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Herr Lange, wie arbeiten eigentlich die Friedensrichter in Sachsen?

Der Dresdner Volker Lange ist einer von rund 300 Schlichtern in Sachsen und hilft, wenn sich die Fronten verhärtet haben. Das ist günstiger als vor Gericht.

Von Kornelia Noack
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Volker Lange ist seit Januar der neue Friedensrichter in Dresden-Klotzsche.
Volker Lange ist seit Januar der neue Friedensrichter in Dresden-Klotzsche. © Veit Hengst

Da war zum Beispiel der Fall mit dem Hahn. Jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe erschallte mitten in einem Villenviertel in Dresden-Klotzsche sein lautes „Kikeriki“. Einer der Anwohner fühlte sich derart davon gestört, dass es zum Streit mit dem Hahn-Besitzer kam. Da das Verhalten des Tieres naturgemäß nicht abzustellen war und somit eine Einigung schwerfiel, suchten die beiden Männer Hilfe beim zuständigen Friedensrichter. Sie trafen sich im Bürgerhaus Klotzsche.

Doch bevor der Schlichter vermittelnd eingreifen konnte, unterbreitete der Tierhalter seinem Nachbarn ein Angebot: Künftig erhält er jede Woche einen Karton frische Eier. Der willigte, wohl etwas überrumpelt, direkt ein. Fortan war von den Streithähnen nie wieder etwas zu hören. „So schnell und geräuschlos lassen sich Zwistigkeiten natürlich nicht immer lösen“, sagt Volker Lange, seit Januar als Friedensrichter tätig. Ein Ehrenamtsposten, den es in fast jeder Kommune gibt. „Aber wir bieten zerstrittenen Parteien die Möglichkeit, sich an einen Tisch zu setzen und miteinander zu reden, ohne dass jemand sein Gesicht verliert.“

Was ist die Aufgabe eines Friedensrichters?

Streitfälle zwischen Nachbarn, Mieter und Vermieter oder Hausbesitzer und Handwerker müssen nicht immer vor Gericht ausgetragen werden. Es ist möglich, sie außergerichtlich durch eine Einigung beizulegen. Das ist die Aufgabe von Schiedspersonen. Sie werden in den Kommunen für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt. Nur in Sachsen heißen sie Friedensrichter.294 Schlichtungsstellen gibt es im Freistaat (Stand Ende 2022) – und damit etwa genauso viele Friedensrichter. Chemnitz hat allein sechs Schiedsstellen, in der Stadt Dresden sind 16 Friedensrichter tätig.

Die Anzahl der Anträge auf eine Schlichtung hat in den vergangenen drei Jahren – nach einem Einbruch wegen Corona – wieder zugenommen. 2022 suchten 287 Sachsen Unterstützung – 25 mehr als ein Jahr zuvor. Allerdings: 2012 waren es noch 448 Anträge. „Gefühlt nimmt die Aggressivität zu, die Leute wollen oft nicht mehr miteinander reden“, sagt Lange. „Wir Friedensrichter können dazu beitragen, das Zusammenleben wieder zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern, denn wir schlichten unparteiisch und helfen nicht einer Seite.“

Der rauchende Grill oder der laute Rasenmäher können in der Nachbarschaft zum Ärgernis werden.
Der rauchende Grill oder der laute Rasenmäher können in der Nachbarschaft zum Ärgernis werden. © dpa-infografik GmbH

Wie läuft eine Schlichtung praktisch ab?

Es gibt zwei Arten von Verfahren. „Bei den sogenannten Tür-und Angel-Fällen geht es in der Regel darum, sich einmal den Frust von der Seele zu reden. Ich versuche dann, die Leute wieder etwas runterzubringen“, sagt Volker Lange. Der 64-Jährige war früher Polizist in verschiedenen Führungspositionen. Viele Jahre hat er auch die sächsischen Spezialeinheiten geleitet. Zuhören, vermitteln, Lösungen finden – seine Erfahrungen kommen ihm nun zugute. „Finden die Parteien nach so einem formlosen Beratungsgespräch selbst eine Einigung, ist das gut, hat aber keine rechtliche Bedeutung.“

Das ist bei einem formellen Schlichtungsverfahren anders. „Wer einen Antrag stellt, muss dafür seinen Wunsch selbst konkret schriftlich formulieren oder in der monatlichen Sprechstunde direkt zu Protokoll geben“, sagt Lange. Der Antragsgegner, wie es amtlich heißt, erhält dann vom Friedensrichter eine schriftliche Ladung zu einem Gesprächstermin. Dort treffen sich Antragsteller, Antragsgegner, Friedensrichter und ein Protokollant. Von einem Anwalt darf man sich nicht vertreten, aber begleiten lassen. Wer nicht erscheint, muss bis zu 100 Euro Bußgeld zahlen. Im vergangenen Jahr ist fast jeder vierte Eingeladene nicht zu dem ersten Termin gekommen.

„Da jeder überzeugt davon ist, im Recht zu sein, wird es oft sehr emotional. Wichtig ist, alle ausreden zu lassen und herauszufinden, was wirklich hinter dem Ärger steckt. In der Regel sind es eben nicht die zu hohe Hecke oder die herüberhängenden Äste eines Baumes, sondern die Ursache steckt oft tiefer“, sagt Lange. Wichtig sei, dass die Parteien wieder einen Zugang zueinander finden. So ein Schlichtungstermin kann dann auch schon mal einige Stunden dauern. Manchmal wird ein zweiter anberaumt oder eine gemeinsame Besichtigung vor Ort. Am Ende steht eine Einigung, die schriftlich festgehalten wird. Im vergangenen Jahr gelang das sachsenweit in 169 von 287 Fällen. Werden sich die Parteien nicht einig, wird auch das formell festgehalten. Dann bleibt ihnen immer noch der Weg zum Gericht.

Früher hat Volker Lange als Polizist vermittelt, heute als Friedensrichter.
Früher hat Volker Lange als Polizist vermittelt, heute als Friedensrichter. © Veit Hengst

Ist ein Schlichterspruch rechtlich bindend?

Ja, in der Vereinbarung ist genau festgehalten, wer welche Auflagen innerhalb welcher Frist erledigen muss. „Wenn sich eine Partei nicht daran hält, kann die andere mit der Vereinbarung zum Amtsgericht gehen, das einen Vollstreckungsbescheid erlässt“, sagt Lange. Es könne also durchaus vorkommen, dass auf einmal der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Mal angenommen, jemand weigert sich, seine Hecke auf die vereinbarte Höhe zu schneiden. In dem Fall kann der Gerichtsvollzieher mit dem Vollstreckungsbescheid eine Firma mit dem Beschnitt beauftragen. Auf den Kosten dafür bleibt dann der Verweigerer sitzen.

Friedensrichter sind im Übrigen nicht zwingend an das Sächsische Nachbarrechtsgesetz gebunden, das beispielsweise für Hecken am Zaun eine gewisse Höhe vorschreibt. „Einigen sich die Parteien auf eine andere Heckenhöhe und sind beide einverstanden und kein Dritter betroffen, ist das in Ordnung“, sagt Lange. Grundsätzlich ist der Anspruch aus der gemeinsamen Einigung 30 Jahre lang einklagbar.

Was kostet eine Schlichtung?

Ein Tür-und-Angel-Verfahren ist kostenfrei. „Bei einer formellen Schlichtung sind es rund 40 Euro, wobei der Antragsteller vor Verfahrensbeginn eine Anzahlung in dieser Höhe leisten muss“, erklärt Volker Lange. Beide Parteien können sich natürlich darauf einigen, die Kosten zu teilen. „Wenn der Antraggegner einen Teil bezahlt, ist das schon mal ein gutes Indiz dafür, dass er zu der Vereinbarung steht“, sagt Lange. In jedem Fall sind die Kosten deutlich geringer als bei einem Gerichtsverfahren.

Ein weiterer Vorteil der Schlichtung: „Es gibt keinen Sieger und Verlierer. Nach der Einigung, wenn man eine Lösung gefunden hat, können sich die Parteien immer noch in die Augen schauen“, sagt der Dresdener.

Wofür Friedensrichter zuständig sind – und wofür nicht

  • Schlichten dürfen Friedensrichter vor allem bei Streitigkeiten im Nachbar- und Mietrecht – beispielsweise bei Überwuchs von Baumwurzeln, Überhang von Ästen und Sträuchern, Lärm, Laubfall oder Streit um Schönheitsreparaturen zwischen Vermieter und Mieter. Letzteres kommt aber selten vor, da sich Großvermieter selten auf eine Schlichtung einlassen.
  • Auch bei vermögensrechtlichen Ansprüchen, Herausgabeansprüchen oder Ansprüchen wegen Verletzung der persönlichen Ehre ist eine Schlichtung zulässig – wenn es etwa um Forderungen nach Schadenersatz oder Schmerzensgeld geht. So kann jemand, wenn er mit der Leistung eines Handwerkers nicht zufrieden ist und keine Einigung findet, den Friedensrichter rufen.
  • Nicht schlichten dürfen Friedensrichter in Rechtsstreitigkeiten, die ins Familien-, Erb- und Arbeitsrecht fallen, oder bei Verletzung der persönlichen Ehre in Presse, Rundfunk und Fernsehen. Auch wenn Behörden – Bund, Länder, Gemeinden, Körperschaften, Anstalten, Stiftungen des öffentlichen Rechts – beteiligt sind, ist keine Schlichtung möglich.
  • Bei Privatklage-Delikten wie Beleidigung, Hausfriedensbruch, leichter Körperverletzung, Bedrohung, Sachbeschädigung, Verletzung des Briefgeheimnisses sind die Schiedsstellen obligatorisch vorgeschaltet. Laut Paragraf 380 der Strafprozessordnung muss erst ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden, bevor es zu Gericht gehen kann. (kno)
  • Hier finden Sie Friedensrichter in Sachsen: www.bds-sachsen.de