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Die größten Fehler der Rechtsmediziner im Krimi

Von wegen Ermittler und Wagner-Beschallung: Boerne & Co. agieren, wie es richtige Pathologen nie tun würden.

Von Bernd Klempnow
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Ist für amüsierende Obduktionen bekannt: Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) im „Tatort“ aus Münster. Hier vermutet er, dass Opfer mit einem speziellen Hammer getötet wurden, und testet es an einem Schweinskopf.
Ist für amüsierende Obduktionen bekannt: Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) im „Tatort“ aus Münster. Hier vermutet er, dass Opfer mit einem speziellen Hammer getötet wurden, und testet es an einem Schweinskopf. © WDR Kommunikation/Redaktion Bild

Und täglich viele Leichen. Egal, ob man öffentlich-rechtliche oder private Sender einschaltet, überall laufen Kriminalfilme. Und in den meisten haben mehr oder minder prominente Pathologen einen wichtigen Part. Einer der ersten populären ist seit 1997 beim „Tatort“ aus Köln im Einsatz: Dr. Joseph Roth, dargestellt vom markanten Glatzkopf Joe Bausch. Von 1998 bis 2007 ermittelte Ulrich Mühe im ZDF in der „Der letzte Zeuge“. Zuhauf gibt es welche etwa in den US-Serien wie „CSI“, „Criminal Minds“ und „Bones – Die Knochenjäger“. In der britischen Thriller-Serie „Silent Witness“ agieren gleich Gerichtsmediziner. Dennoch dürfte keine dieser Figuren das Bild des Rechtsmediziners zumindest in Deutschland so geprägt haben wie die des so arroganten wie genialen Professors Karl-Friedrich Boerne im „Tatort“ aus Münster – gespielt von Jan Josef Liefers.

Kriminaltechnisch Super-Gaus

Ob nur Stichwortgeber für genervte Kommissare oder selbst ermittelnd – der Berufsstand, der vor Jahren faktisch unbekannt war, gehört mittlerweile zum Stamm der Krimi-Ensembles im Fernsehen. Freilich, wie er dargestellt wird, entstammt der Fantasie von Drehbuchautoren und hat nichts mit dem Alltag richtiger Rechtsmediziner zu tun. Der sieht ganz anders aus.

„Nie“ würde beispielsweise Michael Tsokos, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Charité und des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin-Moabit, auf die Idee kommen, „nach Feierabend Verdächtige zu beschatten“ oder sich „nachts Zutritt zu einem Tatort“ zu verschaffen. Und Tsokos, der auch Autor launiger Sachbücher wie „Die Zeichen des Todes“, „Sind Tote immer leichenblass“ und „Schwimmen Tote immer oben?“ oder Thriller wie „Abgeschnitten“ (mit Ko-Autor Sebastian Fitzek) ist, benennt weitere Fehler und Irrtümer der TV-„Kollegen“.

So ist es „pure Fantasie“, dass ein Rechtsmediziner bei der Vernehmung und Verhaftung von Verdächtigen dabei ist. Für den kriminaltechnischen Super-Gau hält er, dass Angehörige die Opfer identifizieren. Der Grund: Gut die Hälfte aller Morde sind Beziehungstaten, eine Spurensicherung findet erst bei einer Obduktion statt. Würden Angehörige die Toten noch einmal sehen oder anfassen, würden sie zwangsläufig Spuren auf den Leichen hinterlassen. Somit wäre anschließend nicht klärbar, ob die Spuren schon vor dem Besuch in der Pathologie vorhanden gewesen sind. Auch liegen hier wichtige Akten und Schreiben von der Staatsanwaltschaft und der Polizei aus, die nicht in die Hände unbefugter Dritter gelangen dürfen. Deshalb erhalten diese nie unangemeldet Zutritt zu den Sektionssälen. Diese sind das „Allerheiligste“.

Von wegen Kellerräume. Die Pathologen brauchen Tageslicht, weil das Kunstlicht Leichenflecken verfremden kann. Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, l-r), Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) u
Von wegen Kellerräume. Die Pathologen brauchen Tageslicht, weil das Kunstlicht Leichenflecken verfremden kann. Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, l-r), Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) u © WDR

Zudem dürfte jeder wissen, dass eine Identifizierung anhand von Gesichtszügen kaum möglich ist, weil die postmortalen Veränderungen oft so stark sind. Besser für eine Zuordnung eignen sich Narben, Tätowierungen oder künstliche Gelenke.

Auch völlig am Leben vorbei, sind sich Pathologen einig, ist die Darstellung der Filmtoten als leichenblass Daliegende. Denn Fäulnis und Gasbildung in den toten Körpern sorgen dafür, dass sich die Haut bläulich-violett verfärbt und Leichenflecken entstehen. Letztere sowie die Leichenstarre gelten als sichere Todeszeichen. Anders als in vielen Krimis, in denen Polizisten nach einem fehlenden Puls – gern an der Halsschlagader – suchen. Dabei reicht das für das Feststellen des Todes nicht aus. Pulslosigkeit oder Atemstillstand gelten als unsichere Todeszeichen, weil die Opfer beispielsweise nach Stromschlägen oder Unterkühlung nur scheintot sein können.

„Walküre“ beim Aufsägen der Körper?

Ebenso anders als bei Boerne & Co. wird auch die Lagerung der Leichen gehandhabt. Während diese im Film teilweise noch ewig in Kühlkammern liegen, werden sie in der Realität nach der Obduktion relativ schnell zur Bestattung freigegeben.

Ebenso ist es eine Mär, dass die Sektionssäle im Keller sind. Weil viele dieser Räume aus früheren Zeiten stammen, war man beim Obduzieren auf das Tageslicht angewiesen. Außerdem kann künstliches Licht Verfärbungen der Haut, die auf eine bestimmte Todesursache schließen lassen, verfremden. Leichenflecken bei einer Kohlenmonoxidvergiftung sind beispielsweise hellrötlich, fast pink. Kunstlicht verfremdet den Farbton extrem, dass selbst Experten die Verfärbungen übersehen könnten.

In einem freilich stimmt laut Michael Tsokos und seinen Kollegen das Bild der schrägen TV-Pathologen mit den richtigen überein. Sie gelten als „etwas spezielle Zeitgenossen, absolut lebensfrohe“, aber keineswegs als schlecht gelaunte Zyniker, wie sie in manchem Krimi herumlaufen. Und sie sind hartgesottene Zeitgenossen. Kein Rechtsmediziner würde sich wie im „Schweigen der Lämmer“ vor der Inspektion einer Leiche Mentholpaste unter die Nase schmieren. Weil erstens, der tägliche Einsatz für die Haut ätzend ist. Und zweitens, weil der Geruchssinn bei der Obduktion hilfreich sein kann. Ein fruchtiger Geruch der inneren Organe kann auf einen entgleisten Zuckerstoffwechsel hindeuten. Der Geruch nach Ammoniak auf ein Nierenleiden, aromatischer Geruch auf Alkoholkonsum vor dem Tode, und bei Bittermandelgeruch besteht die Möglichkeit einer Blausäurevergiftung.

Und wie steht es mit der Beschallung? Professor Boerne hört ja vorzugsweise Musik von Richard Wagner. Bei Operationen ist ja der positive Effekt von klassischer Musik auf die Patienten erwiesen. Für die „Patienten“ der Rechtsmediziner, so Michael Tsokos, komme jede Entspannung jedoch zu spät, deshalb könne die Stereoanlage ausgeschaltet bleiben.

  • Sachbücher zu diesem Thema und Krimis von Michael Tsokos sind im Droemer-Knauer-Verlag erschienen.