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Iris Berben: "Ich bin für Randale, ich bin für Anarchie"

Ab nächste Woche ist Iris Berben in der Komödie „791 km“ auch in den sächsischen Kinos zu sehen. Ein Gespräch über Film, Streitkultur und das Leben.

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Schauspielerin Iris Berben, ab 14. Dezember im Film „791 km“ im Kino zu erleben, sagt: "Wir leben in einer Welt, in der man sehr wenig, und wenn, sehr laut kommuniziert.“
Schauspielerin Iris Berben, ab 14. Dezember im Film „791 km“ im Kino zu erleben, sagt: "Wir leben in einer Welt, in der man sehr wenig, und wenn, sehr laut kommuniziert.“ © dpa

Bereits als 17-Jährige begann Iris Berben, die 1950 in Detmold geboren wurde, ihre Schauspielkarriere. Die politisch stark engagierte Künstlerin war in klamaukigen TV-Formaten ebenso zu sehen wie in anspruchsvollen Kinofilmen. Derzeit spielt sie in der Serie „Deutsches Haus“ mit sowie in der Kinokomödie „791 km“, die nächste Woche startet.

Frau Berben, in Ihrem Film „791 km“ fahren fünf fremde Menschen mit dem Taxi von München nach Hamburg, weil die Bahn wegen eines Sturms ausfällt. Haben Sie mal eine vergleichbare Fahrt hinter sich gebracht?
Ganz so lange nicht, aber auf einem Flug nach Neapel wurde die Maschine vom Blitz getroffen. Horror. Ein schreckliches Scheppern. Alle Szenarien durchgespielt. Notlandung in Rom. Aufatmen! Von da aus dann drei Stunden mit dem Taxi weiter nach Neapel. Wir waren nur zu zweit, mein damaliger Lebensgefährte und ich.

Fahren Sie gerne Taxi?
Wenn es sein muss. Früher hatte das schon etwas Feudales. Als ich jung war, da leistete man sich ein Taxi. Das war ein Statement. Heute hingegen kann man manchmal vergessen, dass Taxifahren eigentlich eine Serviceleistung ist. Gerade in Berlin. Da fühle ich mich oft eingesperrt mit einem fremden Menschen, der schlechte Laune hat.

Nilam Farooq (l.) als Tiana und Iris Berben als Marianne in einer Szene des Films "791 km".
Nilam Farooq (l.) als Tiana und Iris Berben als Marianne in einer Szene des Films "791 km". © PANTALEON Films

Im Film verkörpern die fünf Insassen verschiedene Gesellschaftsmilieus und geraten dementsprechend schnell in Streit über Politik, Klima, Lebensentwürfe. Die Botschaft lautet trotzdem: Es gibt mehr, was uns verbindet, als uns trennt. Eine ziemliche Utopie, oder?
Ja, aber Kunst kann doch ein Transportmittel für utopische Gedanken sein. Dennoch haben Sie natürlich recht: Wir leben in einer Welt, in der man sehr wenig, und wenn, sehr laut kommuniziert.

Welcher Figur im Taxi fühlen Sie sich privat am nächsten? Der altlinken Marianne, dem stoischen Taxifahrer Josef, dem jungen Träumer Philipp?
Mir hat die Figur der entwicklungsverzögerten Susi gefallen, die Lena Urzendowsky spielt. Ich bin 73, ich bin gefüttert mit Leben. Aber manchmal hat man ja eine Sehnsucht, wieder in die Naivität der Kindheit zurückzukommen, in so eine unmittelbare Wahrnehmung der Dinge. Darin liegt auch eine große Klarheit.

In einer Talkshow erzählten Sie mal, dass bei Ihnen zu Hause gelegentlich Geschirr fliegt. Können Sie gut streiten?
Ich schmeiß nicht mehr, aus dem Alter bin ich raus. Aber es stimmt, ich habe ein relativ ungezügeltes Temperament, und ich bin jemand, der in seiner Ungeduld manchmal nicht ganz fair ist. Mir fällt es schwer, die Klappe zu halten. Ich übe das noch.

Iris Berben als Rachel Cohen in der Mini-Serie "Deutsches Haus", die bei Disney+ zu sehen ist.
Iris Berben als Rachel Cohen in der Mini-Serie "Deutsches Haus", die bei Disney+ zu sehen ist. © Disney+

Am Anfang des Films sitzt Ihre Figur Marianne mit den Klimaaktivisten auf dem Boden des Münchner Hauptbahnhofs. Finden Sie zielführend, was gerade passiert?
Zielführend ist es, glaube ich, nicht. Und ja, ich vergleiche das natürlich mit damals. Auch 68 war wirklich nicht alles zielführend und manchmal auch nicht legal. Deshalb ist mir Fridays for Future heute näher, als es die Klimakleber von der „Letzten Generation“ sind. In meiner Wahrnehmung holt Fridays for Future die Menschen mehr ab. Und das ist wichtig, weil Veränderung vielen Menschen Angst macht. Demonstrationen und Streiks erschließen sich da eher als Angriffe auf Kunstwerke und das Blockieren von berufstätigen Menschen und Rettungswagen. Allerdings irritiert mich sehr die Haltung von Greta Thunberg zum Angriff der Hamas auf Israel. Ihre Vorbildfunktion ist dadurch sicherlich für viele infrage gestellt. Umso wichtiger, dass sich Luisa Neubauer offen gegen diese Aussagen stellt.

Der erste Streit im Taxi entzündet sich an einem Song im Radio und der Forderung, ihn auszuschalten, weil gegen den Sänger Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden. Joachim Króls Figur findet das albern. Wie sehen Sie das?
Egomanen gab es zu allen Zeiten. Künstler und Werk zu trennen, schaffe ich manchmal, aber nicht immer. Ich habe vor Kurzem den Film „American Beauty“ mit Kevin Spacey noch mal gesehen, da würde ich nie sagen: Das ist ein Scheiß-Film, weil Spacey sich vor Gericht wegen Missbrauchsvorwürfen verantworten musste. Bei Klaus Kinski aber fällt mir das nicht so leicht. Ich war ein riesiger Fan seiner Filme und auch seiner durchgeknallten Talkshow-Auftritte. Ich bin für Randale, ich bin für Anarchie. Aber was man dann alles über ihn erfährt …

… seine Tochter Pola beschuldigte ihn, sie jahrelang sexuell missbraucht zu haben …
… da muss ich schon sagen: schwierig. Aber es ist mir wichtig, dass ich selbst entscheiden kann, wie ich darüber denke, und nicht jemand anders das für mich tut. In Amerika fingen sie vor einer Weile an, Zigaretten aus Filmplakaten der 70er Jahre zu retuschieren. Kinder, wir sind erwachsene Menschen! Du musst Dinge in den Kontext ihrer Zeit setzen. Das denke ich auch bei Kinderbüchern, die umgeschrieben werden. Ich halte reden für besser: Guck mal, so wurde das mal beschrieben und ich sage dir jetzt, warum das heute nicht mehr geht. Wenn du aber die Diskussionsgrundlage ganz wegnimmst, kannst du dich auch nicht damit auseinandersetzen. Aber wahrscheinlich muss das Pendel immer erst mal sehr weit ausschlagen, damit überhaupt etwas verändert wird. Das Leben ist lebenslange Veränderung.

Nur, dass es manch einem nicht schnell genug geht. Auch über Cancel Culture streiten die Figuren.
Ich mag dieses Wort „canceln“ nicht. Aber natürlich weiß ich um die Diskussionen. Ein Politiker, eine Schriftstellerin hat irgendeinen Satz gesagt, und dann kommt dieses große anonyme Gericht, und urteilt darüber. Das finde ich arrogant. Auch hier wäre die gemeinsame Auseinandersetzung wichtig.

Nächstes Konfliktthema: #MeToo. Króls Figur sagt dazu den Satz: „Männer sind einfach primitiv. Das muss man einfach mal so anerkennen.“
Kein Satz, den ich so unterschreiben würde. Jede Veränderung kannst du nur miteinander machen und erst recht eine strukturelle. Und ein Großteil der Strukturen, auch in unserer Filmbranche, bestätigt ja, dass häufig Männer in Machtpositionen sitzen. Das heißt aber nicht, dass Machtmissbrauch ein rein männliches Problem ist. Ich kenne auch Frauen, die Macht missbrauchen. Also insgesamt ein Feld, das noch beackert werden muss.

Wie gehen Sie damit um?
Ich bin in den 60ern groß geworden, als die Emanzipation so richtig Fahrt aufnahm. Wir haben Miniröcke angezogen und gesagt: Das heißt nicht, dass wir zu eurer Verfügung stehen, das ist unsere Freiheit. Wenn einer mich anfasste, habe ich direkt reagiert: „Nimm mal die Hand weg, noch suche ich mir die Kerle selbst aus!“ Mich hat das nicht verunsichert, es hat mich nicht zum Opfer gemacht. Aber wir hatten damals einen anderen Freiheitsbegriff.

Ist das eine Entscheidung, ob man ein Opfer ist oder nicht?
Ich wehre mich dagegen, dass man als Frau per se immer das Opfer sein soll. Das kann nicht sein. Dafür haben wir zu viel gekämpft. Und wir haben auch eine Menge erreicht. Ich glaube, ob man sich als Opfer wahrnimmt, hat viel mit dem Selbstbewusstsein zu tun. Aber natürlich gibt es Frauen, wie auch Männer, denen es schwerfällt, selbstbewusst aufzutreten. Auch das muss man lernen.

Wer hat es Ihnen beigebracht?
Ich habe eine sehr selbstbestimmte Mutter gehabt, die für die 50er extrem ungewöhnlich gelebt hat. Sie hat sich scheiden lassen, hat mich dann alleinstehend versorgt. Sie ist ausgebrochen, hat studiert, ist ins Ausland gegangen. Ich war zwar nicht immer bei ihr, sondern ging auf Internate, aber sie war meine engste Bezugsperson. Sie hat ihr eigenes Leben gelebt und verantwortet, und ich habe das wirklich eingeatmet.

Sie selbst sagten mal über sich: „Es ist bis zum heutigen Zeitpunkt alles erledigt, alle Gespräche, die noch anstanden, sind geführt, alle Sätze gesagt.“ Welchen Sinn hat das Leben denn da noch?
Ich bin wach, ich bin neugierig. Ich bin gierig, ich nehme teil. Das ist doch der Sinn.

  • Das Interview führten Moritz Honert und Adrian Schulz.