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Fliegender Wechsel

Jetzt aber schnell: Wer noch keine Winterreifen hat, muss sich sputen. Auch der Redakteur hat’s verpennt.

Von Jörg Stock
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Auf den letzten Drücker: SZ-Reporter Jörg Stock tauscht bei Reifen-Hartmann in Pirna-Copitz seine Sommerreifen gegen Winterexemplare.
Auf den letzten Drücker: SZ-Reporter Jörg Stock tauscht bei Reifen-Hartmann in Pirna-Copitz seine Sommerreifen gegen Winterexemplare. © Dirk Zschiedrich

Die Jungs im Blaumann klappen den Kofferraum auf, um meine Winterreifen zu betrachten. Ich weiß, es sind nicht mehr die besten. Sie haben jetzt sechs Jahre auf dem Buckel. Der ADAC würde neue empfehlen. Aber Vorschrift ist das nicht, solange das Profil reicht. Und es reicht, denke ich. Die Jungs aber klappen den Kofferraum wieder zu. „Können wir nichts machen“, sagen sie und lachen. „Das sind Sommerreifen.“

Auch wenn mancher nicht mehr an ihn geglaubt hat: Es gibt ihn noch, den Winter. Vor einigen Tagen, mitten im November, schickte er den Beweis mit Schnee bis ins Flachland. Nur ein paar Krümel, aber allemal genug, um die letzten säumigen Autofahrer in die Werkstätten zu treiben. Wer bei Winterwetter ohne passende Reifen ertappt wird, bezahlt das mit mindestens 60 Euro und einem Punkt in Flensburg.

Dass einer aus Versehen die Sommerreifen des Zweitwagens in die Werkstatt mitbringt, so wie ich, ist nicht das erste Mal, sagen die Monteure bei Reifen-Hartmann in Pirna-Copitz. Aber in der Regel passt das mit dem Zubehör. Die Kundschaft hat man sich im Laufe der Jahre „gut erzogen“, heißt es. Dazu gehört auch das Terminmachen. Die Firma, so sagt Chefin Kerstin Pechthold, tauscht pro Saison über tausend Radsätze. Ohne Plan geht das nicht. Alle halbe Stunde sind zwei Wagen dran. Und die haben Vorrang vor den Laufkunden.

Vorige Woche, als ich buchte, sah dieser Tag noch ruhig aus. Nach allem Anschein wollte der seit Mitte Oktober andauernde Spätsommer kein Ende finden. Aber das hat sich nun geändert. Vor allem wegen des Wetters. Kerstin Pechtholds Computer zeigt einen Termin am andern. Bis Donnerstag, sagt sie, ist praktisch alles voll. Und schon wieder dudelt das Telefon.

Eine halbe Stunde später habe ich die richtigen Räder im Fond liegen. „Sehen schon mal nach Winter aus“, sagt Monteur Sebastian Kadner. Mit einer Lehre prüft er das Profil. Vier Millimeter sollten es mindestens sein, sagt er. Ich hab’ knapp fünf. Das geht noch mal. Die letzte Saison? Sebastian wiegt den Kopf. „Wahrscheinlich.“

Die Karosse kommt auf die Hebebühne. Gummipolster unter die Schweller und hoch damit, bis die Sommer-Alus frei in der Luft hängen. Der Schlagschrauber liegt schmeichlerisch in der Hand. Vergessen ist das sperrige Radkreuz. „Auf rückwärts stellen und dann geht’s los“, sagt Monteur Kadner. System? Gibt es eigentlich keins. „Einfach abschrauben.“

Radbolzen mögen es fettarm

Der Schrauber rattert kurz, schon ist der Bolzen ab. Ratter. Der nächste. Ratter. Ein paar Augenblicke später ist das Rad gelöst. Es wird beschriftet und, mit Fittwasser eingepinselt, in einer schrankartigen Kiste verstaut, einer Geschirrspülmaschine für Räder. Derweil begutachtet Sebastian Kadner die staubtrockenen Bolzen. Gut so. Nur kein Fett hier dran, mahnt er. „Das verfälscht das Drehmoment.“ Will heißen, ein zu leicht gleitendes Gewinde verführt zum zu festen Anziehen. Felgenlöcher werden „ausgebuttert“ oder Bolzen reißen beim nächsten Lösen ab. „Alles schon gehabt.“

Monteur Sebastian Kadner prüft an der Wuchtmaschine, ob auch alles rundläuft.
Monteur Sebastian Kadner prüft an der Wuchtmaschine, ob auch alles rundläuft. © Dirk Zschiedrich

Die Sommerbereifung ist entfernt und gespült. Etwa die Hälfte der Kunden lässt die Räder bis zum Frühling gleich da. Um die 550 Radsätze sind bei Hartmanns eingelagert. Damit befasst man sich später. Dann werden Fremdkörper aus dem Gummi operiert oder es werden neue Reifen aufgezogen. Ist es Zeit für den Ersatz, gibt es relativ selten Diskussionen, sagt der Monteur. Weit über neunzig Prozent der Leute sind Stammkunden. „Die vertrauen darauf, dass wir sie nicht über den Tisch ziehen.“

Winterräder dran. Vorher noch auswuchten. Ein paar Gewichte korrigiert der Fachmann. Die Unwuchten entstehen durch den Abrieb des Reifens oder kleine Beschädigungen an der Felge und können den Fahrkomfort stören. Nun Schlagschrauber umgeschaltet und alle Räder fixiert, immer kreuzweise. Dann mittels Drehmomentschlüssel und definierter Kraft nachgezogen. Luft geprüft – fertig. Und nicht vergessen: Nach fünfzig Kilometern den festen Sitz der Bolzen prüfen. Wer das verpasst, riskiert im Extremfall den Radverlust, sagt Sebastian Kadner. „Alles schon passiert.“

Was machen die Monteure, wenn die große Wechselei vorüber ist? Ausruhen. Nach all dem Trubel braucht man es ein bisschen „piano“ sagen sie. Der nächste Frühling kommt bestimmt.