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Einkaufen beim Lidl-Bäcker

Der Discounter bäckt selbst. Seit einem Jahr in Bischofswerda, jetzt auch in Neukirch. Anderen Bäckern schmeckt das gar nicht.

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© Steffen Unger

Ingolf Reinsch

Neukirch. Zwei Stunden nach der Öffnung müssen die ersten Waren schon nachgebacken werden. Croissants, Flammkuchen und Fußballbrötchen sind die Renner am Donnerstagvormittag. Christin Müller hat zu den dunklen Fußballbrötchen gegriffen. „Die sind lecker. Die kaufe ich immer“, sagt die junge Frau. So wie sie haben an diesem Vormittag viele, die ihren Einkaufswagen durch den Neukircher Lidl-Markt schieben, eine Tüte mit Gebackenem darin.

Nach viermonatigem Umbau nahm der Discounter am Donnerstag eine neue Backstation in Betrieb. Gebacken wurde bei Lidl in Neukirch schon vorher. Aber auf engem Raum und mit begrenztem Sortiment. Jetzt gibt es einen separaten Vorbereitungsraum mit einem Backofen. Ramona Müller schiebt dort die Teigwaren hinein, die tiefgefroren angeliefert werden. Brote, Brötchen, süße Teilchen werden aufgebacken und kommen noch ofenwarm in die Auslage, wo sich die Kunden bedienen können. Planmäßig bäckt der Discounter dreimal am Tag, bei Bedarf wie am Donnerstag auch mehr.

Erika Blarr kauft jeden Donnerstag bei Lidl in Neukirch ein. Jedes Mal nimmt sie Brötchen mit. „Die schmecken mir, und sie sind preiswert“, sagt sie. Auch Anja Scharf findet die billigen Brötchen klasse, gerade „wo bei den Bäckern vieles teurer wird“. Sie lobt die neue Backstation, die Zangen bzw. Schaufeln hat, mit denen man die Ware aus den Fächern nehmen kann. „Das ist sehr hygienisch. Hygienischer als in vielen anderen Märkten“, sagt sie.

Veränderte Kauf- und Essgewohnheiten

Auf dem Parkplatz vor dem Markt verstaut ein Mann mittleren Alters seinen Einkäufe im Auto, darunter ein Roggenbrot und ein Baguette. Die Verbraucher sollten sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen, sagt er. „Die Menschen werden älter und sie sind gesünder als früher – trotz der veränderten Kauf- und Essgewohnheiten.“

Dass Aufbackbrötchen nicht zwingend schlechter sein müssen als echte Handwerkerware, ergab ein Test des ZDF-Wirtschaftsmagazins Wiso: „Industriebrötchen sind gutes Mittelmaß“, so das Ergebnis. Es gebe auch Handwerksbäcker und Großbäckereiketten, die eingefrorene Teiglinge nutzen, die erst im Laden innerhalb weniger Minuten aufgebacken werden, bzw. die mit industriell gefertigten Backmischungen arbeiten, erklärten die Fernsehtester.

Altmeister Michael Gnauck und sein Sohn Andreas, Juniorchef der gleichnamigen Neukircher Bäckerei, gehören nicht dazu. Was bei ihnen über den Ladentisch geht, ist 100 Prozent Handarbeit. Den Sauerteig fürs Brot setzen sie, wie schon die Generationen vor ihnen, am Abend zuvor an. „Wir bekommen die Waren nicht über weite Strecken angeliefert. Bei uns sind es gerade mal 20 Meter vom Backofen bis zum Verkaufstisch“, sagt Andreas Gnauck. Seine Bäckerei befindet sich keine 100 Meter vom Lidl entfernt. Er will weiterhin mit Handwerkerqualität überzeugen und hofft, dadurch seine Kunden zu behalten. „Dass sie erst mal das neue Angebot ausprobieren, ist normal“, sagt der 44-jährige Bäckerei-Inhaber. Darüber hinaus musste er schon jetzt gegen eine starke Konkurrenz bestehen: Lidl gegenüber, Netto mit einem Bäcker in der Vorkassenzone 200 Meter entfernt, wöchentlich der Verkaufswagen eines Mitbewerbers, der in Nähe seines Geschäftes Station macht.

Die große Semmel kostet bei Andreas Gnauck 45 Cent. Lidl gegenüber verkauft sie für 25 Cent. Das kleine Brötchen im Discounter bekommt man für 13 Cent, einen Pfannkuchen für weniger als 50 Cent. Handwerksbetriebe können da nicht mithalten. Und jeder ist gut beraten, der sich auf den ruinösen Preiskampf mit den Discountern nicht einlässt, sondern nach Nischen sucht, die ihn von den Großen qualitativ unterscheidet.

Kleine Betriebe haben es schwer

Als vor einem Jahr Lidl seine neuen Markt mit Backstation in Bischofswerda eröffnete, bemerkte die nahe gelegene Bäckerei Thomschke kurzzeitig einen Umsatzrückgang, der sich zwischenzeitlich wieder auf dem alten Stand eingepegelt hat. „Die Kunden probieren die Ware und entscheiden dann, wo sie kaufen“, sagt Liane Richter, Inhaberin der Bäckerei in Oberottendorf mit Filialen unter anderem an der Bischofswerdaer Ringstraße und in Putzkau. Nach ihrer Einschätzung hat sich das Kaufverhalten der Kunden grundlegend verändert. Kaum einer geht heute noch ausschließlich zu einem Bäcker. „Wer einmal im Discounter ist, nimmt gleich ein paar Brötchen mit. Und wer im Wohngebiet nur ein paar Semmeln kaufen möchte, der läuft nicht erst zu Lidl über die Neustädter Straße, sondern der kommt zu uns ins Geschäft“, sagt Liane Richter.

Zugleich spricht die Meisterin, die sich ehrenamtlich in der Bäckerinnung des Nachbarlandkreises Sächsische Schweiz engagiert, von einem „unfairen Wettbewerb“. Discounter wie Lidl, Aldi oder Penny bekommen als Großabnehmer wesentlich günstigere Konditionen als Handwerksbetriebe – sei es beim Einkauf der Ware oder beim Strom. „Kleine Betriebe haben es da schwer, sich am Markt zu behaupten.“, sagt Liane Richter.

Laut Statistik macht in Deutschland jeden Tag eine Bäckerei zu. Auch, weil die Konkurrenz der Großen erdrückend ist. Das sei nun mal der Lauf der Entwicklung, sagt der Mann mit dem Roggenbrot und dem Baguette vor dem Neukircher Lidl. Früher gab es Gemüseläden, Milchgeschäfte, Tante-Emma-Läden – jetzt Ausnahmen. Er weine als Kunde nicht den Bäckern hinterher und werde auch nicht Lidl hinterher weinen, sollte irgendwann einmal der Online-Handel die Discounter verdrängen.