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Pro & Contra: Brauchen wir eine Pflichtversicherung?

Gegen Wasser sind wenige Hausbesitzer versichert. Hier diskutieren der Präsident von Haus & Grund und eine Vertreterin der Verbraucherzentrale über eine Pflicht.

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Haus unter: Diesmal traf es unter anderem Ostsachsen – hier Neukirch im Landkreis Bautzen.
Haus unter: Diesmal traf es unter anderem Ostsachsen – hier Neukirch im Landkreis Bautzen. © B&S/Bernd März

Bei Überschwemmungen zahlt die Elementarschadenversicherung.
Doch die meisten Hausbesitzer haben keine. Also alle zwangsversichern? Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen ist dafür. Sie sagt: "Ja, der Staat wird nicht immer leisten". Ganz anders sieht es René Hobusch, Präsident von Haus & Grund Sachsen. Seiner Ansicht nach beseitigt eine Pflichtversicherung Versäumnisse nicht.

Lesen Sie die Argumentationen der beiden Diskutanten in unserem Pro & Contra:

PRO: Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen

Wir benötigen eine Pflicht, Wohngebäude gegen Naturgefahren zu versichern. Denn egal, ob Eigentümer oder Mieter: Die Menschen brauchen Sicherheit. Aus einem Versicherungsvertrag leitet sich im Schadensfall ein Rechtsanspruch auf Geldleistungen ab. Auf staatliche Zuschüsse, zinsgünstige Kredite und auf Spenden gibt es einen solchen Anspruch nicht. Sie helfen auch nur bedingt, denn sie sind entweder nur ein Tropfen auf den heißen Stein oder als zweiter oder dritter Kredit nicht mehr zu stemmen.

Von einer Versicherungspflicht profitiert die gesamte Gesellschaft, weil eine fehlende Absicherung nicht nur Auswirkungen auf den Einzelnen hat. Armut, Ausgrenzung und Überschuldung, die mit den katastrophalen Ereignissen einhergehen können, sind gesamtgesellschaftliche Probleme. Nach unseren Umfragen sind Bürger und Bürgerinnen mehrheitlich für eine Versicherungspflicht. Das bedeutet, dass Hauseigentümer einen solchen Versicherungsvertrag abschließen müssen und Versicherer ihn nicht mehr ablehnen oder im Schadensfall kündigen dürfen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Tage die Zustimmung zu einer Versicherungspflicht bundesweit weiter wächst.

Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen.
Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen. © Martin Jehnichen

Wichtig ist dabei natürlich, den Menschen das Vorhaben richtig zu erläutern. Wir setzen uns seit der Jahrhundertflut 2002 in Sachsen für eine gesetzlich verankerte Versicherungspflicht ein und informieren immer wieder über die Elementarschadenversicherung. Zu einer wesentlich höheren Versicherungsdichte hat dies aber ebenso wenig geführt wie Informationskampagnen der Versicherungswirtschaft und der Länder.

Die Gründe dafür reichen von angeblicher Nichtbetroffenheit über Nichtbezahlbarkeit, Nichtversicherbarkeit bis hin zu der Auffassung, dass der Staat schon (wieder) zahlen wird. In den letzten 20 Jahren gab es nun schon vier Flutkatastrophen, und Experten prognostizieren weitere solche Ereignisse in kurzen Abständen. Der Staat wird finanzielle Soforthilfen nicht immer wieder leisten. 2017 und noch einmal 2019 haben einige Ministerpräsidenten das bereits angekündigt.

Dass der Staat bei besonderen Megaschäden die Versicherer stützen und damit vor Insolvenz schützen könnte, wurde schon 2004 als Lösung diskutiert. Und auch Verbraucherinnen und Verbraucher müssen nicht befürchten, dass sie eine Versicherungspflicht finanziell überfordert. Entscheidend dabei ist, wie diese Pflicht ausgestaltet wird. Ein Blick in die Schweiz zeigt, wie es gehen kann. Dort zahlen Eigenheimbesitzer beispielsweise für ein Einfamilienhaus im Wert von 300.000 Euro für den zusätzlichen Elementarschadenschutz jährlich etwa 140 Euro.

Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesjustizministerium hat 2019 in seinem Policy Brief ein Beispiel für eine hierzulande allseits tragbare Versicherungspflicht geliefert. Das Thema Anreiz zur Hochwasserprävention wird dabei berücksichtigt. Wer bautechnische Vorsorge vornimmt, soll dies auch an einer niedrigeren Versicherungsprämie spüren. Das Argument, mit einer Versicherungspflicht würde keine solche Vorsorge betrieben, ist angesichts der Bilder aus den Katastrophengebieten mehr als zynisch und realitätsfremd.

CONTRA: René Hobusch, Präsident von Haus & Grund Sachsen

Ob es eine Art Flutdemenz gäbe, fragte mich dieser Tage ein Journalist. Ich meine, es gibt sie. Denn angesichts der Bilder der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, aber auch der Unwetter in Ostsachsen und der Sächsischen Schweiz, ist sie wieder da, die Debatte um eine Versicherungspflicht für Wohngebäude. So auch schon 2002 und 2013 in Sachsen. Und sind die letzten Schäden beseitigt und Häuser und Orte mit Steuergeld wieder aufgebaut, ebbt(e) die Debatte wieder ab.

Die Tatsache, dass weit über 90 Prozent aller Grundstücke bundesweit ohne Risikoaufschlag versicherbar sind, aber nur gut jedes zweite versichert ist, macht die Forderung nach einer Pflichtversicherung auf den ersten Blick attraktiv. Der Schaden im Einzelfall soll nicht auf die Gemeinschaft abgewälzt werden. Doch dieses Argument führen zu Recht auch die Grundstückseigentümer im Munde, die bisher risikolos lebten und nicht für Schäden Betroffener einstehen wollen.

Doch die Ereignisse vor gut einer Woche haben gezeigt, dass schnell ein Bächlein zum reißenden Strom werden kann und große Mengen Regen ganze Orte unter Wasser setzen können.

René Hobusch
René Hobusch © Stefanie Schumacher/schoko-auge

Aber wäre allein eine Versicherungspflicht die Lösung, um Menschen zukünftig vor Leid und existenziellen Schäden zu bewahren? Sicherlich nicht. Denn noch immer werden Baugebiete in ehemaligen Überflutungsgebieten ausgewiesen, Flussläufe in künstliche Betten gezwungen und große Flächen unseren Bedürfnissen unterworfen und versiegelt. So ein Hochwasser kommt halt nur aller paar Generationen, dachten wir. Und war es dann da, 2002 oder 2013, war es auch bald wieder vergessen. Denn die Politik machte es sich in diesen Jahren einfach. Es standen Wahlen bevor. Wer will da den Menschen nicht helfen. Hauptsache, es zahlt aufs Ergebnis ein. Versäumnisse in der Raum- und Städteplanung – Schwamm drüber.

Wir müssen ehrlicher werden, wenn es um den persönlichen Schutz vor Elementarereignissen und staatliche Versäumnisse geht. Und ja, es ist unsolidarisch, wenn jeder Zweite sich versichert, und derjenige, der die Prämie spart, Hilfe vom Staat bekommt. Die bezahlen am Ende nämlich alle.

In Sachsen gibt es deswegen seit diesem Jahr klare Regeln, die Haus & Grund unterstützt hat. Wer keine Versicherung bekommt oder nur zu unzumutbaren Prämien, dem wird im Schadensfall geholfen. Wer ohne Grund keinen Versicherungsschutz hat, geht leer aus. Das ist der richtige Weg und vielleicht auch die letzte Chance, die Pflichtversicherung zu vermeiden. Am Ende erledigt sich mit diesem Modell die Debatte um die Pflichtversicherung von selbst. Denn nur wer vorsorgt und sich versichert oder nur derjenige, der aufgrund des gestiegenen Risikos keine Versicherung mehr bekommt und nur zu einem horrenden Preis, kann im Zweifel in Sachsen noch mit staatlicher Hilfe im Ernstfall rechnen. Wer dagegen nichts tut, bleibt beim nächsten Starkregen auf seinem Schaden sitzen.

Noch immer wird auch unter Sachsens Hauseigentümern über eine Pflichtversicherung diskutiert. Der freiwillige Weg zum Versicherungsfachmann könnte einfacher sein.