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Geflüchtete aus dem Iran in Dresden: "Nennt es Revolution!"

Parvin A. ist 2017 aus dem Iran geflohen, weil sie dort nicht mehr sicher war. Seit zwei Jahren lebt sie in Dresden. Die neuen Proteste in ihrer Heimat lösen heftige Gefühle bei ihr aus.

Von Christoph Pengel
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Parvin A. hat im Iran als Psychologin gearbeitet. Jetzt geht sie in Dresden für die Frauen im Iran demonstrieren.
Parvin A. hat im Iran als Psychologin gearbeitet. Jetzt geht sie in Dresden für die Frauen im Iran demonstrieren. © René Meinig

Dresden. Die Frau aus dem Iran ist wütend. Parvin A. heißt sie, 30 Jahre alt, seit gut zwei Jahren lebt sie als Geflüchtete in Dresden. Es kocht in ihr, wenn man sie nach den Protesten in ihrer Heimat fragt. "Nennt es nicht Proteste!", sagt sie auf Englisch. "Nennt es Revolution!"

Wütend ist sie vor allem, weil es ihr hier, in Deutschland, zu leise ist. Sie vermisst die Unterstützung, während viele Menschen im Iran so laut sind wie lange nicht mehr. Seit mehr als zwei Wochen gehen im Iran Tausende auf die Straße. Sie demonstrieren gegen das islamische Herrschaftssystem und gegen die Diskriminierung von Frauen.

"Tod dem Diktator", rufen sie laut Augenzeugen. Polizisten versuchen, die Aufstände mit Gewalt niederzuschlagen. Es gibt Verletzte und Tote. Weil das Internet stark eingeschränkt wurde, dringen Informationen nur spärlich nach außen.

Ausgelöst wurden die Kämpfe durch den Tod von Mahsa Amini, einer 22-Jährigen, die von der Sittenpolizei festgenommen wurde, weil sie gegen die strenge islamische Kleiderordnung verstoßen hatte. Die genauen Umstände ihres Tods sind unklar. Sicher ist nur, dass sie nach der Festnahme ins Koma fiel und im Krankenhaus starb. Der Sittenpolizei wird vorgeworfen, die Frau misshandelt zu haben. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück.

Seitdem kommt es fast täglich zu blutigen Gefechten. Nach und nach solidarisieren sich auch Menschen aus anderen Ländern mit den Aufständischen im Iran. In Deutschland wurden zuletzt mehrere Tausend bei Kundgebungen gezählt, unter anderem in Hamburg und Frankfurt am Main. Auch in Dresden gab es Demonstrationen. Mit dabei war Parvin A.

Nach den blutigen Protesten im Iran gingen Ende September auch Menschen in Dresden auf die Straße.
Nach den blutigen Protesten im Iran gingen Ende September auch Menschen in Dresden auf die Straße. © privat

"Ich war nicht mehr sicher in meinem Land"

Was sie damit erreichen will? "Ich will eine Stimme für die Menschen im Iran sein", sagt sie. Proteste habe es dort schon oft gegeben. Aber diesmal sei es anders. Diesmal würden sich Menschen aus allen Schichten beteiligen. "Für mich war das ein Schock, aber auf positive Art und Weise", sagt Parvin A.

Frauen spielen eine nie dagewesene Führungsrolle in dem neuen Konflikt. Parvin A. betont, dass es um mehr geht als die Kopftuchpflicht. Der Alltag im Iran sei noch immer geprägt von der Scharia, einem religiösen Regelwerk, das Frauen systematisch benachteiligt. Parvin A. bezeichnet die iranische Regierung als ein "faschistisches-islamistisches Regime", unter dem sie selbst gelitten habe.

1991 wurde Parvin A. geboren. Sie stammt aus dem Nordiran, wo sie nach ihrem Studium als Psychologin gearbeitet hat. Dort habe sie sich auch politisch engagiert, erzählt Parvin A. Ihre Mutter sei ermordet worden. Danach habe sich die Lage für sie verschärft. "Ich war nicht mehr sicher in meinem Land."

Parvin A. floh 2017 in die Türkei. Weil ihr Aufenthaltsstatus unklar war, musste sie weiterziehen. Sechs Mal habe sie versucht, die Grenze nach Griechenland zu überqueren. Sechs Mal sei sie zurückgestoßen worden. Der Spiegel hat Parvin A.s Schilderungen überprüft. In einem Artikel vom Februar 2022 beschreiben die Autoren, was Flüchtlinge an der EU-Grenze zu Griechenland erlebt haben. Parvin A. erzählt, dass sie mehrfach geschlagen wurde.

"Jede Sekunde bin ich mit dem Herzen in meiner Heimat"

Über die Flucht und die vielen Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellten, will Parvin A. heute nicht mehr reden. Beim siebten Versuch schaffte sie es nach Europa. Seit August 2020 lebt sie in Dresden. Ihr Asylverfahren sei noch nicht abgeschlossen, sagt sie. Zudem warte sie auf die Anerkennung ihres Psychologie-Masters, um in Deutschland praktizieren zu können.

Doch im Augenblick beschäftigt sie vor allem der Horror, der sich im Iran abspielt. Sie liest die Nachrichten und schaut sich Videos an, die ihr geschickt werden. Fragt man Parvin A., ob sie im Augenblick lieber im Iran wäre, um mitzukämpfen, schlägt ihre Wut in Traurigkeit um. Sie weint. "Ja, sicher, es ist mein Traum im Iran zu sein", sagt sie unter Tränen. "Manche mögen denken, ich wäre hier glücklich als Flüchtling. Aber ich bin nicht glücklich. Jede Sekunde bin ich mit dem Herzen in meiner Heimat."

Würde sie jetzt in den Iran gehen, dann würde man sie wahrscheinlich erschießen, sagt Parvin A. Engagieren will sie sich trotzdem. In Dresden. Bei Demonstrationen. Sie will darauf aufmerksam machen, was in ihrer Heimat passiert. Deutschland und Europa sollten die Aufständischen unterstützten und das iranische Regime nicht mehr als Verhandlungspartner akzeptieren, fordert Parvin A.

Sie könne verstehen, dass die Menschen in Dresden ihre eigenen Probleme haben. Aber die Proteste im Iran drehten sich um Werte, die auch im Rest der Welt verteidigt werden sollten: Frieden. Freiheit. Gerechtigkeit. Frauenrechte. Demokratie.

Deshalb erhebt Pavin A. die Stimme. "Wir brauchen wirklich Hilfe", sagt sie. "Nichts wird sich ändern, wenn wir allein bleiben."