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Darum stemmt Sachsens stärkster Uropa Gewichte

Mit fast 70 hebt Hans Malchau das Doppelte seines Körpergewichts, schwärmt von seinem WM-Sieg in Las Vegas und hat eine Botschaft an alle Generationen.

Von Daniel Klein
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Sich auf den Gewichten ausruhen - das macht Hans Malchau nur für den Fotografen.
Sich auf den Gewichten ausruhen - das macht Hans Malchau nur für den Fotografen. © Foto: Jürgen Lösel

Es blitzt und spiegelt überall. An Hightech-Geräten powern sich junge Menschen in enger Funktionskleidung aus. Sie haben winzige Kopfhörer im Ohr oder blicken auf Fernseh-Bildschirme, die von den Decken hängen. Hans Malchau trainiert in einer Ecke des Freiberger Fitnessstudios, in der alles noch etwas rustikaler wirkt und der Fußboden herunterkrachende Gewichte schadensfrei übersteht.

Der Mann mit der flatternden Jogginghose scheint nicht so richtig reinzupassen in diese Welt. Nicht wegen seiner Figur, da besteht bei manch anderem Besucher eher Optimierungsbedarf, sondern wegen seines Alters. Malchau ist 69 Jahre und Uropa – der stärkste in Sachsen, in Deutschland und vielleicht weltweit. Er betreibt einen Sport, den man mit Muskelbergen und Jugend verbindet. Der Crottendorfer ist so ziemlich das Gegenteil und gerade deshalb ein besonderer Kraftdreikämpfer.

Kreuzheben, Kniebeuge und Bankdrücken sind die drei Disziplinen, wobei er sich aufs Kreuzheben spezialisiert hat. Dabei liegt die Hantel auf dem Boden und muss mit beiden Armen, die um 180 Grad verdreht sind, angehoben werden. Vor vier Jahren stellte Malchau in seiner Alters- und Gewichtskategorie einen Weltrekord auf: 145 Kilogramm. Ob er noch gilt, weiß er nicht. Malchau schaut nicht im Internet nach. Wichtiger als die Bestmarke ist ihm die Botschaft dahinter. „Das ist fast das Doppelte meines Eigengewichts. Das soll erst mal jemand nachmachen“, sagt er.

Was sich nach Angeberei anhört, ist eher als Aufforderung gemeint. Malchau wünscht sich Nachahmer – in jeder Altersklasse. Bei vielen Jugendlichen beobachtet er, dass „sie nur noch zwei Gelenke bewegen, die in den Daumen“. Und bei den Gleichaltrigen, dass sie keine Ziele mehr haben. „Ich will auch ein Vorbild sein und zeigen, dass man in diesem Alter noch kämpfen, den inneren Schweinehund überwinden und etwas leisten kann“, erzählt Malchau. Das stößt nicht immer auf Verständnis. Einige sagen ihm direkt, dass man mit fast 70 doch was anderes machen solle, als Gewichte zu stemmen. Er antwortet dann, dass er sie auch nicht fragt, warum sie vormittags mit der Bierflasche in der Hand in ihrer Garage stehen.

Malchau ist ein Unruhestifter im positiven Sinn. Sein Berufsleben, das ihn von der Deutschen Reichsbahn über die Konzert- und Gastspieldirektion Karl-Marx-Stadt nach der Wende in ein Möbelhaus führte, hat er noch nicht komplett beendet. 120 Stunden im Monat arbeitet Malchau für eine Sicherheitsfirma, ist auch in den Fußballstadien von Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue und dem Chemnitzer FC im Einsatz.

Boxer hilft beim Sicherheitsdienst

Als er mit 63 in Rente ging, hat Malchau einen Kurs gemacht. Seitdem ist er Security-Angestellter – in Zwölf-Stunden-Schichten. „Ich mache das nicht des Geldes wegen, sondern um in Kontakt zu bleiben mit den Menschen“, erzählt Malchau. Er meint die Begegnungen und Gespräche. Nur ganz selten muss Malchau auch handgreiflich werden. Seine Gegenüber wehren sich meist nur kurz. Dann ist ihre Lage aussichtslos. „Viele staunen, dass sie keine Chancen haben, obwohl sie ja viel jünger sind als ich“, sagt er und grinst verschmitzt.

Bei seinen Einsätzen profitiert Malchau auch von seiner zweiten großen Leidenschaft, dem Boxen. 75 Kämpfe bestritt er. Zu großen Meriten reichte es jedoch nicht. 40 Jahre trainierte Malchau den Nachwuchs in Freiberg und Siebenlehn. Nach einer Pause stieg er kürzlich wieder ein. Ohne Sport und Aufgabe geht’s einfach nicht.

Übers Boxen kam Malchau zum Kraftsport. Ein Fitnesstrainer fragte ihn, ob er es nicht mal versuchen wolle. Das war 2012. Zwei Jahre brauchte Malchau, um so fit zu werden, dass es für Wettkämpfe reicht. Mit 80 Kilo fing es an. Nun schafft er bis zu 145. Dafür geht Malchau dreimal pro Woche für je zwei Stunden ins Studio. Nach der Erwärmung folgt das Kreistraining an den Geräten, um Bauch, Beine, Po und Arme zu kräftigen. Erst zum Schluss greift er zur Langhantel und das nur für 15 Minuten.

Was so einfach aussieht, dass selbst Untrainierte in Versuchung kommen könnten, ist technisch anspruchsvoll – und verletzungsanfällig. „Kreuzheben ist kreuzgefährlich fürs Kreuz“, warnt Malchau. Im Englischen heißt die Disziplin Deadlift, wörtlich übersetzt also Todesheben. Natürlich ist das viel zu martialisch. Ehefrau Monika hadert trotzdem mit dem Hobby ihres Mannes. „Sie akzeptiert es, hat aber Angst, dass was passiert, dass ich mich verletze.“

Dabei unterstützt sie ihn auch, zumindest indirekt. Beim Kochen achtet sie auf die Ernährungsregeln ihres Mannes. Nur einmal im Monat gibt es Schweinefleisch, sonst vor allem Hühnchen, Frikassee auch mal drei Tage am Stück, wenn er als Sicherheitsmann im Einsatz ist. Malchau nimmt den Sport, den in Deutschland rund 20.000 Menschen betreiben, sehr ernst.

So sieht Kreuzheben aus: Die Arme müssen um 180 Grad verdreht die Hantel greifen, der Oberkörper kerzengerade sein. Malchau bewältigt so bis zu 145 Kilo.
So sieht Kreuzheben aus: Die Arme müssen um 180 Grad verdreht die Hantel greifen, der Oberkörper kerzengerade sein. Malchau bewältigt so bis zu 145 Kilo. © Foto: Jürgen Lösel

Seinen bisher größten Erfolg feierte er vor fünf Jahren bei der WM in Las Vegas, als er Gold gewann. „Die Stadt, die Halle, die Leute – unbeschreiblich“, sagt Malchau und schwärmt von der besonderen Atmosphäre. Kraftdreikampf heißt in den USA Powerlifting und ist da ein Art Volkssport. „Die Amerikaner haben mir applaudiert. Es war wie eine große Familie. Ich habe dort viel Anerkennung gespürt“, erzählt er.

Der Stolz sei für ihn ein wichtiger Antrieb. Daraus zieht Malchau seine Motivation, entwickelt Willen und Ehrgeiz. Ein anderer ist seine Familie. Zwei Töchter, vier Enkel und drei Urenkel hat er inzwischen. Die Jüngsten sollen später mal die Medaillen bekommen. Wann Malchau abtritt von der Heberbühne, weiß er nicht. Das sei keine Frage des Alters. „Ich mache das, solange ich noch mobil bin.“

Das mit der Mobilität kann man durchaus wörtlich nehmen. In diesem Jahr wurde die in Großbritannien geplante WM abgesagt. 2021 soll sie in Indien stattfinden. „Da war ich noch nie. Das reizt mich“, sagt Malchau. Und er hat noch einen großen Traum: Ebenfalls im nächsten Jahr will Malchau zum Mister-Olympia-Wettbewerb – wieder nach Las Vegas. Eigentlich treffen sich bei dem Mega-Event die besten Bodybuilder der Welt. Im Rahmenprogramm treten aber auch die Kraftdreikämpfer an. Leisten kann er sich die Wettkampfreisen, weil Malchau Sponsoren gefunden hat. Auch da ist er für viele ein Vorbild.