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In der Semperoper Dresden heißt es "Ach, du meine Nase"

Regie-Altmeister Peter Konwitschny inszeniert in Dresden Schostakowitschs Geniestreich-Oper als hintergründigen Theaterspaß.

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James Kryshak jagt als Geheimagent) den zufälligen Finder der Nase, den Barbier (Jukka Rasilainen).
James Kryshak jagt als Geheimagent) den zufälligen Finder der Nase, den Barbier (Jukka Rasilainen). © Ludwig Olah

Von Jens Daniel Schubert

Man sagt, sie sei ein Geniestreich des jungen Dmitri Schostakowitsch. Als Joachim Herz "Die Nase" 1986 in Dresden inszenierte, erfreute sie sich größter Beliebtheit. Der Premierenapplaus am Sonnabend in der Semperoper verheißt sie auch der neuen Inszenierung – diesmal von Peter Konwitschny realisiert.

Die Geschichte stammt von Gogol. Als der Barbier Jakowlewitsch aus seinem Rausch erwacht, findet er eine Nase. Seine Frau keift ihn aus dem Haus, "das Ding" zu entsorgen. Das ist schwierig, weil immer irgendwer dazwischenkommt und schließlich zwei Geheimagenten ihn deswegen inhaftieren.

Gleichzeitig erwacht Platon Kusmitsch Kowaljow und vermisst seine Nase. Keine klaffende, blutige Wunde. Einfach nichts. Glatte Haut. Nun verfolgt er seine Nase, denn er braucht sie. Ohne Nase ist man kein Mensch.

Die Nase hat sich selbstständig gemacht. Sie taucht hier als Staatsrat auf, wird dort gefeiert, die Massen jagen ihr nach.

Die Geschichte ist völlig verrückt

Die Geschichte ist skurril und völlig verdreht. In der Ausstattung von Helmut Brade kommt sie nochmals abstrakter und absurder auf die Bühne.

Aus einer schachbrettartigen Fläche heben und senken sich einzelne Spielorte, mal in Orange, dann sonnenblumengelb, eine Zeitungsannoncenannahmestelle, tapeziert mit bedrucktem Papier, eine Polizeistation in Grün und schließlich, zwischen weißen Wölkchen ein blauer Himmel, durch dessen Tapetentür der liebe Gott samt Engel und Jesus in weißen Flatterhemden, mit goldenem Heilgenschein, Dornenkrone und Kreuz auftreten. So führt die Inszenierung die fantasievolle, verückte Ausgangslage von Novelle und Opernsujet zu neuen Höhen.

Peter Konwitschny hatte in Dresden mit seiner "Norma"-Interpretation diese Spielzeit eröffnet. Damit setzte er die lange Reihe seiner durchaus widersprüchlich aufgenommenen Operninterpretationen fort. Nun rundet er die Semperoper-Spielzeit mit seiner Sicht auf "Die Nase" ab. Und er erweist sich als Altmeister der Regiekunst.

Mit einem Feuerwerk an Ideen, genauer Personenführung und eindrucksvoller Chor-Regie schafft er Bilder und Geschichten. Sie sprühen vor Energie, fesseln und sind theatralisch. Konwitschny und seine Darsteller zeigen großen Spaß am szenischen Fabulieren, am Spiel mit Situationen, Bewegungen und Klischees. Das macht einfach Laune.

Dazu kommt, dass Schostakowitschs Musik in Petr Popelka einen hervorragenden Sachwalter hat. Der Tscheche mit Vertrag in Prag und Norwegen hat in Dresden bislang nur auf Semper Zwei dirigiert. Er ist aber dem Orchester bestens vertraut. Wie "Norma"-Dirigent d’Espinosa hatte auch Popelka selber als Instrumentalist lange in der Kapelle gespielt. Vom Kontrabassisten zum Kapellmeister – das hat auch schon der Böhme Zelenka vor 300 Jahren geschafft.

#Nase? #Nase!

Popelka hat Schwung und Präzision, den großen, vielschichtigen Orchesterapparat und die unterschiedlichsten Stilrichtungen und musikalischen Farben, mit denen die Partitur jongliert, zusammenzuführen. Schostakowitsch durchbricht die klassische Opernform durch mehrere große Zwischenspiele, darunter eins ausschließlich für Schlaginstrumente, in denen sich die Musiker so richtig ins Zeug legen.

Neben dem riesigen Schlagwerk zeigt der Blick in den Orchestergraben beispielsweise zwei Harfen und ein Balalaika-Quartett. Auf der Bühne tummeln sich mehr als vierzig Solisten und Chorsolisten in fast fünfzig Rollen, dazu Staatsopernchor, Sinfoniechor und Chorgäste, die zu einem beeindruckenden Gesangsensemble zusammengefügt sind.

Allen voran strahlt Bo Skovhus in der Rolle des Kowaljow. Wie er den Verlust seiner Nase bejammert, ihr nachjagt, um sie ringt, sich in Selbstmitleid verliert und in grotesker Freude tanzt, vor den Geheimagenten duckmäusert und die Sturmbahn vor- und rückwärts bezwingt, ist ein Paradestück. Diese beeindruckende Leistung ist allerdings in den vielen Rollen rundum aufgehoben, in denen gefühlt das gesamte Solistenensemble des Hauses zu erleben ist.

Die Bühne ist voll, im Zuschauerraum gab es zur Premiere noch viele freie Plätze. Das ist schade, denn "Die Nase" ist nicht nur ein überaus unterhaltsamer Theaterspaß, sondern, da bleibt sich Konwitschny treu – hinter- und tiefsinnig.#Nase? #Nase!Was ist das, diese "Nase", die in dieser Inszenierung als rote Clownsnase in jedem Gesicht prangt?

Was ist es, das man braucht, um Mensch zu sein und "unter Leute" gehen zu können? Welchen Phänomenen jagt die Gesellschaft, einzeln oder in großen Gruppen, nach? #Nase! Wie grotesk und abgedreht, wie verrückt ist diese Gesellschaft?

Wer nach dem Sinn der Operninszenierung sucht, wird sich diese Fragen stellen. Der junge Schostakowitsch in der Sowjetunion der Neuen ökonomischen Politik stellte sie anders als Herz Mitte der Achtziger in der DDR und Konwitschny dem heutigen Publikum.

Wieder: 7., 10. und 13. Juli sowie kommende Saison; Kartentelefon: 0351/4911705