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Als der Hauptmann von Köpenick nach Deuben kam

Der gelernte Schuster Wilhelm Voigt erregte Aufsehen im Weißeritztal.

Von Heinz Fiedler
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Wo Wilhelm Voigt alias Hauptmann von Köpenick nach seiner Haftentlassung 1908 auch auftauchte, er war immer, wie hier auf unserer Abbildung in Alt-Berlin, dicht umlagert.
Wo Wilhelm Voigt alias Hauptmann von Köpenick nach seiner Haftentlassung 1908 auch auftauchte, er war immer, wie hier auf unserer Abbildung in Alt-Berlin, dicht umlagert. © Repro/SZ

Ihn kennt die ganze Welt. Weniger als Wilhelm Voigt, wie der gelernte Schuster ja eigentlich heißt. Er zieht als Hauptmann von Köpenick in die Chronik origineller, Aufsehen erregender Husarenstreiche ein, viel belacht, obwohl das Schicksal des gebürtigen Ostpreußen traurig genug ist. Im Februar 1849 kommt Wilhelm in Tilsit zur Welt, wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und macht sich wie Vatern mit der Schusterei vertraut. Schon in jungen Jahren hat er kaum das Nötigste zum Leben. Gerade mal 17 Jahre alt, gerät er zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt, er fälscht Postanweisungen. Die Justiz zeigt sich unerbittlich, Voigt Junior wird zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Vorzeitig entlassen, zieht er ziel- und richtungslos durch die Lande. Jahrzehnte später wird er auch im Weißeritztal auftauchen, aber soweit sind wir noch nicht.

Wilhelm kann die krummen Touren nicht lassen. Er wird noch einige Male straffällig, ehe er am 16. Oktober 1906 das ganz große Ding dreht – die Sache mit dem Rathaus Köpenick, wo er in Hauptmannsuniform und mit einem von ihm befehligten Trupp Soldaten die Stadtkasse konfisziert und den Bürgermeister unter Hausarrest stellt.

Die Polizei fahndet fieberhaft nach dem falschen Hauptmann, überall im Stadtgebiet werden Steckbriefe angebracht: „Wer kennt den Täter? 3.000 Mark Belohnung.“ Nach fünf Wochen wird Voigt aufgegriffen und in Moabit wegen Raub und Uniformmissbrauchs zu vier Jahren Gefängnis verdonnert. Kaiser Wilhelm II. begnadigt ihn nach zweijähriger Haft. Von den 4.000 Mark, die in der Kasse deponiert waren, fehlt übrigens nicht ein Pfennig.

Ankunft in Hainsberg

An einem sonnigen Juli-Sonntag 1912 trifft Wilhelm Voigt im Plauenschen Grund ein. Richard Pinkert, seit 1895 Wirt der an Deubens Hauptstraße gelegenen Wettinburg (heute Dresdner Straße 283), hat den falschen Hauptmann zu einem Besuch eingeladen. Er will den volkstümlichen Mann zum abendlichen Programm im Saal vorstellen, nachmittags aber soll der Gast in der 1898 auf dem Deubener Berghang zwischen Pfaffengrund und Breitegrund eröffneten und von Pinkert betriebenen Ausflugsgaststätte „Zechels Höhe“ den Marsch auf Köpenick schildern und eine Autogrammstunde geben. Der Ostpreuße hat zu diesem Zweck Porträtfotos im Gepäck, Voigt als Militär, Voigt als feiner Herr im schwarzen Abendanzug.

Wurden vor über 100 Jahren in den Deubener Gaststätten Wettinburg und Zechels Höhe verkauft: Porträtkarten des Hauptmanns von Köpenick im eleganten Abendanzug.
Wurden vor über 100 Jahren in den Deubener Gaststätten Wettinburg und Zechels Höhe verkauft: Porträtkarten des Hauptmanns von Köpenick im eleganten Abendanzug. © Repro/SZ

Pinkert erwartet den Schuster auf dem Bahnhofsvorplatz von Hainsberg. Die von Dresden kommende Albertbahn ist auf die Minute pünktlich. Der Wirt hat seine Privatkutsche vorfahren lassen. Als Voigt aus der Bahnhofshalle ins Freie tritt, stimmt ein Quartett des Deubener Männerchores „Tonkunst“ eine heimatliche Weise an: „Willkommen hier in unserem Tal ...“ Der Gast trägt einen dezent gemusterten Sommeranzug und nach der aktuellen Mode spitz zulaufende, schwarze Schuhe. Salopp lüftet er den hellen Strohhut und bedankt sich in wohlgesetzten Worten für den kredenzten Doppelkorn: „Also dann, meine Herren, auf unser aller Wohl!“ Dann rollt die Kutsche zur nahen Wettinburg.

Für Voigt sind solche Empfänge nichts Neues mehr. Seit seiner Entlassung 1908 kann er sich vor Angeboten nicht retten. Selbst in den USA will man ihn gegen Zahlung respektabler Dollarbeträge persönlich sehen. Der Schuster hat sich Manieren zugelegt. Während der Haftjahre von einer wahren Lesewut erfasst, wurden ihm Bücher zu einem Bildungsquell.“

„Tut mir leid, Herr Wirt.

In der Gartenzone von Zechels Höhe reichen an diesem Sonntagnachmittag die Stühle bei weitem nicht. Aus allen Dörfern des Weißeritztales haben sich Familien nach Deuben aufgemacht, um den berühmten Hauptmann hautnah kennenzulernen. Pinkert hat Grund genug, mit dem Zuspruch zufrieden zu sein.

Eine extra verpflichtete Bergmannskapelle intoniert einen Marsch, zu dessen Klängen der Schuster zum aufgebauten Podest marschiert. Riesenjubel, worauf der Schuster militärisch knapp seine Köpenickiade erzählt, die, so fügt er abschließend hinzu, demnächst auch als Buch vorliegen werde. Nach dem Auftritt drängen sich die Leute an Voigts Tisch, um gegen ein geringes Entgelt eine Porträtkarte mit Namenszug zu erwerben.

Wilhelm lässt den Trubel gelassen über sich ergehen, er hat viele Hände zu drücken und für jeden ein freundliches Wort. Abends im Saal der Wettinburg das gleiche Bild. Voigt ist die absolute Attraktion. Pinkert bietet dem falschen Hauptmann für nächstes Jahr einen weiteren Vertrag an. Der Gast blättert in seinem Notizbuch: „Tut mir leid, Herr Wirt, da bin ich schon im Rheinland unterwegs, vielleicht versuchen Sie es später noch einmal ...“ Ein neuerliches Gastspiel kommt nicht zustande, der Schuster hat in halb Europa zu tun. Wilhelm Voigt beschließt sein irdisches Dasein Anfang Januar 1922 in Luxemburg.