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Sachsens Pflegeheime verlangen immer höhere Investitionskosten. Wer prüft das?

Die Mutter von Reinhard Kowal soll nun monatlich 502 Euro nur für Investitionen in ihrem Pflegeheim in Dresden zahlen. Kein Einzelfall. Wer kontrolliert, ob das angemessen ist?

Von Kornelia Noack
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Bewohner dieses Heimes in Dresden sollen über 500 Euro monatlich nur für Investitionen zahlen.
Bewohner dieses Heimes in Dresden sollen über 500 Euro monatlich nur für Investitionen zahlen. © SZ/Veit Hengst

Das Beste? – Bei uns Standard.“ Mit diesem Slogan wirbt die Pflege-Residenz von ProSeniore in Dresden. Reinhard Kowal kann darüber nur den Kopf schütteln. Seit 13 Jahren lebt seine Mutter Gisela in der Einrichtung. Die Qualität sei von Jahr zu Jahr schlechter geworden, sagt er. „Zimmereinrichtungen wurden seit Jahren nicht erneuert. Und notwendige Reparaturen werden ständig verschoben oder gar nicht erst durchgeführt. Es wird überall gespart“, sagt er. Was ihn aber wundert: Im vergangenen Jahr sind die sogenannten Investitionskosten, die jeder Pflegeheimbewohner monatlich zahlen muss, plötzlich gestiegen. Dabei sind diese eben genau für solche Instandsetzungen und Modernisierungen gedacht.

Bei Gisela Kowal beträgt der Tagessatz für Investitionen anteilig für ihr 24-Quadratmeter-Zimmer 16,50 Euro. Das macht etwa 502 Euro im Monat – und damit knapp 18 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Damals bezahlte sie knapp 405 Euro. „Als ich daraufhin Einsicht in die Kalkulation nehmen wollte, lehnte die Heimleitung das beharrlich ab. Dabei ist das doch mein gutes Recht“, sagt Reinhard Kowal. Wie er ärgern sich viele Angehörige von Heimbewohnern über die intransparenten Investitionskosten.

Was genau gehört zu den Investitionskosten?

Gemeint sind damit Ausgaben von Heimbetreibern für Umbau- oder Ausbaumaßnahmen, Modernisierungen oder Instandhaltungen – ein neuer Aufzug etwa, die Renovierung der Gemeinschaftsräume oder Maßnahmen für den Brandschutz. Laut Biva-Pflegeschutzbund gehören auch Gebäudemieten, Finanzierungskosten, Leasingaufwendungen und Abschreibungen dazu.

Investitionskosten sind Bestandteil der Heimkosten, die jeder Bewohner leisten muss. Zusätzlich werden Eigenanteile für die reine Pflege und Betreuung fällig, Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie eine Ausbildungsvergütung.

Gibt es eine Höchstgrenze für Investitionskosten?

Nein. Sie beruhen auf den betriebsnotwendigen Aufwendungen, die angemessen sein müssen. „Das heißt, die Kosten müssen der Weiterführung des Betriebs dienen oder der Verbesserung, indem etwa behördliche Auflagen zum Brandschutz umgesetzt werden“, sagt Marco Pätzold vom Kommunalen Sozialverband Sachsen (KSV).Es heißt aber auch, dass die Höhe von den Versorgungsverträgen und Vereinbarungen in den Heimverträgen mit den Bewohnern abhängt. Eine Einrichtung mit anspruchsvoller Ausstattung kann demnach höhere Investitionskosten beanspruchen als andere, die einen geringeren Standard aufweisen. Allerdings: Geld für eine Luxusausstattung darf von den Bewohnern nicht verlangt werden.

Dürfen Investitionskosten auf Bewohner umgelegt werden?

Nicht alle, nur die betriebsnotwendigen. Wie sich diese zusammensetzen, muss im Heimvertrag ausdrücklich vereinbart sein, wie die Verbraucherzentrale erklärt. Dabei muss die Höhe des Umlagebetrages pro Bewohner und Tag angegeben werden. Welche Kosten umgelegt werden dürfen, ist in Paragraf 82 Sozialgesetzbuch XI geregelt.

Dürfen die Investitionskosten einfach erhöht werden?

Im Prinzip ja, der Heimbetreiber kann jederzeit investieren – zum Beispiel, wenn ein neues Gemeinschaftszentrum gebaut oder der Garten neu gestaltet werden soll. Dies muss laut Biva-Pflegeschutzbund aber vorhersehbar, sprich im Wohn- und Betreuungsvertrag geregelt sein. Den Bewohnern müssen Kostenänderungen mindestens vier Wochen vorher schriftlich angekündigt werden.

Im Fall der ProSeniore-Residenz in Dresden wurden die Investitionskosten im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit 17 Jahren erhöht – von 13,30 Euro auf 16,50 Euro. „Wir haben seit 2005 das erste Mal neu verhandelt. Das lag vor allem an der gestiegenen Miete für das Gebäude“, erklärt Peter Müller, Sprecher des Unternehmens, auf Nachfrage der SZ. ProSeniore betreibt bundesweit mehr als 100 Einrichtungen mit rund 17.000 Betten. „Ursprünglich wollten wir in Dresden höhere Kosten ansetzen, sind damit aber gescheitert. Daher sehen wir die Erhöhung als sehr moderat an.“

Wer legt die Höhe der Investitionskosten fest?

Welche Kosten weitergegeben werden können, hängt insbesondere davon ab, ob es sich um eine öffentlich geförderte oder nicht geförderte Einrichtung handelt. Als gefördert gelten Heime in Sachsen, wenn sie in der Zeit nach der Wende bis 2005 von der Förderung nach Artikel 52 PflegeVG profitiert haben. Dabei handelte es sich um Bundes- und Landesmittel. „Die Heime haben den Status gefördert noch bis zum Ende der Zweckbindungsfristen beziehungsweise bis zur Abschreibung der mit Fördermitteln angeschafften Anlagegüter“, sagt Jeanette Grundmann vom KSV. In Sachsen trifft das auf etwa die Hälfte der insgesamt 880 stationären Einrichtungen zu. In der Regel sind das Heime in Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände.

Sie benötigen für ihre Investitionskosten die Zustimmung der zuständigen Landesbehörde. In Sachsen ist das der Kommunale Sozialverband. Hat dieser die Kalkulation einer Einrichtung geprüft, zahlen alle Bewohner den Betrag, dem zugestimmt wurde. „Wir prüfen dabei sämtliche veranschlagte Kosten für jede geplante Maßnahme“, erklärt Grundmann. Die Zustimmung wird dann für zwölf Monate erteilt.

Haben nicht geförderte Heime freie Hand bei der Kalkulation?

Ja, sie müssen die Investitionskosten, die sie auf ihre Bewohner umlegen wollen, dem KSV lediglich schriftlich mitteilen. Auf die Höhe hat der dann keinerlei Einfluss mehr. Eine Ausnahme gilt nur, wenn ein Heimbewohner die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ bezieht. Für ihn muss die Einrichtung mit dem KSV konkret vereinbaren, wie viel Investitionskosten sie abrechnen kann. „Dabei prüfen wir die angegebenen Investitionskosten auf Plausibilität“, sagt Grundmann.

Beispiel: In den Chemnitzer Pflegeheimen, in denen im Juli dieses Jahres sozialhilfebedürftige Personen betreut wurden, lag die Spanne der verhandelten Investitionskosten laut Sozialamt zwischen 146 Euro und 541 Euro im Monat.

Alle anderen Bewohner in nicht geförderten Pflegeeinrichtungen sind quasi auf sich allein gestellt. Ihnen kann das Heim daher auch deutlich höhere Investitionskosten in Rechnung stellen. Die ProSeniore-Residenz ist so eine nicht geförderte Einrichtung. Da Gisela Kowal finanzielle Unterstützung vom Sozialamt bezieht, wurde für sie der Satz von 16,50 Euro mit dem KSV vereinbart. Für die sogenannten Selbstzahler in dem Dresdener Heim seien laut Sprecher Müller die Kosten jedoch in gleichem Maße gestiegen. Für sie liegt der Tagessatz nun bei 18,48 Euro.

Dürfen Bewohner die Kalkulation einsehen?

Ja. Kündigt ein Pflegeheim höhere Investitionskosten an, haben Bewohner laut Paragraf 9 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz einen Anspruch darauf. Genau heißt es: „Der Verbraucher muss rechtzeitig Gelegenheit erhalten, die Angaben des Unternehmers durch Einsichtnahme in die Kalkulationsunterlagen zu überprüfen.“ Inwieweit Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen dieses Recht durchsetzen können, ist jedoch fraglich. Zudem dürften vielen die Kenntnisse fehlen, ob es sich tatsächlich um betriebsnotwendige Kosten handelt – nur diese dürfen umgelegt werden.

Auch Reinhard Kowal hatte das Heim, in dem seine Mutter lebt, aufgefordert, ihm Einblick in die Kalkulation zu gewähren. Ohne Erfolg. Er wurde an den KSV verwiesen. „Das ist auch richtig so. Ohnehin erhält man Einsicht nur in die mit dem KSV verhandelten Pflegesätze“, sagt ProSeniore-Sprecher Müller.

Warum steigen die Investitionskosten jedes Jahr?

„In vielen Heimen sind fast 20 Jahre nach Ende der öffentlichen Förderung wichtige Instandsetzungsmaßnahmen nötig“, sagt Marco Pätzold. Dabei spielten auch gestiegene Handwerkerkosten eine Rolle. Derzeit würden zudem energetische Sanierungen sowie Maßnahmen zum Katastrophen- und Brandschutz die Kosten in die Höhe treiben. Wenn während laufender Investitionen Mehrkosten entstehen, fließen diese ebenso in die Kalkulation mit ein.

Im Durchschnitt betragen die Investitionskosten in Sachsen 438 Euro im Monat (Stand 1. Juli). Damit liegt der Freistaat 40 Euro unter dem bundesweiten Schnitt, wie der Ersatzkassenverband VDEK ermittelt hat. Vor fünf Jahren lagen die durchschnittlichen Kosten noch bei 336 Euro im Monat.

Das Gebäude der ProSeniore-Residenz wurde 2002 eröffnet und ist damit verhältnismäßig jung. Sprecher Peter Müller war vor sechs Wochen das letzte Mal selbst vor Ort. „Ich empfand das Haus in einem richtig guten Zustand“, entgegnet er auf den Vorwurf von Reinhard Kowal. Natürlich seien in den vergangenen Jahren Renovierungsarbeiten erfolgt. Hinzu kämen nun gestiegene Wartungskosten beispielsweise für Aufzüge und die Heizungsanlage.

Können Bewohner finanzielle Hilfe bekommen?

Ausschließlich für Investitionskosten gibt es keine Unterstützung. Wenn das eigene Einkommen aber nicht ausreicht, um die Eigenanteile im Pflegeheim zu bezahlen, können Bewohner die „Hilfe zur Pflege“ beim Sozialamt beantragen. Ob diese genehmigt wird, hängt vom Einkommen und den Vermögensverhältnissen ab. Dabei gibt es ein Schonvermögen von 10.000 Euro. Kinder der Pflegebedürftigen werden erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro in die Pflicht genommen.

Das Sozialamt der Stadt Chemnitz zum Beispiel hat 664 Anspruchsberechtigte registriert (Stand 30. Juni). Die Ausgaben der Stadt für die „Hilfe zur Pflege“ liegen in diesem Jahr bereits bei 2,2 Millionen Euro.

Was tun, wenn die Kosten immer weiter steigen?

Nachfragen lohnt sich oft. Auch wenn Bewohner eine eher schlechte Rechtsposition haben und Nachteile fürchten, sollten sie informiert sein, welche Kosten von ihnen verlangt werden und wie sich deren Höhe errechnet, so der Biva-Pflegeschutzbund.

Reinhard Kowal hatte noch eine ganz andere Vermutung. Er glaubte, dass von den eingenommenen Geldern nicht nur die Aktionäre bedient werden, sondern auch andere Bereiche der Victor’s Group, zu der ProSeniore gehört, wie Hotels oder die Ferienanlage in Portugal. „Diese Objekte werden natürlich nicht quersubventioniert“, sagt Sprecher Müller. Als Betreiber eines Pflegeheimes müsse man bei Verhandlungen der Pflegesätze alles offenlegen. „Mehr Transparenz geht gar nicht.“

Wie werden sich die Investitionskosten entwickeln?

Das ist schwierig zu sagen. Sozialverbände und Patientenvertreter fordern schon seit Langem, dass die Länder die Investitionskosten von Pflegeeinrichtungen übernehmen. Abzusehen ist das bislang noch nicht.

In diesem Jahr in Kraft getreten ist das sogenannte Wohngeld Plus: Pflegebedürftige in einem Heim können einen Anspruch darauf haben, bei der Miete unterstützt zu werden. In Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein können Heimbewohner zudem ein Pflegewohngeld beantragen.