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Jung, weiblich, gewollt kinderlos: Der lange Weg zur Sterilisation

Manche Frauen wissen schon in jungen Jahren, dass sie nie Kinder haben wollen. Eine Sterilisation ist dann oft eine Erleichterung. Doch einen Mediziner für den Eingriff zu finden, kann alles andere als leicht sein.

Von Dominique Bielmeier
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Vivian Krieger aus Dresden hat sich schon mit 21 Jahren sterilisieren lassen. Doch für den Eingriff musste sie bis nach Wuppertal fahren.
Vivian Krieger aus Dresden hat sich schon mit 21 Jahren sterilisieren lassen. Doch für den Eingriff musste sie bis nach Wuppertal fahren. © Matthias Schumann

Vivian Krieger ist 21. Und sie wird niemals Kinder bekommen. Was für viele andere junge Frauen eine Hiobsbotschaft ist, hat Vivian sich selbst schon mit 17 Jahren versprochen. Sie sitzt auf ihrem Bett, das zugleich das Sofa ihrer hellen Einzimmerwohnung im Dresdner Süden ist, lächelt und sagt: "Das war bisher die beste Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe."

Am 15. September dieses Jahres löst sie dieses Versprechen ein: In einem ambulanten Eingriff in einer Klinik in Wuppertal werden ihre Eileiter nicht nur durchtrennt, sondern ganz entfernt. So sinkt zugleich das Risiko für Eierstockkrebs. Die Wahrscheinlichkeit, nun noch auf natürlichem Wege schwanger zu werden, ist gleich null.

Ihr erstes Gefühl, als sie aus der Vollnarkose aufwacht: Erleichterung. Bis heute hält es an. "Ich bin super froh, dass ich das gemacht habe", sagt Vivian und ihre hellen blauen Augen strahlen. Von der OP geblieben sind nur zwei kleine Narben am Unterbauch und eine direkt im Nabel, die kaum noch zu sehen sind.

Viele Ärzte sterilisieren Frauen erst ab 30 und mit Kindern

Eine Sterilisation ist in Deutschland ab 18 Jahren gesetzlich erlaubt; erfolgt sie ohne medizinischen Grund, also auf Wunsch der Patientin, übernimmt die Krankenkasse seit 2004 die Kosten nicht mehr. Vivian spart die knapp 700 Euro für die Operation privat an. Zwischen 500 und 1.000 Euro kostet der Eingriff laut Pro Familia meist. "Das ist schon nicht ohne", sagt die Studentin. Doch kein Vergleich zum mühsamen Weg bis zum 15. September.

Für viele Frauen steht schon in der Kindheit fest: Eines Tages werde ich selbst Kinder haben. Bei Vivian ist es anders. Schon seit sie 18 ist, versucht sie einen Arzt oder eine Ärztin zu finden, die eine Sterilisation bei ihr durchführen. Doch egal, ob sie gerade in Niedersachsen oder Hamburg wohnt: "Ich bin immer nur auf Ablehnung gestoßen."

Die Mediziner wollen den Eingriff bei der jungen, kinderlosen Frau nicht durchführen. Sie könnte das ja irgendwann bereuen. Weil es sich um eine Wunsch-OP handelt, sind Ärzte zur Behandlung nicht verpflichtet. Auch von ihrer Dresdner Frauenärztin hört Vivian sofort ein Nein.

Zur rund 550 Kilometer entfernten Klinik in Wuppertal findet sie schließlich über eine Karte auf der Website des Vereins "Selbstbestimmt steril": Dort können sich Praxen und Krankenhäuser in Deutschland eintragen lassen, in denen Sterilisationen an Frauen durchgeführt werden. Derzeit sind das gut 50 und nicht selten ist unter "Details" zu lesen: "ab 30 Jahren". Manchmal ist die Altersgrenze auch 35, 25 oder 21.

"Es kann doch nicht sein, dass nur wir solches Glück hatten"

Dass für Frauen wie Vivian der Weg zur Sterilisation oft so schwierig ist, macht Susanne Rau wütend. 2019 gründet die Leipzigerin zusammen mit Katia von der Heydt den Verein "Selbstbestimmt steril". Das Datum hat sie sich auf den Arm tätowieren lassen. Der Verein will, "dass volljährige, mündige Personen mit Uterus und Sterilisationswunsch Gynäkolog*innen in ihrer Nähe finden können, die eine Sterilisation möglichst unabhängig von Alter, Anzahl der Kinder oder medizinischer Indikation ... durchführen". Von "Personen mit Uterus" spricht der Verein, weil das Thema auch Transmänner betrifft.

Susanne selbst lässt sich 2017 in Leipzig sterilisieren, da ist sie 28. "Das war alles total easy, kinderfrei, gar kein Problem", erzählt sie in einem Videotelefonat. Auch eine 31-jährige Freundin ohne Kinder findet gleich einen Arzt für ihre Sterilisation. Aber Susanne merkt bald, dass diese Fälle die Ausnahmen sind. Vielen geht es eher wie Vivian: Wenn sie in den Augen der Mediziner "zu jung" sind und noch keine Kinder haben, werden sie abgewiesen. Immer und immer wieder.

"Da habe ich gedacht, es kann doch nicht sein, dass nur wir solches Glück hatten", sagt Susanne. Jemand müsste mal eine Karte machen und alle Mediziner auflisten. Heute senden sie und ihre Mitstreiterinnen E-Mails, Faxe und sogar Briefe an Praxen und telefonieren ihnen hinterher, immer mit der Frage: Wollen Sie sich nicht auf unserer Karte eintragen lassen?

Viele Ärzte sähen aber nicht die Notwendigkeit, der Begriff "Sterilisation" tauche doch auf der Website auf. Mehrere Sächsische.de-Anfragen an Gynäkologiepraxen blieben unbeantwortet. Das Thema Sterilisation scheint mit einem Tabu behaftet zu sein.

"Das war keine Entscheidung von jetzt auf gleich"

Viele sterilisierte Frauen dagegen sind offen, über ihre Beweggründe zu sprechen. Auf eine Anfrage nach Gesprächspartnerinnen für diesen Artikel, die "Selbstbestimmt steril" über soziale Netzwerke teilt, melden sich gleich drei junge, kinderlose Frauen: Vivian Krieger aus Dresden, Claudia Aigner aus Chemnitz und eine weitere Dresdnerin, die anonym bleiben möchte, weil noch nicht jeder in ihrer Familie von der Sterilisation weiß. In diesem Text wird sie auf eigenen Wunsch Elisa heißen.

Elisa ist seit Januar sterilisiert und "sehr glücklich damit". Die Tagesklinik in Görlitz, in der sie den Eingriff hat durchführen lassen, hat sie über den Verein gefunden. Mittlerweile ist der Eintrag jedoch wieder von der Karte verschwunden. 835 Euro kostet sie die OP. Danach ist sie ein paar Tage ziemlich groggy. "Aber ich hatte keine großen Schmerzen, da hatte ich Schlimmeres erwartet."

Mit der Frage "Kinder oder nicht" hat sich die 25-Jährige über Jahre beschäftigt. "Das war keine Entscheidung von jetzt auf gleich, sondern ein langer Prozess." Was in das Ergebnis mit hineinspielt: der Zustand der Welt, die Verantwortung für ein Kind, der finanzielle Aufwand. Und vor allem: "Es hat sich einfach nie nach etwas angefühlt, womit ich mich gut fühle oder was ich brauche."

Frauen mit Sterilisationswunsch fühlen sich bevormundet

Entscheidend war schließlich, dass für Elisa keine andere, ähnlich sichere, also hormonelle Verhütungsmethode infrage kam. Jahrelang probiert sie verschiedene Pillen aus, hat immer Nebenwirkungen. Die Hormonspirale bereitet ihr so starke Schmerzen, dass sie diese nach einem Jahr wieder entfernen lässt. "Letztendlich habe ich realisiert: Eigentlich zögerst du den Eingriff nur hinaus."

Heute sagt Elisa: "Es bringt mir krass viel mehr Lebensqualität, weil ich einfach nicht mehr über Verhütung nachdenken muss." Im Freundes- und Bekanntenkreis geht sie offen mit ihrer Sterilisation um und erhält viel Zustimmung. Sie hat Freundinnen, die auch keine Kinder wollen. Ihr ist wichtig, dass endlich gesellschaftlich über dieses Thema gesprochen wird. „Man hört immer nur von der Sterilisation des Mannes, nie der Frau.“ Frauen sollten aber wissen, dass dies auch eine Option für sie sein kann.

Nur ihren Eltern und Großeltern hat Elisa vom Eingriff bisher nicht erzählt. Sie rechnet mit wenig Verständnis. "Meine große Schwester und ich haben schon öfter mit ihnen darüber gesprochen, dass wir keine Kinder möchten. Aber davon zu erzählen, dass ich mich habe sterilisieren lassen, macht das Ganze noch mal finaler." Irgendwann, das weiß sie, wird sie auch dieses Gespräch führen müssen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Familie und Gesellschaft oft erwarten, dass jede Frau im Leben irgendwann Kinder bekommen wird, belastet viele, die diesen Wunsch einfach nicht haben. Das geht auch aus den Erfahrungsberichten auf der Seite von "Selbstbestimmt steril" hervor. Dort schildert zum Beispiel die 33-jährige Julia, sterilisiert mit 27, wie ihr der Anästhesist im Vorgespräch zur OP ins Gesicht gesagt habe: "Sie erfüllen Ihre gesellschaftliche Pflicht nicht." Immer wieder wurde sie zum Beispiel bei Feiern auf ihre Familienplanung angesprochen, von völlig Fremden. "Und nur ich wurde gefragt. Mein Partner, der direkt neben mir saß, wurde nicht weiter behelligt."

Manche klagen über Bevormundung durch Ärzte, wenn sie in den Aufklärungsgesprächen hören: In ein paar Jahren denken Sie anders darüber. Was, wenn Sie einen neuen Partner haben? Was, wenn eines Ihrer Kinder stirbt und Sie doch noch ein weiteres möchten?