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Rauchfrei bis 2040: Ist das wirklich machbar?

Europa verfolgt ein ehrgeiziges Ziel. Was sächsische Mediziner davon halten – und was sie vorschlagen.

Von Steffen Klameth
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Kein Kunstobjekt: Was Professor Christian Vogelberg hier in die Kamera hält, hat einem Menschen mal das Leben gekostet.
Kein Kunstobjekt: Was Professor Christian Vogelberg hier in die Kamera hält, hat einem Menschen mal das Leben gekostet. © Arvid Müller

Das Ding, das Professor Christian Vogelberg dem Fotografen präsentiert, sieht schon ziemlich bizarr aus. Mehr schwarz als alles andere, nur die Form lässt eine Ahnung zu, worum es sich bei dem Objekt handeln könnte: eine Lunge. „Eine Raucherlunge“, präzisiert der Mediziner.

Das Präparat wird in der Pathologie des Dresdner Uniklinikums aufbewahrt. Der Leiter des Bereiches Kinderpneumologie/Allergologie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin zeigt es gern, wenn er Schulklassen über die Schädlichkeit des Rauchens aufklärt. Die Raucherlunge überzeugt oft mehr als lange Vorträge.

Über den ursprünglichen Besitzer kann Vogelberg nicht viel sagen. Die dunkle Verfärbung des Atemorgans lässt aber keine Zweifel zu, dass der Patient ein langjähriger, starker Raucher gewesen sein muss – und dass ihm das zum Verhängnis wurde: „Die Teerablagerungen beeinflussen einerseits den Sauerstoffaustausch, tragen aber auch zu chronischen Entzündungen der Bronchialschleimhaut bei, damit letztlich auch zu einer Versteifung der Lunge.“ Erstes Symptom ist meist der Raucherhusten, später folgen Atemnot und die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD).

Europa soll nahezu rauchfreier Kontinent werden

In der Regel bleibt es nicht dabei. Auch Herzerkrankungen, Schlaganfälle und Typ-2-Diabetes treten überdurchschnittlich oft bei Rauchern auf. Fachleute schätzen, dass jede dritte Krebserkrankung dem Tabakkonsum geschuldet ist. Inzwischen weiß man auch, dass sich das Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs verdoppelt. Laut Bundesregierung sterben jährlich 127.000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Rauchens.

Rauchen schadet der Gesundheit – das steht auf jeder Zigarettenpackung. Nun sollen den Losungen auch Taten folgen. Die EU-Kommission gab kürzlich das Ziel aus, Europa zu einem nahezu rauchfreien Kontinent zu machen. Nahezu – das heißt, dass der Anteil der Raucher weniger als fünf Prozent ausmacht. Derzeit liegt er bei etwa 25 Prozent. Das EU-Ziel erscheint logisch.

Aber ist es auch realistisch? Professor Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel, hat die Frage für Deutschland untersucht. Sein Fazit: Die Bundesrepublik kann das Ziel von weniger als fünf Prozent rauchender Erwachsener etwa im Jahr 2043 erreichen. Voraussetzung sei, dass sich die linearen Trends in der Zukunft fortsetzen, schreibt der Wissenschaftler in einem Beitrag für die Deutsche Medizinische Wochenschrift.

Mit zwölf die erste Zigarette

Der Optimismus beruht vor allem auf den Erfahrungen in der jüngsten Vergangenheit. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Raucher in Deutschland nämlich gesunken – und zwar signifikant. Bei den Frauen ging der relative Anteil der rauchenden Erwachsenen von über 30 auf 18,5 Prozent zurück, bei den Männern von 39 auf 24,2 Prozent. Geradezu sensationell mutet die Entwicklung bei Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Jahren an: Griffen im Jahr 2000 noch 27,5 Prozent regelmäßig zum Glimmstängel, waren es im Jahr 2018 nur noch 6,6 Prozent. Hanewinkel hält es für möglich, dass die Fünf-Prozent-Marke in dieser Altersgruppe bereits in diesem Jahr erreicht werden könnte.

Das Ziel ist also klar. Aber wie kann man es erreichen? Dr. Wolfgang Schwarz ist 86 Jahre alt und engagiert sich bereits mehr als die Hälfte seines Lebens im Kampf gegen den Tabakkonsum – zu DDR-Zeiten im Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten in Berlin, später in verschiedenen Nichtraucherinitiativen.

Er sagt, dass Kinder im Schnitt bereits mit zwölf Jahren mit dem Rauchen beginnen: „Diesen frühen Einstieg muss man verhindern.“ Schwarz hat ein Generationenprogramm erarbeitet, mit konkreten Vorschlägen für die verschiedenen Altersgruppen von null bis 21 Jahren. Es nimmt Eltern, Lehrer und Erzieher genauso in die Pflicht wie den Staat. Warum, fragt er, ist Deutschland in der EU das einzige Land, wo Plakatwerbung für Tabakwaren noch erlaubt ist? Stattdessen schlägt er „geballte Werbekampagnen“ vor, die etwa auf die Schädlichkeit des Rauchens verweisen.

Tabakindustrie feilt an Verführungsstrategie

Christian Vogelberg weiß aus eigener Erfahrung, was man mit kluger Aufklärungsarbeit erreichen kann. „Der erhobene Zeigefinger genügt aber nicht“, sagt der Kinderpneumologe. Man müsse das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen stärken und ihnen klarmachen, dass sie missbraucht werden. Schockbilder auf Zigarettenschachteln allein bewirkten gar nichts. Wichtig sei, dass man sich damit auseinandersetzt – so wie mit der geteerten Lunge aus der Pathologie.

Aber auch die Tabakindustrie feilt an ihrer Verführungsstrategie. Über soziale Medien werde versucht, ganz gezielt und sehr subtil Einfluss zu nehmen, sagt Vogelberg: „Da hält ein Influencer wie nebenbei eine Zigarette in der Hand und suggeriert damit, dass Rauchen etwas ganz Normales sei.“

Diese Bilder verfangen gerade dort, wo die Gefahr des Einstiegs ohnehin am größten ist. „60 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen leben in benachteiligten Familien mit mindestens einem rauchenden Elternteil“, zitiert Vogelberg aus einer Studie. Mit anderen Worten: Je niedriger der Sozialstatus, desto geringer das Gesundheitsbewusstsein. Eltern ließen ihre Kinder einfach mitrauchen, oder die Kinder bedienten sich heimlich bei den Eltern.

40 Euro pro Packung?

Die gestiegenen Zigarettenpreise schmälern das geringere Einkommen zwar weiter, aber der Kostendruck ist offenbar noch nicht groß genug. Die Tabaksteuer müsse doppelt so hoch wie heute sein, fordert der Arzt. Nach Ansicht von Wolfgang Schwarz sollte eine Schachtel Zigaretten mindestens 20 Euro kosten. „Und wenn man alle Schäden damit kompensieren will, sogar 40 Euro.“

Je früher Menschen mit dem Rauchen beginnen, desto größer sei die Gefahr, dass sie davon abhängig werden, sagt Professor Vogelberg. Und: „Es gibt fast keinen Raucher ohne Abhängigkeit.“ Ein Verzicht auf das Rauchen löse bei ihnen unweigerlich körperliche Symptome aus: „Abhängigkeit hat einen Krankheitswert.“ Das Problem: Nikotinabhängigkeit wird in Deutschland nicht als Krankheit anerkannt.

„Für eine Entwöhnung brauchen Raucher die Medikamente genauso wie Alkoholkranke oder Drogenabhängige“, erklärt Dr. Jakob Bickhardt. Der Facharzt ist stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Pneumologen und betreibt eine Gemeinschaftspraxis in Dresden. Medikamente verhindern, dass der Suchtstoff Nikotin im Gehirn wirkt. Als Ersatz hätten sich Pflaster, Kaugummi und Lutschtabletten bewährt. Sowohl die Medikamente als auch die Ersatzstoffe müssten Betroffene allerdings aus eigener Tasche bezahlen. Hintergrund ist ein Paragraf im Sozialgesetzbuch, der solche Präparate als „Lifestyle-Medikamente“ einstuft – ähnlich wie Potenzmittel und Appetitzügler.

Entwöhnungskurse für Raucher

Vor ein paar Jahren durfte Bickhardt eine Ausnahme machen. Im Rahmen eines Modellprojektes mit der AOK Plus veranstaltete der Berufsverband zusammen mit der TU Chemnitz Entwöhnungskurse für Raucher, die länger als acht Wochen an chronischem Raucherhusten litten oder an COPD erkrankt waren. Das Programm, das Bickhardt selbst mitentwickelt hatte, besteht aus drei mal drei Stunden Gruppengespräch, wahlweise auch mit medikamentöser Unterstützung. Es geht um Motivation, Änderung der Lebensweise, Strategien gegen Rückfälle. Anschließend werden die Teilnehmer bis zu zwölf Monate lang weiter betreut.

Die Studie der TU Chemnitz habe den Nutzen der Kurse eindeutig belegt, sagt der Arzt: „Wir konnten zeigen, dass die Tabakentwöhnung am besten mit Verhaltenstherapie, Medikamenten und längerfristiger telefonischer Begleitung funktioniert.“ Vier von zehn Teilnehmern waren auch nach einem Jahr noch Nichtraucher – eine vergleichsweise hohe Quote, die aber auch die Grenzen der Medizin offenbart.

Der Erfolg hat die AOK Plus und inzwischen auch die IKK classic überzeugt. Beide Kassen bieten das Programm kostenlos an, sofern die Versicherten die genannten Voraussetzungen erfüllen. Lediglich die Medikamente müssen die Teilnehmer selbst zahlen. Mitglieder anderer Kassen könnten das Angebot ebenfalls nutzen, sie müssten die Kosten aber komplett selbst übernehmen. „Das Geld hat man aber in einem halben Jahr als Nichtraucher wieder rein“, sagt Jakob Bickhardt. „Es ist nie zu spät zum Aufhören.“