Merken

Geschichten vom zänkischen Bergvolk

Der Autor Marco M. Weber hat ein Buch über seine Heimatstadt Sebnitz geschrieben. Sie ist für ihn ein liebenswertes Mysterium.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Marco M. Weber hat Geschichte, Philosophie sowie Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert. Seit 2005 ist er freischaffend als Schriftsteller und Independent-Filmemacher tätig. Er lebt in Leipzig.
Marco M. Weber hat Geschichte, Philosophie sowie Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert. Seit 2005 ist er freischaffend als Schriftsteller und Independent-Filmemacher tätig. Er lebt in Leipzig. © L. Krofft/Shagvillage

Der Anfang Dezember erscheinende Band „Lottes Garten“ erzählt das Leben von Lotte Liebisch, einer typischen Sebnitzer Heimarbeiterin. Die Protagonistin wird im Jahr 1900 geboren und durchlebt in 86 Jahren alle Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins – falsche und wahre Liebe, Glück und Verderben, Frieden und Leid. Ganz nebenbei erfährt der Leser in dem Buch den Aufstieg und Niedergang der Sebnitz Kunstblumenindustrie. Verfasst hat es Marco M. Weber, ein gebürtiger Sebnitzer, der mittlerweile in Leipzig lebt. Der Schriftsteller hat nach eigenen Angaben über hundert Heft- und Kurzromane verfasst und wirkt für den Verlag Bastei-Lübbe an populären Reihen wie „Lassiter“ oder „Jerry Cotton“ mit. Die SZ befragte ihn zu seinem jüngsten Werk.

Sie schreiben regulär Western, Science-Fiction oder Krimis und haben eine Idee für einen Mystery-Kurzfilm entwickelt. Jetzt ein Buch über ein Blumenmädchen. Wie kommt’s?

Reine Heimatliebe. Nein, Spaß beiseite. Ich bin kein Heimatautor, habe aber einen Heimatbezug wie andere Menschen auch. Sebnitz ist mein Geburtsort. Es lag auf der Hand, mich literarisch mit dieser Stadt zu befassen, die in ihrer Geschichte so viele Facetten grundmenschlicher Dramatik abbildet. Das Genre unterscheidet sich dabei nur durch die Wahl der Mittel.

Der Band besteht aus 20 Erzählungen in verschiedenen Formaten, neben Prosa auch Arztberichte, Briefe und Polizeiprotokolle. Warum haben Sie sich für diese Form entschieden und damit gegen einen durchgehenden Roman-Text?

Die Grundidee für mich war, Sebnitz als einen lebenden Kosmos zu begreifen. Die Stadt ist mehr als ein Ort für mich. Sie ist eine Summe tausender Schicksale, in denen sich ganz eigene Erfahrungen von Glück und Leid bündeln. Diese Fülle wollte ich auch formal zeigen, indem ich verschiedene Textgattungen kombiniere. Das Buch ist gewissermaßen ein Marktplatz, auf dem verschiedene Stimmen zusammenkommen. Im Übrigen stehen die Erzählungen nicht losgelöst voneinander, sondern schildern eine fortlaufende Handlung. Sie reicht von Lottes Geburt bis zu ihrem Tod.

Im Einstiegskapitel wird unter anderem der Bahnhof zur damaligen Zeit beschrieben. Wie viel Recherche steckt in dem Buch?

Recherche ist immer wichtig. Sie ist das Rüstzeug für die Erzählung, auch wenn „Lottes Garten“ kein historisch-bierernstes Buch sein möchte. Es ist ein Lotte-Buch. Wo Lotte geschichtlich wird, wird auch das Buch geschichtlich. Praktisch gesehen, habe ich etliche Monate im Heimatarchiv, zwischen geliehenen Bild- und Historienbänden und auf meinem MZ-Sattel verbracht, um die Stadt und ihre Kunstblumenvergangenheit zu erkunden. Ich hoffe, es ist mir gelungen, davon etwas einzufangen.

Was haben Sie während der Arbeit am Buch über die Stadt und ihre Menschen herausgefunden, was Sie bisher nicht wussten?

Spannende Frage. Buchstäblich jeder, mit dem ich über „die Sebnitzer“ sprach, gebrauchte irgendwann das Bild vom „zänkischen Bergvolk“. Ich glaube nicht, dass das die ganze Wahrheit ist. Vor allem mit Blick auf die künstlerischen Gewerke, die in Sebnitz groß geworden sind. Der Sebnitzer scheint Sensibilität und Schroffheit in sich zu vereinen. Ich finde diesen Spagat faszinierend und liebenswert. Er ist zur Blaupause meiner Lotte geworden.

Sie sind erst bei der Recherche darauf gestoßen, dass Sie selbst Nachfahre eines Blumenfabrikanten sind. Wie das?

Entweder Zufall oder glückliche Fügung. Eines Tages fiel mir im Archiv ein Foto aus dem Mietshaus meiner Großmutter auf, dem ein Brief beigeheftet war. Ich wollte das Schriftstück zu Anfang übergehen. Aber dann stellte ich fest, dass die Verfasserin auch über die Blumenmanufaktur meines Urgroßvaters sprach. Ich habe beides mit meinem Vater erörtert und darüber erfahren, dass meine Familie von den Zwanzigern an Kunstblumen gefertigt hat. Es war sehr berührend.

Ihr Urgroßvater habe seine Manufaktur versoffen, schreiben Sie. Was konnten Sie über seine Geschichte in Erfahrung bringen?

Irgendwann hat es offenbar gehapert bei den Kunstblumen, und dann kam vermutlich der Slivovice, der böhmische Obstschnaps, dazu. Wenn ich über meinen Urgroßvater sage, dass er seine Manufaktur versoffen habe, meine ich das zärtlich. Es ist ein Schimmer Vergangenheit, der sein Leben unverklärt zeigt. Man darf sich nicht schonen, auch bei der eigenen Familie nicht. Man muss die Wahrheit sehen, sonst wird man blind für das Schöne darin.

Die Protagonistin heißt Lotte, so wie auch das Maskottchen zum Deutschen Wandertag in Sebnitz. Eine bewusste Entscheidung oder Zufall?

Als ich ein erstes Konzept für das Buch fertiggestellt hatte, schickte ich es unter anderem an Oberbürgermeister Ruckh. Er regte dann an, aus meiner Heimarbeiterin die Blümel-Lotte zu machen, wodurch sich der Band für mich noch einmal verwandelt hat. Letztlich verdichtet sich in Lotte, was die Stadt ausmacht. Sie ist eine mutige Frau mit eigenem Kopf, die sich kein X für ein U vormachen lässt. Sie blümelt mit Leib und Seele und schöpft daraus eine Hoffnung, die ihr niemand nehmen kann, die unvergänglich ist, wie eine Kunstblume.

In der Ankündigung für das Buch heißt es, es bewege Sie seit langem die Frage, was Sebnitz so eigen macht. Haben Sie eine Antwort gefunden?

Falls es eine Antwort darauf gibt, steht sie in meinem Buch. Sebnitz ist in gewisser Weise ein Mysterium. Die Stadt ist einer der seltenen Orte, die einem etwas zurückgeben, wenn man sie besucht.

Die Fragen stellte Dirk Schulze.

Der Erzählband „Lottes Garten“ erscheint am 7. Dezember und ist exklusiv in Verkaufsstellen in Sebnitz erhältlich.
Der Erzählband „Lottes Garten“ erscheint am 7. Dezember und ist exklusiv in Verkaufsstellen in Sebnitz erhältlich. © Foto: PR

Musikalische Lesung aus „Lottes Garten“ am 6. Dezember, 19 Uhr, im Schillerkeller. Schillerapartments, Schillerstraße 13 in Sebnitz. Eintritt frei.