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Die Pfunde und die guten Vorsätze: Wie nimmt man wirklich ab, Frau Obst?

Immer mehr Menschen leiden an Übergewicht und Adipositas. Steffi Obst behandelt Patienten in Freital. Hier erklärt die Oberärztin, wie die Hilfe funktioniert.

Von Annett Heyse
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Oberärztin Steffi Obst behandelt am Klinikum Freital Menschen, die an extremem Übergewicht leiden.
Oberärztin Steffi Obst behandelt am Klinikum Freital Menschen, die an extremem Übergewicht leiden. © Egbert Kamprath

Frau Obst, zum Jahresanfang nehmen sich viele Menschen etwas vor, Abnehmen und mehr Sport treiben stehen auf dieser Liste ganz oben. Warum gibt es trotzdem so viele Dicke?

Für Übergewicht gibt es viele unterschiedliche Ursachen, genetische und hormonelle Dispositionen zum Beispiel. Auch Stress und Schichtarbeit können eine Rolle spielen. Aber die Hauptgründe, warum immer mehr Menschen Übergewicht haben und diese Menschen immer jünger werden, sind im Lebensstil zu suchen. Die meisten Menschen bewegen sich zu wenig, haben zu wenig körperliche Ausarbeitung, sitzen zu viel. Und dabei essen sie zu viel und unausgewogen.

Und woran liegt das? Ist es eine Willensfrage?

Es gibt einen Zusammenhang zwischen preiswertem, kalorienreichem Fastfood und den wachsenden Pfunden. Doch darüber begegnet mir in meiner Arbeit sehr viel Unwissen. Für manche ist es auch eine Kostenfrage. Obst und Gemüse oder Lebensmittel aus regionalem Anbau sind nun mal teurer als eine Tiefkühlpizza. Hinzu kommt der Zeitfaktor: Fertigessen ist schneller zubereitet als Mahlzeiten aus frischen Zutaten.

Ab wann spricht man von Übergewicht und ab wann von krankhaftem Übergewicht?

Anhaltspunkt ist der Body-Mass-Index, also das Verhältnis von Gewicht und Körpergröße. Liegt der Wert über 25, sprechen wir von Übergewicht. Ab 30 beginnt die Adipositas Stufe eins, also das krankhafte Übergewicht, bei 35 ist Stufe zwei erreicht, ab 40 Stufe drei. Da reden wir über Menschen, die 40 und mehr Kilo über dem Normalgewicht liegen. Das ist für die Betroffenen nicht nur ein ästhetisches Problem, unter dem oft ihr Selbstwertgefühl leidet. Adipositas ist auch der Auslöser für ganz viele Folgeerkrankungen.

Welche Folgeerkrankungen werden von krankhaftem Übergewicht ausgelöst?

Da kann ich jetzt ganz viel aufzählen: Diabetes, Bluthochdruck, diverse Gelenkerkrankungen aufgrund der Überbelastung, Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfälle, Herzrhythmusstörungen. Ein großes Problem der Adipositaspatienten sind Atempausen im Schlaf, die sogenannte Schlafapnoe. Dies wiederum führt dazu, dass man unausgeruht und abgespannt ist. Insgesamt fühlen sich Menschen mit viel Übergewicht nicht körperlich belastbar, die Lebensqualität ist eingeschränkt. Viele schämen sich, können sich schlecht bewegen, isolieren sich sozial. Adipöse Frauen leiden mitunter sehr unter unerfülltem Kinderwunsch.

Und was hilft? Viele Betroffene haben es doch sicherlich mit verschiedenen Diäten versucht?

Ja, der Markt ist unüberschaubar und leider gibt es sogar Diäten, die gefährlich sind. Im Gespräch mit den Patienten erfahre ich immer wieder, dass viele Betroffene über Jahre alles Mögliche ausprobiert haben. Mitunter gibt es Erfolge, aber sobald man mit der Diät aufhört, kommen die Pfunde zurück - oft noch mehr als vorher da waren, der berühmte Jo-Jo-Effekt. Fakt ist: Die meisten schaffen es ohne professionelle Hilfe nicht. Denn eine Diät hilft eben nur kurzzeitig. Aber man muss langfristig, also für immer, die Ernährung und den Lebensstil ändern. Das geht am besten mit professioneller Unterstützung. Jeder Übergewichtige kann vom Hausarzt eine Ernährungsberatung verordnet bekommen. Menschen mit einem Body-Mass-Index ab 35 nehmen wir am Adipositas-Zentrum auf.

Wie funktioniert so eine Therapie im Adipositas-Zentrum?

Zunächst checken wir jeden Patienten zwei Tage lang gründlich durch. Wir machen einen Ultraschall von Bauch und Herz, einen Lungenfunktionstest, suchen nach möglichen hormonellen oder psychologischen Ursachen, prüfen Blutdruck, Fettwerte, Blutwerte und einiges mehr. Wir fragen genau nach Ernährungsgewohnheiten und Schlafapnoe. Mit all den Erkenntnissen wird dann für jeden einzelnen Patienten ein individueller Therapieplan aufgestellt. So eine Therapie dauert 18 Monate, immer mit fachlicher Begleitung. Es gibt unter anderem Kochkurse mit Ernährungsberatung, Sportangebote, Gesprächstherapien.

Sie sagen "wir". Bedeutet das, dass mehrere Mediziner an der Behandlung der Übergewichtigen beteiligt sind?

Ja, genau. Wir sind am Adipositas-Zentrum ein Team, zu welchem Internisten, Chirurgen, Psychologen, Ernährungsberater gehören.

Wie behandeln Sie die ganz schweren Fälle?

Ab einem Body-Mass-Index von 50 muss man über eine Operation, zum Beispiel eine Magenverkleinerung, nachdenken. Dies ist für diese Menschen oft eine gute Chance. Und die Erfolge sind sehr gut.

Wie groß sind die Erfolge mithilfe einer klassischen Therapie?

Man muss ehrlich sagen, dass es schon nicht leicht ist, das während der Therapie Erlernte dauerhaft umzusetzen und nicht wieder Pfunde zuzulegen. Es geht um die lebenslange Umstellung des Lebensstiles, und die Versuchung lauert überall: bei Familienfesten, auf dem Weihnachtsmarkt, im Berufsleben. Und dann darf man nicht vergessen, dass viele Patienten, gerade auch die Jüngeren, mitten im Alltag mit Arbeit, Kindern und Haushalt stecken. Da bleibt wenig Zeit, um auf sich selbst zu achten, sich Zeit für Sport zu nehmen, in Ruhe etwas Gesundes zu kochen. Aber diese Probleme kennen wir, wir bereiten unsere Patienten auf diese Zeit vor und können auch mit einem Rückfall umgehen und wenn nötig die Therapie noch einmal beginnen. Ganz wichtig ist, dass der neue Lebensstil, wenn er zur Gewohnheit geworden ist, Freude und Spaß macht.

Was sollte die Menschen motivieren, die lästigen Pfunde doch endlich loszuwerden?

Weil es ein ganz anderes Lebensgefühl ist, endlich wieder mit den Enkeln Fußballspielen zu können, eine Wanderung zu unternehmen, nicht mehr so viele oder gar keine Medikamente nehmen zu müssen oder unter Schlafapnoe zu leiden. Man gewinnt Lebensqualität, sogar Lebenszeit. Fast alle sagen hinterher: Wäre ich doch nur früher gekommen und hätte mich behandeln lassen. Und das kann ich auch nur Jedem raten: Wer von Übergewicht betroffen ist, sollte sich rechtzeitig Hilfe suchen. Leider kommen viele so spät, dass Folgeerkrankungen schon ausgebrochen sind. Manche bekommen wir in den Griff, aber verschlissene Gelenke aufgrund des enormen Körpergewichts oder Bandscheibenprobleme können wir kaum reparieren.

Am Mittwoch, den 24. Januar, hält Oberärztin Steffi Obst am Klinikum Freital zu dem Thema einen Vortrag. Interessierte sind eingeladen. Beginn ist 17 Uhr im Foyer.