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"Senioren nicht sozial isolieren": Was tut Dresden?

Die Dresdnerin Ingrid Höhnel will auch mit 82 Jahren dazulernen. Sie sorgt sich um die Bildung der Älteren und wirbt deshalb für die Seniorenakademie in Dresden.

Von Henry Berndt
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Ingrid Höhnel will auch mit 82 Jahren noch dazulernen. Sie ist besorgt um die Bildung der Senioren.
Ingrid Höhnel will auch mit 82 Jahren noch dazulernen. Sie ist besorgt um die Bildung der Senioren. © René Meinig

Dresden. Die Freude über den neuen Staubsauger endete schon beim Auspacken im Frust. Vergeblich suchte Ingrid Höhnel im Karton nach einer tauglichen Gebrauchsanweisung. "Die gibt es nur online und dort auch nur auf Englisch", musste sie erfahren.

Für die 82-Jährige passt dieses Erlebnis in die Zeit. Ältere Menschen seien zunehmend gefordert, mit den gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen mitzuhalten. Unterstützung bekämen sie bei dieser Herausforderung jedoch kaum. "Die Politiker lassen sich von uns Alten wählen, aber ansonsten existieren wir für sie nicht. Bei welcher Partei spielen denn schon Angebote für Seniorenbildung eine Rolle?"

Damit Senioren nicht auf ihre Rolle als Betreuer für die Enkelkinder beschränkt werden, müssten sie selbst aktiv werden. In Dresden gibt es dafür aus ihrer Sicht gar keine so schlechten Bedingungen.

Seniorenbildung seit DDR-Zeiten

Schon seit 1978 konnten die Bürger hier die "Sonntagsuniversität" besuchen. Eine der ersten Vorlesungen wurde im DDR-Bildungsfernsehen übertragen. Nach der Wende wurde die Idee weitergeführt. 1994 wurde im Deutschen Hygiene-Museum das Erste Semester der "Dresdner Seniorenakademie Wissenschaft und Kunst" feierlich eröffnet. Inzwischen ist deren Angebot mit dem der Bürgeruniversität der Technischen Universität verbunden.

Akademische Bildungsangebote für Nicht-Studierende gibt es zwar in zahlreichen Städten, ein Zusammenschluss von mehreren Dutzend Partnern wie in Dresden, getragen von einem eigenständigen Förderverein, sei aber schon eine Besonderheit, wie Ingrid Höhnel betont.

Die 82-Jährige stammt aus Ohorn in der Oberlausitz. Sie lernte Apothekenhelferin und stand später als Pharmazie-Ingenieurin fünf Jahre lang der Betriebsgewerkschaft der Dresdner Apotheken vor. Danach wechselte sie zu Robotron und arbeitete dort mit der ersten elektronischen Schreibmaschine von Optima Erfurt und den ersten Computern. Zuletzt machte sie sich mit Finanzdienstleistungen selbständig.

"Was soll aus mir werden?"

Und dann? "Was soll aus mir werden?", fragte sie sich. "Ich habe immer gern gearbeitet und wollte mich auch im Ruhestand weiter einbringen." Ihre Söhne wohnen weit weg, im Erzgebirge und in Bayern. 2004 starb ihr Ehemann. Noch im selben Jahr kam Ingrid Höhnel in Kontakt mit der Dresdner Seniorenakademie und engagierte sich dort bis 2016 im Vorstand.

Inzwischen wohnt sie in Radeburg, fährt aber immer noch regelmäßig nach Dresden, um Vorträge der Seniorenakademie zu besuchen. Vor allem für Geschichte und Städtebau interessiert sie sich.

300 Vorträge und Kurse für 40 Euro

Das aktuelle Programm für das Wintersemester umfasst rund 300 Vorträge und Kurse. "Dieses Angebot ist enorm, wenn man bedenkt, dass auch hinter der Seniorenakademie schwierige Monate der Corona-Pandemie liegen", schreibt Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) im Vorwort des Programmheftes.

Auffallend viele Vorträge weisen thematisch in die Zukunft und beschäftigen sich zum Beispiel mit Künstlicher Intelligenz, Wasserstoff-Technologie und Gesichtserkennung. Genauso wird aber auch über ionisierende Strahlung in der Medizin, die Tücken bei der Heizkostenabrechnung und die Folgen der Corona-Krise für Sachsen informiert.

Senioren entdecken das Streamen

Sämtliches Engagement rund um die Akademie erfolgt ehrenamtlich, auch für die Vorträge selbst gibt es kein Geld. Wer dabei sein möchte, zahlt derzeit 40 Euro Semesterbeitrag und kann dann so viele Angebote wahrnehmen, wie er möchte. Während der Corona-Einschränkungen ist das alles ein bisschen schwieriger. Erweitern im Wintersemester normalerweise um die 800 Dresdner Senioren mithilfe der Seniorenakademie ihren Horizont, sind es derzeit nur 200 bis 300.

Monatelang gab es fast keine Präsenzveranstaltungen. Nach und nach wurden Online-Alternativen entwickelt und Vorlesungen per Stream angeboten. "Wir lernen gerade noch, solche Hybridveranstaltungen durchzuführen", sagt Ingrid Höhnel. "Womit wir wieder bei den Tücken der Technik wären."

"Lernen sollte nicht nach der Ausbildung aufhören", resümiert die 82-Jährige. "Auf dem Papier als lebenslang gleichberechtigt zu gelten nützt allein nichts, man muss auch dazu fähig sein, die Gleichberechtigung wahrzunehmen." Möglichkeiten für den Austausch zwischen Alt und Jung seien entscheidend, um der Vereinsamung und gesellschaftlichen Isolierung von Senioren entgegenzuwirken. "Die Gesellschaft tut gut daran, die Kompetenz der älteren Mitbürger zu erhalten."