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Vorsicht bei Kleidertausch in der Familie

Klamottenteilen ist bei Geschwistern oft Alltag. Doch Eltern sollten vorsichtig sein. Manchen Kindern geht es damit nicht gut.

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Nein, das ziehe ich nicht an.
Nein, das ziehe ich nicht an. © F. Schuh/dpa

Von Suria Reiche

Mit mehreren Kindern gibt es meist richtig viel davon: Klamotten in allen Größen, die in unterschiedlichen Kisten auf ihren Einsatz warten. Den Schneeanzug von vor drei Jahren? Den kann doch die kleine Schwester noch anziehen. Die Strumpfhosen des älteren Bruders? Ach, die gehen auch noch.

Wer mit Geschwistern aufwächst, kennt das Tauschen und Auftragen von Kleidung. Das ist zum einen praktisch und nachhaltig, kann die Kinder zum anderen aber ganz schön nerven. „Kleider gehören nah zum Körper. Sie sind ein unglaublich wichtiger Teil der Identität eines Menschen. Das sollten Eltern auch schon bei Kleinkindern im Blick haben“, lautet die Erklärung von Ulrich Gerth. Er ist Diplom-Psychologe vom Beratungs- und Jugendhilfezentrum der Caritas in Mainz.

Silke Krämer ist Kinder- und Jugendcoach in Heidelberg. Auch sie findet, dass Kleidung bei Kindern etwas sehr Individuelles ist: „Es gibt verschiedene Sinnestypen. Wenn ein Kind eher visuell veranlagt ist und gern enge Strumpfhosen und kurze Röcke trägt, dann muss das nicht unbedingt das Richtige für sein Geschwisterkind sein. Das zieht vielleicht lieber kuschelige Pullover an.“ Wenn Eltern diese Feinheiten außer Acht lassen, kann das Kinder in ihrem Wohlbefinden einschränken.

Klamottentausch als Experiment inszenieren

Denn vor allem bei älteren Kindern hat Kleidung nicht nur eine Schutzfunktion, sondern ist ein Ausdrucksmittel: Wer gerne in Baggy-Hosen herumläuft, oder knappe Oberteile trägt, zeigt damit seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Peer-Gruppe. So sieht es Maria Schweizer-May, die als Familienberaterin beim Kinderschutzbund in Köln arbeitet.

Welche und wie viel Kleidung eine Familie zur Verfügung hat, hängt natürlich auch immer von ihrer Situation ab: Manche können es sich schlicht nicht leisten, dem Kind jeden Herzenswunsch von den Augen abzulesen. „Natürlich gibt es hier Restriktionen. Menschen, die sich und ihren Kindern keine teure Kleidung kaufen können, müssen zwangsläufig auf Gebrauchtes zurückgreifen“, sagt Gerth.

Das Weitergeben von Klamotten innerhalb der Familie kann aber auch positiv besetzt sein: In vielen Situationen finden Kinder es lustig, die Kleidung mit ihren Geschwistern zu teilen und zu tauschen. „Es kann ein Spiel für Kinder sein, mal mit Geschlechterzuschreibungen zu experimentieren, auch das sollten Eltern zulassen“, sagt Schweizer-May.

Trotzdem gehöre es dazu, dass jedes Kind ein paar Dinge hat, die nur ihm selbst gehören und in denen es sich wohlfühlt. Wenn es immer auf die abgelegte Kleidung seiner älteren Geschwister zurückgreifen muss, die es womöglich nicht einmal besonders schön findet, dann sei das ungerecht.

Ältere Kinder sollen selbst entscheiden dürfen

„Es geht um Kompromisse. Die Eltern sollten dem Kind ein Stück weit entgegenkommen“, rät Krämer. Und sie sollten Vorbilder sein. Wer sich selbst ständig neue Kleidung kauft, während die Kinder die abgelegten Sachen tragen müssen, hat schlechte Argumente.

Mit dem Älterwerden der Kinder haben Eltern ohnehin schlechtere Karten, bei der Auswahl der Klamotten mitzureden. Und zwar völlig zu Recht: Denn nur so hat das Kind die Option, sich völlig frei zu entwickeln. „Es ist gut für das Selbstwertgefühl, sich selbst so anzuziehen und auszudrücken, wie man es gerne möchte“, bestätigt Krämer.

Die Anschaffung von Kleidung kann für Eltern trotzdem ein guter Anhaltspunkt sein, um mit ihren Kindern über Nachhaltigkeit zu reden, zum Beispiel darüber, wie viele Klamotten jedes Jahr im Müll landen. „Und dass es gut ist, auch mal Gebrauchtes anzuziehen, statt immer etwas Neues zu wollen“, sagt Krämer. Viele Kinder würden das verstehen. Dennoch sollen Eltern ihr Kind nicht zu etwas zwingen, was es partout nicht anziehen möchte. „Wenn sie merken, dass das Kind die gebrauchte Kleidung von seinen Geschwistern nicht anziehen möchte, dann muss es andere Möglichkeiten geben“, sagt Schweizer-May. Schließlich gebe es wichtigere Dinge, als sich über Klamotten zu streiten. (dpa)