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Dresdner Wohnungsloser: "Nach zehn Monaten im Gefängnis stand ich plötzlich auf der Straße"

Heinz lebt in einem Dresdner Übergangswohnheim. Er kommt beinahe täglich zum Tagestreff der Heilsarmee. Im Jahr 2023 waren dort 50 Prozent mehr Menschen zum Essen als im Jahr davor. Was ihm der Treff bedeutet.

Von Julia Vollmer
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Martin, Heinz und Ronny (v.l.n.r.) sind täglich Gäste bei der Heilsarmee in Dresden.
Martin, Heinz und Ronny (v.l.n.r.) sind täglich Gäste bei der Heilsarmee in Dresden. © Marion Doering

Dresden. Er hatte nur die Kleidung bei sich, die er am Leib trug, und ein paar persönliche Dinge. Keine Wohnung mehr und keine Möbel. "Nach zehn Monaten im Gefängnis stand ich plötzlich auf der Straße", erzählt Heinz. Aus dem Gefängnis wurde er direkt in die Obdachlosigkeit entlassen.

Der Schock ist groß: Nach dem Gefängnis wartete nicht mehr seine Wohnung auf ihn, die Behörden hatte sie inzwischen gekündigt. So erzählt er es, seine Geschichte lässt sich nur schwer nachprüfen. Heinz musste einige Erfahrungen hinter Gittern sammeln, erzählt er. Er war nicht nur in Dresden, sondern auch in Bautzen und Torgau in der JVA. Warum er einsaß, will er der Öffentlichkeit nicht preisgeben.

Die Einsamkeit beschäftigt Heinz täglich

"Jetzt wohne ich seit zweieinhalb Jahren im Übergangswohnheim an der Wetterwarte in Klotzsche und komme jeden Tag zum Frühstück und zum Mittagessen zur Heilarmee. Ich finde es schön, hier Kontakt zu Leuten zu haben", erzählt der 63-Jährige. Nachts schläft er im Wohnheim, aber tagsüber will er gern raus. An die Luft und unter Menschen. Der Kampf gegen die Einsamkeit beschäftigt ihn täglich. Im Tagestreff der Heilsarmee auf der Reicker Straße 89 gibt es von 10 bis 14 Uhr Frühstück, Mittagessen, warme Getränke und Beratung durch Sozialarbeiter.

Sozialarbeiter Nico Schmiedhofer im Büro der Heilsarmee auf der Reicker Straße 89.
Sozialarbeiter Nico Schmiedhofer im Büro der Heilsarmee auf der Reicker Straße 89. © Marion Doering

"Ich gehe täglich raus, um Abwechslung zu bekommen und Gespräche mit Gleichgesinnten, aber auch mit den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern der Heilsarmee." In der Kleiderkammer, die gleich in der Nähe des Tagestreffs liegt, musste er sich erst einmal Klamotten des täglichen Bedarfes besorgen.

Neben ihm im Speisesaal, in dem Holztische und Stühle stehen, sitzt Martin. Der 51-Jährige hat eine eigene Wohnung, nur wenige Gehminuten entfernt. Er kommt aber trotzdem beinahe jeden Tag zum Essen hierher. Durch einen Konflikt mit den Nachbarn hat er seine alte Wohnung verloren und stand kurz vor der Obdachlosigkeit, sagt er. Durch einen privaten Kontakt fand er aber eine neue Wohnung. Ronny gesellt sich an den Tisch. Auch er musste die Erfahrung eines Gefängnisaufenthaltes machen, berichtet er.

Das Mittagessen kostet bei der Heilsarmee zwei Euro. Wer es nicht bezahlen kann, bekommt es auch kostenlos. Die Mitarbeiter lassen sich immer den Bürgergeld-Bescheid oder Dresden-Pass zeigen.

Die Zahl der wohnungslosen Menschen hat zugenommen

Viele Menschen wie Heinz und Martin kommen zur Heilsarmee. Das erzählt Sozialarbeiterin Anita Herbst. Der Bedarf an Hilfsangeboten wie diesem sei groß in der Stadt. Und er wachse stetig. Der angespannte Wohnungsmarkt, die Inflation sowie Sucht- und psychische Erkrankungen machten den Menschen zu schaffen.

Die Zahl der wohnungslosen Menschen, die die Stadt unterbringt, hat zugenommen. Aktuell sind es 343 Personen, so das Sozialamt. 2022 waren es noch 300. Im Jahr 2010 waren es 217, wie das Wohnungsnotfallhilfekonzept der Stadt aus dem Jahr 2018 zeigt. Hunderte Menschen verloren zuletzt ihr Zuhause durch Zwangsräumungen.

Die Plätze in den Unterkünften der Stadt sind fast voll, nur 387 Plätze in Wohnheimen und Wohnungen stehen in Summe zur Verfügung. Hinzu kommen die Nachtcafés.

Die Gäste kämpfen teils mit prekären Lebenssituationen

"Wir geben jeden Tag um die 50 Notfallpakete aus. Am Ende des Monats sind es deutlich mehr als zu Anfang", so Herbst. In diesen Paketen sind Lebensmittel des täglichen Bedarfs, etwa Toastbrot und Joghurt. Im Jahr 2023 waren 50 Prozent mehr Menschen bei der Heilsarmee zum Essen als im Jahr davor, berichten Herbst und ihr Kollege, Sozialarbeiter Nico Schmiedhofer. Bei den Notfallpaketen waren es 30 Prozent mehr. Im ganzen Jahr haben sie 8.058 dieser Pakete verteilt.

Lebensmittelspenden bekommt die Heilsarmee von verschiedenen Supermärkten, die angefahren werden. Für diese Aufgabe suchen Anita Herbst und ihr Team noch ehrenamtliche Helfer. Die Sozialarbeiter freuen sich immer über Spenden an haltbaren Lebensmitteln wie Nudeln und Reis. Aber auch über Schlafsäcke, Isomatten und Winterkleidung.

Supermärkten spenden der Heilsarmee Lebensmittel.
Supermärkten spenden der Heilsarmee Lebensmittel. © Marion Doering

Die Gäste, die kommen, kämpfen teils mit prekären Lebenssituationen. Armut, Obdach- oder Wohnungslosigkeit, Suchterkrankungen oder Gewalterfahrungen. "Viele Alleinstehende sind dabei, die Kontakte suchen. Der Großteil der Menschen ist von Mitte 20 bis Anfang 70", sagt Sozialarbeiter Nico Schmiedhofer.

"Wir haben sehr viele Stammgäste, die wir teilweise auch im Streetwork ansprechen und auf unser Angebot verweisen", erzählt Anita Herbst. Viele wollen essen, duschen, ihre Wäsche waschen und sich im Warmen aufhalten. Das nutzen die Sozialpädagogen, um mit den Besuchern über Anträge beim Sozialamt und Jobcenter sowie die Vermittlung zurück in eine eigene Wohnung zu sprechen. "Das Thema 'angespannter Wohnungsmarkt' ist ein großes. Wer einmal seine Wohnung verloren hat, hat es sehr schwer, wieder eine neue Wohnung zu finden", sagt Herbst.

So wie bei Heinz, Ronny und Martin. Sie sind jedoch dankbar, dass es Angebote wie den Tagestreff gibt. Auch und gerade jetzt im Winter. Ein warmer Ort zum Aufwärmen, der durch viele persönliche Gespräche auch das Herz ein wenig wärmt.

Wer die Dresdner Heilsarmee unterstützen möchte, kann spenden: IBAN: DE72350601901625240014; BIC: GENODED1DKD; KD-Bank Dresden; Verwendungszweck: HA-Dresden