Kuschel-Expertin: "Berührungen sind Grundbedürfnis"

Dresden. Mit Kuscheleinheiten will die 34-jährige Dresdnerin Dorothea Ristau Menschen helfen, ihr Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit zu stillen. Parallel zu ihrer Ausbildung in der sinnlichen Heilmassage im Zentrum für Berührungskunst Anukan ließ sie sich zuletzt zur Kuschlerin weiterbilden. In der Corona-Zeit mit monatelangen Kontaktbeschränkungen kann sie nur beraten, doch für die Zeit danach erarbeitet sie ihr ganz eigenes Konzept zur Krisenbewältigung.
Frau Ristau, ist es ein Problem, dass wir uns nicht die Hand geben können?
Es geht weniger um das Handgeben und mehr um die vielen kleinen Berührungen im Alltag, die in der Corona-Zeit nicht möglich sind. Berührungen sind ein Grundbedürfnis, das erfüllt werden will, so wie Schlafen oder Essen. Und damit meine ich vor allem auch die Berührungen ohne sexuellen Hintergrund. Vielen ist in den vergangenen Monaten bewusst geworden, wie sehr es fehlen kann, einfach mal in den Arm genommen zu werden.
Und das wollen Sie ändern?
Sobald ich wieder darf, möchte ich Menschen dabei helfen und ihnen zeigen: Du bist nicht allein. Berührungen können Sicherheit vermitteln, Geborgenheit schenken, jemanden halten und ihn wissen lassen, wie sehr er geliebt wird. Das ist etwas anderes, als nur zu sagen: Du bist mir wichtig. Berührungen kann der Körper viel bewusster erleben.
Wird sich das nach Corona nicht wieder von selbst regeln?
In unserer Gesellschaft ist diese Art von Berührungen abseits der Sexualität weitgehend verdrängt worden. Für Menschen ohne Beziehungen hat das auch schon vor der Corona-Krise zu dem Problem geführt, dass sie das Erlebnis des Kuschelns häufig gar nicht erfahren können.
Was sollte den Kunden so eine Kuscheleinheit wert sein?
Für anderthalb Stunden berechne ich 150 Euro. Jede weitere halbe Stunde kosten 50 Euro mehr.
Sehen Sie sich also als professionelle Kuschlerin?
Das Kuscheln ist bei mir Teil eines Projektes, das sich in erster Linie mit Essstörungen beschäftigt. Allerdings steht das Kuschelangebot allen berührungshungrigen Menschen offen. Viele sehnen sich danach, die Geborgenheit ganz real mit Körper und Seele zu spüren und dabei auf tiefster Ebene genährt zu werden.
Was haben denn fehlende Berührungen mit Essstörungen zu tun?
Bei Essstörungen bis hin zur Magersucht geht die eigene Körperwahrnehmung verloren. Oft kann diese auch durch fehlende Berührungen gestört sein, womöglich schon in der Säuglingszeit. Es ist bekannt, dass sich Babys, die oft berührt werden, besser entwickeln. Wer berührt wird, ist weniger gestresst, hat weniger Angst. Berührungen stärken das Immunsystem, entspannen und lassen den Körper das Glückshormon Oxytocin ausschütten. Ich habe mich daher auf das nährende Kuscheln spezialisiert, das diesen Mangel ausgleichen kann.
Haben Sie selbst Erfahrungen mit Essstörungen?
Mit 15 Jahren bin ich selbst in eine Essstörung gerutscht, die mich begleitete, bis ich 22 war. Ich kenne das Hungern, ich kenne das Fressen, den Hass auf den eigenen Körper und die kritischen Blicke in den Spiegel. Ich kenne aber auch die Hoffnung, das Kämpfen und das Durchhalten. Schon im Jahr 2009, kurz nachdem der Spuk vorbei war, hatte ich eine leise Ahnung: Ich habe das alles nicht für umsonst durchgemacht. Nun will ich meine Erfahrungen weitergeben.
Aber Sie sind doch keine Therapeutin.
Ich habe auch selbst nie eine Therapie gemacht, sondern einen Weg gefunden, meine Selbstheilungskräfte zu stärken. Natürlich kann das nicht für jeden funktionieren, aber ich möchte Frauen helfen, wieder mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Manchmal reicht es dafür schon, eine Hand auf den Arm zu legen und in sich hinein zu spüren. Ich möchte mich nicht mit den Symptomen auseinandersetzen, sondern mit den Ursachen.
Wie weit sind Sie mit Ihrem Essstörungs-Projekt?
Ich habe das Konzept entwickelt, mich ausgiebig weitergebildet und im Bereich der Berührungen sowie im Bereich der Essstörungen Erfahrungen gesammelt. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich beides zusammenbringe.
Und wie oft haben Sie schon aktiv gekuschelt?
Im vergangenen Frühjahr hatte ich schon einige Kuscheleinheiten und habe sehr gutes Feedback bekommen. Danach gab es eine Reihe von Anfragen, bis mich das Coronavirus und die damit verbundenen Einschränkungen ausgebremst haben. Ich bin mir aber sicher, dass die Pandemie den Menschen bewusster macht, was für ein Schatz Berührungen sein können. Wenn die Krise überwunden ist, werde ich mit Sicherheit auch wieder kuscheln.
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