SZ + Leben und Stil
Merken

Warum Eltern für Kindermedizin draufzahlen müssen

Zuzahlungsfrei bedeutet in der Apotheke nicht automatisch gratis. Das haben die Eltern der kranken Martha aus Chemnitz jetzt lernen müssen.

Von Sylvia Miskowiec
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Krankenkassen erstatten Hustensaft und andere Erkältungsmittel für Kinder.
Krankenkassen erstatten Hustensaft und andere Erkältungsmittel für Kinder. © dpa

Die kleine Martha aus Chemnitz fiebert plötzlich heftig. Es ist Sonntagabend. Am nächsten Morgen geht ihr Vater Matthias Behrend mit der Fünfjährigen zur Kinderärztin. Die diagnostiziert Influenza, Virusgrippe. „Weil die Ärztin meinte, dass dem Fieber Erkältungssymptome wie starker Husten folgen würden, verschrieb sie uns noch einen Hustensaft“, sagt Matthias Behrend. „Den habe ich gleich in der Apotheke geholt, sollte dafür jedoch 4,99 Euro bezahlen – obwohl alle Krankenkassen behaupten, dass vom Arzt verordnete Kinderarznei kostenlos und zuzahlungsfrei sei.“

So wie Matthias Behrend geht es derzeit vielen gesetzlich versicherten Eltern, die in Apotheken ein Rezept für ihren Nachwuchs einlösen. Der Grund hat einen bürokratischen Namen: „Festbetrag“ oder auch „Erstattungshöchstgrenze“. Das ist der Preis für Arznei- und Hilfsmittel wie Brillen oder Hörgeräte, den der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung festlegt und den die Krankenkassen ihren Versicherten in der Apotheke zahlen. In der Regel geschieht dies einmal im Jahr. Die Erstattungshöchstgrenze je Medizin ist zudem für alle Kassen gleich.

Der Hersteller kann den Preis bestimmen

Die Liste mit den Obergrenzen umfasst mehrere Hundert Seiten. Sie wird monatlich aktualisiert, denn es spielt noch ein wichtiger Faktor eine große Rolle: der Hersteller selbst. Ob der nämlich seine Medizin billiger oder teurer verkauft, steht ihm frei. Wer es am Ende spürt, ist der Versicherte in der Apotheke. Denn der zahlt die Differenz drauf, wenn der Herstellerpreis über der Erstattungshöchstgrenze der Versicherung liegt – egal, ob es sich um verschriebene Medizin für ein Kind oder einen Erwachsenen handelt.

Im Falle von Matthias Behrend hatte die Kinderärztin Mucosolvan-Saft verordnet, den der Hersteller laut der aktuellen Festpreisliste mit 8,98 Euro ausweist. Die Kassen erstatten für diese Medizin aber nur 3,99 Euro. Daher musste der Chemnitzer die 4,99 Euro draufzahlen.

„Dass Eltern dies tun müssen, hat nichts damit zu tun, dass gesetzlich versicherte Kinder und Jugendliche bis zu ihrem 18. Geburtstag von den sogenannten Zuzahlungen befreit sind“, sagt Matthias Gottschalk von der größten sächsischen Krankenkasse, der AOK Plus. Denn „zuzahlungsbefreit“ heiße lediglich, dass für Kinder und Jugendliche jene fünf bis zehn Euro entfallen, die Erwachsene für verschreibungspflichtige Medikamente in der Apotheke als eine Art Eigenanteil leisten müssen. Kostet das Medikament weniger als fünf Euro, müssen Erwachsene alles selbst zahlen. Für Kindermedizin dagegen wird nichts Derartiges fällig.

Günstige Alternativen mit gleichen Wirkstoffen

Dass Eltern dennoch zur Kasse gebeten werden, sei natürlich ärgerlich, aber: „Auch für Kinderarzneimittel gibt es gleich gute Alternativen, welche innerhalb der Grenzen verfügbar sind“, so Gottschalk. Für die kleine Martha sei beispielsweise der Ambroxol-Saft der Firma Aluid oder Aristo als Ersatz infrage gekommen. Für den Hustensaft von Stada wären nur 60 Cent Zuzahlung nötig gewesen. „Ein Vergleich mit erhältlichen Generika, also wirkstoffgleichen Nachahmerpräparaten, lohnt sich auch bei Kinderarznei“, rät Gottschalk. Manchmal weisen schon Ärzte oder Apotheker selbst auf das günstigere Präparat hin.

In der Chemnitzer Apotheke wurde Matthias Behrend kein Generika-Präparat angeboten. „Kurios war zudem, dass der Saft an jenem Tag als Aktionsartikel für 5,96 Euro angeboten wurde, uns aber der original Herstellerpreis abgerechnet wurde“, sagt er. Das sei zwar für Kunden nicht schön, aber vorschriftsmäßig, sagt Göran Donner, Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer. „Apotheken haben sich bei der Abrechnung von verschriebenen Medikamenten an die Preise zu halten, die in der Arzneimittelpreisverordnung stehen, egal, welchen Preis sie für die frei verkäufliche Medizin im Laden gerade aufrufen.“

AOK Plus übernimmt auch Kosten für Jugendliche

Spielräume haben auch die Kassen bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten wie den derzeit stark nachgefragten Hustensäften, Nasensprays und Schmerzmitteln. Normalerweise zahlen sie selten etwas für derartige Medizin, und wenn, dann nur einen bestimmten Zuschuss – außer für Kinder unter zwölf Jahren. Die AOK Plus geht als einzige Kasse noch einen Schritt weiter und übernimmt ohne besondere Auflagen auch für Jugendliche bis zum 18. Geburtstag die Kosten für rezeptfreie apothekenpflichtige Medikamente. „Ein extra Antrag ist nicht notwendig, das Rezept reicht“, sagt Sprecher Matthias Gottschalk.

Neben Erkältungsarznei erstattet die AOK Plus zudem nicht rezeptpflichtige Arzneimittel gegen Hauterkrankungen wie Neurodermitis und Antihistaminika gegen Heuschnupfen. Letzteres zahlt auch die Barmer Ersatzkasse den Heranwachsenden. Die IKK classic hat dagegen 50 Euro Jahresbudget für pflanzliche, homöopathische und anthroposophische Medizin für Jugendliche eingeräumt. Bei der DAK und der Techniker Krankenkasse stehen für diese Medikamente 100 Euro jährlich je versicherten Jugendlichen zur Verfügung. „Zu den erstattungsfähigen Medikamenten gehört auch pflanzliche Erkältungsarznei wie Prospan Hustensaft oder Sinupret bei Schnupfen“, sagt Viktoria Durnberger, stellvertretende Sprecherin der IKK classic.

Eine Übersicht aller Krankenkassen, die rezeptfreie apothekenpflichtige Medikamente zumindest teilweise erstatten, gibt es beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie.