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Nach Eklat um AfD-Antrag im Dresdner Stadtrat: So äußert sich die Sozialbürgermeisterin

Der Dresdner Stadtrat hat für einen AfD-Antrag zur Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete gestimmt. Jetzt erklärt Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann, welche Folgen das für die Arbeit im Rathaus hat.

Von Julia Vollmer
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Sozialbürgermeisterin Dr. Kristin Klaudia Kaufmann über die Entscheidungen im Dresdner Stadtrat.
Sozialbürgermeisterin Dr. Kristin Klaudia Kaufmann über die Entscheidungen im Dresdner Stadtrat. © Marcus Brandt/dpa und Sven Ellger

Dresden. Die Sitzung des Dresdner Stadtrates sorgte vergangene Woche für einen Eklat. Der Rat hatte für einen AfD-Antrag zur Einführung einer Bezahlkarte für geflüchtete Menschen zugestimmt - mit Stimmen der CDU-Fraktion und der FDP. Dabei fiel die Entscheidung mit 33 zu 32 Stimmen knapp aus. Auch die Fraktion der Freien Wählern unterstützte den Antrag. Im Gespräch mit Sächsische.de spricht Dresdens Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) über ihre Überraschung über das Ergebnis, die Schwierigkeiten bei der Einführung der Karte und welche Folgen das für die Arbeit im Rathaus hat.

Frau Kaufmann, bei der letzten Stadtratssitzung haben CDU und FDP einem AfD-Antrag auf die Einführung der Bezahlkarte zugestimmt. Bundesweit wurde das "Einreißen der Brandmauer nach rechts" massiv kritisiert. Auch vom CDU-Vorsitzenden. Wie ging es Ihnen damit?

Ich war sehr überrascht, weil die Diskussion in den Ausschüssen ein deutlich anderes Abstimmungsverhalten erwarten ließ. Wir hatten sehr klar die Vor- und Nachteile eines Modellprojektes zur Einführung der Karte erörtert.

War das ein reines Wahlkampfmanöver vor der Kommunalwahl am 9. Juni?

Das können Ihnen nur diejenigen beantworten, die für den AfD-Antrag gestimmt haben. Die Signalwirkung, die davon ausgeht, sehe ich sehr kritisch.

Sie sprechen von Signalen. Welche Signale sendet das jetzt an internationale Fachkräfte, wenn in Dresden die CDU mit der AfD mitstimmt, zumal in der gleichen Stadtratswoche der Beschluss Dresden zum sicheren Hafen für geflüchtete Menschen zu machen, aufgehoben wurde?

Das macht mir Sorgen. Ich hoffe nur, das bleibt ein einmaliger Fauxpas. In der Stadtverwaltung haben wir ein sehr aufgeklärtes und weltoffenes Menschenbild. Wir betrachten Vielfalt als Standortvorteil. Wir bewerben uns international um Fachkräfte. Das betrifft viele Bereiche, wie etwa die Halbleiter- und Digitalbranche, das Pflege- und Gesundheitswesen, die Wissenschaft. Wenn es dagegen um die Bereitschaft geht, humanitäre Hilfe für Schiffbrüchige im Notfall zu leisten, soll diese Stadt am Ende ihrer Kräfte sein? Das macht mich sprachlos.

Mit welchen Gefühlen und Gedanken blicken Sie jetzt mit der Erfahrung der vergangenen Woche auf die anstehende Kommunalwahl am 9. Juni?

Wir dürfen jetzt nicht in Angstmacherei oder in eine Neiddebatte verfallen. Lassen sie uns endlich wieder auf unsere Werte wie Demokratie, Zusammenhalt, Respekt und Wertschätzung besinnen. Niemand darf wegen seines Alters, seiner ethnischen Herkunft oder Nationalität, seines Geschlechts, seiner sexuellen Identität oder einer Behinderung benachteiligt werden. Das ergibt sich auch aus dem Grundgesetz.

Zurück zum beschlossenen Modellprojekt der Bezahlkarte. Wann soll diese jetzt konkret in Dresden eingeführt werden?

Der Stadtrat hat den Oberbürgermeister beauftragt, die Asylbewerberleistung mittels Bezahlkarte im Rahmen eines lokalen Modellprojektes auszureichen. Das lässt sich mit den begrenzten technischen, personellen und finanziellen Ressourcen nicht so schnell umsetzen, es wird mehrere Monate dauern.

Wie hoch werden denn die Kosten sein und wann könnten die Karten ausgegeben werden?

Ich rechne mit Kosten von rund 100.000 Euro allein für Planung und Implementierung, hinzu kommen monatliche Bereitstellungskosten in unbekannter Höhe. Für den tatsächlichen Einsatz rechne ich nicht vor dem vierten Quartal 2024. Da wir wesentlich mehr Geflüchtete begleiten als etwa der Landkreis Bautzen, ist die bundesweite Ausschreibung verpflichtend.

Die Karte wurde heftig kritisiert dafür, dass die Menschen nicht komplett selbst entscheiden können sollen, wo und wofür sie das Geld ausgeben dürfen. Sie sprachen trotzdem davon, Vorteile für Geflüchtete zu sehen. Warum?

Erstens erspart man den Menschen den Gang zum Amt, um sich das Geld abzuholen. Und ich möchte die Bezahlmöglichkeiten nicht auf Dresden begrenzen, sondern man soll auch etwa in der Sächsischen Schweiz, in Hamburg oder im Landkreis Meißen damit einkaufen gehen können.

Planen Sie denn die Beschränkungen auf bestimmte Läden wie Supermärkte oder einzelne Online-Shops? Oder sollen bestimmten Produkte vom Kauf ausgeschlossen werden?

Nein, jeder soll alle notwendigen Produkte im Laden kaufen können. Ich habe auch nichts gegen Online-Shopping. Die Karte soll eben nicht Gängeln oder Schikanieren, sondern ein normales Leben ermöglichen. Gleichsam finde ich den diskutierten Bar-Auszahlungsbetrag von 50 Euro zu niedrig. Aktuell steht beispielsweise einem alleinstehenden Geflüchteten ein Leistungssatz von 204 Euro in bar monatlich zu.

Was bedeutet das genau für die Abläufe im Sozialamt? Dauert die Bearbeitung der tausenden offenen Wohngeldanträge und Anträge auf Bildung&Teilhabe dann noch länger als ohnehin schon?

Dieses Modellprojekt wird Dresden personelle und finanzielle Ressourcen kosten. Klar ist, dass wir für das Projekt Geldkarte Mitarbeiter binden. Dieses fehlen an anderer Stelle. Also zum Beispiel bei der Bearbeitung von Bildungs- und Teilhabeleistungen. Dadurch können die Wartezeiten bis zum Bescheid nochmal ansteigen.


Sie sprachen davon, wie wichtig die Suche nach internationalen Fachkräften ist. Welche Schritte unternimmt die Stadt hier?

Um internationale Fachkräfte zu gewinnen, soll das Welcome Center der Ausländerbehörde ausgebaut werden. Das soll nicht nur Fachkräfte von außerhalb begleiten, sondern auch Menschen, die schon da sind, beim Ankommen in Dresden, bei der Suche nach Wohnungen und Kitaplätzen und bei der Anmeldung in Behörden helfen.

Wäre es daneben nicht auch sinnvoll, auch die geflüchteten Menschen aus etwa Syrien und Afghanistan, die schon einen Aufenthaltsstatus haben, besser zu integrieren in den Arbeitsmarkt?

Das ist genau mein Ansatz. Gemeinsam mit dem Sozialamt, der Arbeitsagentur, der Ausländerbehörde und dem Jobcenter arbeiten wir daran. Unser Ziel ist es, die Menschen frühzeitig zu aktivieren und mit ihnen nachhaltige Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu entwickeln. Bereits während des Asylverfahrens. Arbeitsgelegenheiten sind da ein Stichwort. Zudem dürfen Asylsuchende nach einer Wartezeit von drei Monaten mit der Zustimmung der Ausländerbehörde arbeiten. Wir wollen, dass der Job-Turbo auch bei den Menschen ankommt, die jetzt noch in Wohnheimen und Containerunterkünften untergebracht sind.