SZ + Freital
Merken

Einkaufen in Freital: Wie kleine Läden überleben können

Ein Expertenteam hat die Einzelhandelsstruktur der Stadt untersucht und macht Vorschläge, welche Geschäfte in Zukunft eine Chance haben.

Von Annett Heyse
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der Weißeritzpark ist der größte Einzelhandelsstandort in Freital mit einem Umsatz von rund 43 Millionen Euro im Jahr.
Der Weißeritzpark ist der größte Einzelhandelsstandort in Freital mit einem Umsatz von rund 43 Millionen Euro im Jahr. © Karl-Ludwig Oberthür

Einkaufen in Freital - was fällt einem dazu spontan ein? Der Weißeritzpark: 100.000 Quadratmeter groß, inklusive Gastronomie und Serviceeinrichtungen mehr als 60 Läden. Nicht schlecht, aber sonst so?

Es gibt diverse Lebensmitteldiscounter, einige Bäcker, bei Fleischereien sieht es schon ganz dünn aus. Eine Geschäftsstraße ist nicht mehr vorhanden. Jedenfalls nicht in den Augen der Freitaler, die sich noch gut an die Zeit vor 1990 erinnern. Damals säumten viele Läden die Dresdner Straße: Eisenwarenhandlung, Spielzeugladen, Sportgeschäft, Kaufhaus. Alles verschwunden.

Und auch die Nachwende-Gründungen haben größtenteils nicht überlebt, die Fußgängerzone mit Geschäften im Mühlenviertel ist ausgestorben. Und immer mehr Geschäfte verschwinden. Als nächstes schließt der An- und Verkauf in Potschappel, der Inhaber findet keinen Nachfolger, schreibt er auf Facebook.

Im Rathaus herrscht dahingehend Ratlosigkeit. Einzelhandel ist Marktwirtschaft. Die Stadtverwaltung will aber trotzdem noch einmal einen Versuch unternehmen, den Einzelhandel zu stärken. Sie hat die BBE Handelsberatung aus Leipzig beauftragt, den Ist-Zustand zu analysieren und Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen. Das sind die Erkenntnisse.

1. Erkenntnis: Mehr Einwohner, mehr Kaufkraft

In Freital leben derzeit rund 40.000 Menschen. Das sind knapp drei Prozent mehr als noch im Jahr 2011. Und die Bevölkerung wird aller Voraussicht nach weiter wachsen. "In der optimistischen Variante 1 wird für die Stadt Freital ein Bevölkerungszuwachs bis zum Jahr 2030 von 990 Einwohnern gegenüber Juni 2022 prognostiziert. Auch in der pessimistischen Variante 2 wird für das Jahr 2030 ein Zuwachs von 420 Einwohnern erwartet", schreibt die BBE Handelsberatung in ihrer Analyse.

Zumindest stabil sieht die Prognose für das Einzugsgebiet - die Städte Tharandt und Rabenau sowie die Gemeinde Dorfhain - aus. Dort betrug der Bevölkerungszuwachs zwischen 2011 und 2022 rund zwei Prozent. Bis 2030 wird zwar kaum noch ein Bevölkerungszuwachs erwartet, aber auch kein großer Rückgang.

Mehr Einwohner kaufen mehr ein. Nicht immer trifft diese Formel zu, aber Freital und die umliegenden Kommunen verfügen über eine für Sachsen überdurchschnittliche Kaufkraft, geht aus dem Konzept hervor. Demzufolge habe sich das Nachfragepotenzial in den vergangenen Jahren erhöht. Für Lebensmittel, Kosmetik, Elektronik, Kleidung, Hausrat, Gartenbedarf und Sportartikel liegt es allein für die Stadt Freital bei rund 239 Millionen Euro. So viel Geld können die Freitaler pro Jahr für den Konsum ausgeben. Bis 2023 dürfte dieses Potenzial noch leicht ansteigen, im besten Falle bis auf etwa 277 Millionen Euro.

2. Erkenntnis: Das Geld wird woanders ausgegeben

239 Millionen Euro für den Konsum - das ist viel Geld, welches aber nur zu einem Teil in Freital ausgegeben wird. Denn die Zahl der Händler ist seit 2011 um mehr als 60 Verkaufsstellen gesunken und lag Ende 2022 bei 196. Die Verkaufsfläche hat sich in dem Zeitraum um rund 1.000 Quadratmeter verringert. Dagegen stieg der Umsatz der Freitaler Händler sogar um rund elf Millionen Euro auf rund 169 Millionen Euro.

Jedoch: Bei einem Potenzial von den oben genannten 239 Millionen Euro kann sich jeder ausrechnen, dass ein Teil des Geldes woanders ausgegeben wird, in Dresden zum Beispiel oder im Internet. Selbst im größten Einzelhandelsstandort von Freital, dem Weißeritzpark, werden im Jahr nur rund 43 Millionen Euro umgesetzt. Und in dieser Zahl summiert sich nicht nur das Geld der Freitaler, sondern aller Kunden.

Erstaunlich gut verkauft sich in Freital Unterhaltungselektronik und das Sortiment Elektro/Elektrogeräte/Leuchten, ebenso die Sortimente Glas/Porzellan/Keramik/Hausrat/Geschenkartikel - da liegen die Umsätze teils weit über dem sogenannten Kaufkraftpotenzial. Das heißt, in Freital werden diese Artikel häufiger verkauft, als die Freitaler dafür eigentlich Geld ausgeben können. Offenbar locken Freitals Händler mit diesen Sortimenten also Kundschaft von außerhalb an.

"Deutliche Kaufkraftabflüsse ergeben sich hingegen mit 11,4 Millionen Euro bei Möbeln, da es keinen attraktiven Möbelmarkt in Freital gibt", schreiben die Leipziger.

3. Erkenntnis: Mehr Potenzial bei Lebensmitteln

Obwohl es in der Stadt 13 Discounter und Lebensmittelmärkte gibt, geben die Freitaler nur 79 Prozent ihres Budgets für Lebensmittel tatsächlich auch in Freital aus. Potenzial sehen die Marktforscher deshalb in diesem Sortiment.

Denn die 13 Lebensmittelmärkte in der Stadt verfügen zwar über fast 9.600 Quadratmeter Verkaufsfläche, dies entspricht 243 Quadratmetern pro Einwohner. Doch der bundesweite Durchschnitt liegt hier bei 299 Quadratmetern. So erklärt sich auch die beabsichtigte Ansiedlung von Edeka im geplanten Stadtzentrum und das Neubauprojekt von Rewe hinter der Aral-Tankstelle an der Dresdner Straße.

Die sichere Zukunft für kleine Geschäfte sehen die Leipziger Experten jedoch nicht in großen, dezentralen Standorten wie dem Weißeritzpark und dem Kaufland-Zentrum an der Wilsdruffer Straße.

4. Erkenntnis: Chancen für Läden in der Nachbarschaft

Vielmehr schlagen sie viele kleine Händler in zentraler Lage und einen guten Branchenmix vor. Dazu gehören auch weitere Einrichtungen wie Verwaltung, Freizeit, Gastronomie, Dienstleistung oder touristische Angebote - die auch per öffentlichem Personennahverkehr gut erreichbar sind. Die Dresdner Straße in Deuben ist ein gutes Beispiel, dass dies funktionieren kann.

Während sich der Einzelhandel unter diesen Bedingungen halten kann, scheinen Potschappel und erst recht Ortsteile wie Kleinnaundorf, Saalhausen oder Somsdorf längst abgehängt zu sein. Dabei, so die Experten, "steigt mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft generell der Nachfrageanteil unmittelbar vor Ort und im unmittelbaren Wohnumfeld". Ein Vorschlag ist deshalb, dass die Stadt den "Freitaler Nachbarschaftsladen" forcieren soll.

Darunter versteht man bis zu 150 Quadratmeter große Geschäfte in Wohn- und Geschäftshäusern mit einem Mix aus Lebensmittelhandel und Serviceleistungen, zum Beispiel Poststelle oder Annahme von Schuhreparaturen.

5. Erkenntnis: Beschränkung von großen Neueröffnungen

Um solche kleinen Läden in zentraler Lage nicht zu gefährden oder aber, ihnen überhaupt Chancen zu eröffnen, soll die Ansiedlung von großen Läden zukünftig ausgeschlossen oder zumindest stark eingeschränkt werden.

Das bedeutet: Ein weiteres Einkaufszentrum in oder bei Freital soll es nicht geben. Ist das Projekt Stadtzentrum mit der Ansiedlung von Edeka, DM-Drogeriemarkt und Aldi sowie der Bau des geplanten Rewe-Marktes umgesetzt, dürften auf absehbare Zeit auch keine weiteren Lebensmittelmärkte mehr hinzukommen. Höchstens geht es noch um Ergänzungen an bestehenden Standorten - soweit es um Sortimente geht, die von den kleineren Geschäften nicht abgedeckt werden.

Selbst bestehende Standorte wie der Weißeritzpark, das Kaufland an der Wilsdruffer Straße oder das Gebiet am Toom-Markt sollen nicht mehr ausgebaut werden.