dort auch KZ-Häftlinge in einem Außenlager des KZ Flossenbürg zur Arbeit gezwungen wurden. Bis April 1945 mussten bis zu 1.000 Verfolgte für das Rüstungsunternehmen MIAG Zwangsarbeit leisten. Der erste Transport mit 404 jüdischen Häftlingen sei aus dem KZ Płaszów nach Zschachwitz gekommen.

Bis Dezember kamen weitere Transporte. Sie waren nicht so "homogen" zusammengesetzt wie die ersten. Zwangsarbeiter, Schutzhäftlinge, ehemalige Kriegsgefangene, "Asoziale" und "Berufsverbrecher" russischer, polnischer, deutscher, italienischer, tschechischer, belgischer, französischer, slowenischer, griechischer und britischer Nationalität kamen nach Zschachwitz. Die Forderungsnachweise lassen den Schluss zu, dass im Dezember 1944 zwischen 950 und 1.000 Häftlinge inklusive 20 sogenannter Lehrlinge im Außenlager eingesetzt waren.

Todesmarsch nach Leitmeritz

Ende Januar 1945 waren laut SLAG mindestens 20 Häftlinge in Zschachwitz gestorben. Bei den Luftangriffen auf Dresden, speziell am 14. Februar 1945, wurde auch die MIAG stark getroffen. Wie viele Häftlinge durch den Luftangriff getötet wurden, ist unbekannt. Aufgrund der hygienischen Bedingungen brach im Lager Flecktyphus aus.

Ende April wurde das Außenlager aufgelöst und die gehfähigen Zwangsarbeiter auf einen Todesmarsch nach Leitmeritz getrieben. Die meisten der Überlebenden dürften Anfang Mai 1945 in Theresienstadt befreit worden sein. Bis heute ist die genaue Zahl der im Außenlager umgebrachten Menschen ungeklärt.

Dissidenten und Grüne für Erhalt als Gedenkstätte

"Dies ist nicht irgendein Industriegelände", sagt Dissidenten-Stadtrat Johannes Lichdi. Dass es nun an genau diesem Ort zweimal und das in der Nähe des 13. Februar brennt, betrachtet Lichdi nicht als einen Zufall. "Es gibt politische Kräfte in unserer Gesellschaft, welche die Beweise der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vernichten wollen. Dem müssen wir uns als Demokratinnen und Demokraten entgegenstellen."

Seine Fraktion fordert, die Überreste der KZ-Außenstellen zu erhalten und als Gedenkort öffentlich zugänglich zu machen. In einem Antrag fordert sie den Oberbürgermeister auf, mit dem Eigentümer der Industriefläche, dem neu geschaffenen Beirat für Erinnerungskultur, dem Freistaat Sachsen sowie zivilen Akteuren der Gedenkkultur in Gespräche einzutreten.

Allerdings ist der Antrag noch nicht eingereicht. "Wir haben den Entwurf allen demokratischen Fraktionen des Stadtrates zukommen lassen. Unser Wunsch ist, fraktionsübergreifend ein Zeichen zu setzen und den Antrag mit möglichst breiter Beteiligung gemeinsam einzureichen", so Lichdi. "Egal wie zerstritten der Stadtrat in vielen anderen Fragen ist: An die Verbrechen des Nazi-Regimes zu erinnern und zu verhindern, dass sie sich jemals wiederholen – das muss Konsens unter Demokratinnen und Demokraten sein."

Kurz nach dem Brand hatten sich bereits die Grünen im Dresdner Stadtrat zu Wort gemeldet. Die Stadt Dresden habe eine Verantwortung, die Tatorte zu Gedenkorten zu gestalten und immer wieder aktiv ins Bewusstsein zu rücken, sagt Fraktionsvorsitzende Agnes Scharnetzky. In Dresden-Zschachwitz müssten Maßnahmen geprüft werden, das Gebäude so zu sichern, dass historische Spuren sichtbar erhalten bleiben.