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SZ + Leben und Stil

Böller reißt 14-Jährigem fast die Hand ab

Der Fall des Jungen aus der Oberlausitz zeigt, welche Folgen Silvesterknaller haben können. Ärzte fürchten zum Jahreswechsel den Ausnahmezustand.

Von Kornelia Noack
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Der 14-Jährige Felix wird von seinem Arzt Dr. Seyed-Arash Alawi am Universitätsklinikum Dresden untersucht.
Der 14-Jährige Felix wird von seinem Arzt Dr. Seyed-Arash Alawi am Universitätsklinikum Dresden untersucht. © Jürgen Lösel

„Finger weg von Böllern, wenn Alkohol im Spiel ist!“ Die Botschaft des jungen Felix ist eindeutig. Der 14-Jährige äußert sie leise, aber mit Nachdruck. Denn der Teenager aus der Oberlausitz hat am eigenen Leib erfahren, welch zerstörerische Kraft Böller haben, wie sie bald wieder viele in Sachsen zu Silvester zünden werden.

Vor knapp drei Wochen wurde seine linke Hand durch einen unerwartet explodierten Knaller für immer entstellt. Mehrere Finger und Teile der Hand wurden abgerissen.

Feuerwerk erstmals wieder erlaubt

Der Unfall hat Felix’ Leben für immer verändert. Was genau passiert ist, darüber möchte seine Familie nicht in der Öffentlichkeit sprechen. Doch Felix will seine eigenen Erfahrungen teilen. Und zwar genau jetzt. Kurz vor dem Jahreswechsel, den viele Familien in Sachsen mit Raketen und Böllern feiern werden. Denn das erste Mal seit Pandemiebeginn ist das private Abfeuern von Feuerwerk wieder erlaubt.

Die linke Hand von Felix vor der Operation. Die Bilder wurden leicht bearbeitet.
Die linke Hand von Felix vor der Operation. Die Bilder wurden leicht bearbeitet. © Kornelia Noack

Das Universitätsklinikum Dresden befürchtet daher, dass viele Menschen Versäumtes nachholen, und rechnet für diesen Jahreswechsel mit besonders vielen Verletzungen: Menschen mit Schnittwunden, leichten Verbrennungen, Knalltrauma oder auch absprengten Fingern.

Operation dauerte elf Stunden

Der Fall von Felix zeigt, welche enorme medizinische Expertise notwendig ist, um Verletzungen erfolgreich zu behandeln, die durch Explosionen verursacht werden. Im Schnitt rund fünf Stunden dauert die Operation einer schweren Handverletzung. Bei Felix kämpften die Ärzte knapp elf Stunden.

„Das Ziel ist immer der maximale Erhalt der abgetrennten Gliedmaßen und der Funktionalität“, erklärt Dr. Seyed-Arash Alawi vom Universitätscentrum für Orthopädie, Unfall- und Plastische Chirurgie (OUPC) in Dresden. Er hat den Eingriff geleitet.

Um eine Hand so umfassend wie möglich zu rekonstruieren, gehen Mikrochirurgen wie er schrittweise vor.

Bessere Durchblutung dank Blutegel

Zuerst werden die Knochen auf verschiedenen Ebenen stabilisiert und mit Drähten, Schrauben und Platten an der richtigen Position fixiert. Danach geht es darum, die Sehnen wiederherzustellen, dann die Blutgefäße und Nerven zu versorgen.

Wichtig ist auch, die häufig verbrannte Haut zu ersetzen. Nicht selten werden Knochen, Sehnen, Gefäße, Nerven und Haut von anderen Körperregionen des Patienten verwendet.

„Bei Felix haben wir kleine Venen aus dem Fuß genutzt, um die arterielle Blutversorgung an der Hand und den Fingern wiederherzustellen“, erklärt Alawi. Um die Durchblutung zu verbessern, wurden außerdem medizinische Blutegel eingesetzt. Diese Möglichkeit nutzen Ärzte der Plastischen und Handchirurgie häufig, wenn in den ersten Stunden nach der Operation das Blutverhältnis zwischen Ein- und Ausstrom in die replantierten Finger nicht stimmt.

Das Röntgenbild zeigt, wie die Knochen in Felix' Hand fixiert wurden.
Das Röntgenbild zeigt, wie die Knochen in Felix' Hand fixiert wurden. © Kornelia Noack

Laut der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie sowie für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) werden jedes Silvester in Großstadtkrankenhäusern rund 50 bis 60 Fälle mit schweren Handverletzungen gezählt. Die meisten Patienten seien Männer, vor allem zwischen 15 und 30 Jahren oder zwischen 50 und 60. Ein Teil von ihnen trägt bleibende Schäden davon.

Auch Felix wird seine linke Hand nie wieder so nutzen können wie vor dem Unfall. Den Ringfinger konnten die Ärzte nicht retten. Zeige-, Mittel- und kleinen Finger haben sie so weit wie möglich mit Transplantaten wieder aufgebaut. Der Daumen war unverletzt. „Das war großes Glück, denn der Daumen ist für die Handfunktionen extrem wichtig, ebenso die Außenseite als Schutz“, sagt Alawi.

Zu Silvester herrscht Ausnahmeszustand

„Das Schicksal von Felix sollte alle, die Feuerwerk mögen, zu einem sehr bedachten, vorsichtigen und rücksichtsvollen Gebrauch von Böllern mahnen“, sagt Professor Adrian Dragu, Direktor für Plastische und Handchirurgie am OUPC.

Schon in normalen Jahren stellt die Silvesternacht für Ärzte in den Notaufnahmen von Kliniken eine besondere Herausforderung dar. Derzeit würden Infektionswellen und Personalengpässe die Krankenhäuser ohnehin belasten. Der Wegfall des Feuerwerkverbotes setze sie nun unter zusätzlichen Druck. „An keinem anderen Tag im Jahr verletzen sich so viele Menschen die Hände wie zu Silvester“, sagt Dragu.

Das Knallverbot in den vergangenen zwei Wintern habe sich durchaus positiv ausgewirkt. Zum Jahreswechsel 2017/2018 registrierte das Dresdener Uniklinikum 14 Explosionsverletzungen durch Böller. Im ersten Pandemiejahr, zum Jahreswechsel 2020/2021, wurden dagegen nur fünf chirurgische Notfälle eingeliefert.

Nachsorge wird Monate dauern

Die Teams der Notaufnahme des Dresdner Uniklinikums werden daher in der Silvesternacht personell verstärkt. Auch für die Weiterbehandlung steht mehr Personal bereit als an anderen Wochenenden üblich, am OUPC ebenso wie beispielsweise in der Augenheilkunde. Denn auch dort müssen erfahrungsgemäß deutlich mehr Verletzungen behandelt werden.

Ende dieser Woche darf Felix nun nach Hause. Die Wunden verheilen gut, bislang hat der Körper nichts abgestoßen. Jetzt warten monatelange Nachsorge auf ihn – Physiotherapie ebenso wie Ergotherapie und Gespräche mit Psychologen. „Nicht wenige Patienten leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen“, sagt Adrian Dragu.

Beim Kauf auf CE-Kennzeichnung achten

Der Verkauf von Feuerwerk beginnt am 29. Dezember und dauert bis Samstag. Das Landeskriminalamt Sachsen rät, beim Kauf auf eine gut lesbare CE-Kennzeichnung zu achten. Das zeigt an, dass das Feuerwerk von Fachleuten auf Sicherheit geprüft wurde. Wichtig sei bei Produkten aus dem Ausland zudem die „Kategorie“. In Deutschland dürfe man ohne eine Erlaubnis nur Feuerwerke der Kategorien F1 und F2 verwenden.

Die Übergangsfrist für Produkte mit der altbekannten BAM-Nummer endete laut Landeskriminalamt bereits Mitte des Jahres 2017. Solche Altbestände dürften daher nicht mehr verwendet werden.

Die Einfuhr und der Handel nicht zugelassener Pyrotechnik in Deutschland sind verboten. Verstöße dagegen werden als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet.