Lasst uns über Respekt auf dem Blauen Wunder reden

Dresden. Was hat eine Brückenbaustelle mit Fragen von Anstand und Respekt zu tun? Im Falle des gesperrten Blauen Wunders sehr viel. Hier prallen unterschiedliche Lebensphilosophien aufeinander und selten werden sie so deutlich sichtbar wie auf dem schmalen, stellenweise nur zwei Meter breiten Fußweg, der zur Verfügung steht.
Seit knapp drei Wochen ist das historische Bauwerk nur zu Fuß zu überqueren, weil an ihm bis zum 19. August dringende Reparaturen nötig sind. Und so sind von den frühen Morgen- bis in die Abendstunden mitunter große Menschentrauben von Loschwitz nach Blasewitz und in die Gegenrichtung unterwegs.
Darunter Ältere mit Rollator, Eltern mit Kinderwagen, kleine Kinder auf dem Laufrad, aber auch Touristen, die zum Teil staunend auf der berühmten Brücke stehenbleiben. Manche wollen schnell über das Blaue Wunder, andere lassen sich Zeit. Überholen ist schwierig, eben weil nur so wenig Platz ist und ständig Passanten aus der Gegenrichtung kommen.
Da kommt der Radfahrer ins Spiel. Für ihn gilt eine klare Regel: Er muss sein Fahrrad schieben. Doch die ist für einen Großteil nur Makulatur.
Schnelle Rennradfahrer zischen zwischen sich begegnenden Fußgängern hindurch, Mountainbiker stehen in den Pedalen und fahren im Zeitlupentempo direkt an der Hose des Vordermanns, Menschen mit dicken Satteltaschen entschuldigen sich knapp, wenn sie Passanten rechts und links anrempeln. Ihnen fehlt der Respekt gegenüber den Fußgängern. Sie fühlen sich schon mit dem kurzen Schieben in ihrer eigenen Freiheit beschnitten. Zwei Minuten Zeitverlust sind für sie nicht verkraftbar. Dass andere unter ihrer Rücksichtlosigkeit leiden, spielt für sie überhaupt keine Rolle.
So kommt es, dass die knapp 400 Meter lange Baustelle im Kleinen große Fragen aufwirft: Wie wollen wir miteinander umgehen? Sind Regeln im Zusammenleben überflüssig geworden? Mag sein, dass viele diese Fragestellungen angesichts eines engen Fußweges als überspitzt abtun, sie als kleinlich belächeln. Dabei ist genau diese Brückenbaustelle perfekt dafür geeignet, im Kleinen zu zeigen, wie es im Großen funktionieren kann. Eigentlich.