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Wenn Schwester Katarina auf Arabisch loslegt

Am Donnerstag können Görlitzer zum vorerst letzten Mal mit geflüchteten Menschen in der Peregrinus-Herberge zusammenkommen. Organisatorin Katarina Seifert sucht aber schon nach neuen Orten für das Konzept.

Von Jonas Niesmann
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Schwester Katarina (rechts) im Gespräch mit einer jungen Afghanin. "Es ist mir ein Anliegen, dass niemand hier sitzt und sich verloren fühlt."
Schwester Katarina (rechts) im Gespräch mit einer jungen Afghanin. "Es ist mir ein Anliegen, dass niemand hier sitzt und sich verloren fühlt." © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Es war ein Schüler aus dem Integrationskurs, der Schwester Katarina auf die Idee brachte. Die Geflüchteten, die in dem Kurs Deutsch lernten, wünschten sich mal "Deutsch ohne Lehrbuch." Seit Anfang Januar gab es nun jeden Donnerstag zwischen 15 und 17 Uhr das Begegnungscafé. In der Peregrinus-Herberge in der Langenstraße können sich Menschen, die neu in Deutschland sind, mit Görlitzern treffen, um sich bei entspannter Atmosphäre auszutauschen.

Katarina Seifert (61) ist gelernte Krankenschwester, 1985 ist sie in die Diakonissenanstalt Emmaus Niesky eingetreten, seitdem also Schwester Katarina. 20 Jahre lang hat sie sich um kranke Menschen gekümmert, im Jahr 2015 dann kam sie das erste Mal ehrenamtlich mit Geflüchteten in Kontakt. Es folgte ein Lehrgang zur Integrationsbegleiterin, seit 2019 ist sie beim Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) als – ja, als was genau? 'Referentin für Flucht und Willkommen' steht auf ihrer Visitenkarte. "Ich mache so ein bisschen alles, was mit Geflüchteten zu tun hat", sagt Seifert und lächelt verschmitzt.

"Dafür gibt es doch Google Übersetzer!"

Über die Wintermonate ist das unter anderem das Begegnungscafé. Um Menschen auf das Projekt aufmerksam zu machen, geht Seifert selbst in den Heimen für Geflüchtete von Tür zu Tür und lädt ein. Sie hat dann ein kleines Plakat dabei, auf dem steht auf Deutsch: 'Herzliche Einladung', dann das Datum und der Ort, und ein kurzer Text. Können das denn überhaupt alle lesen? "Ne", sagt Seifert, "aber dafür gibt es doch die Kamera-Funktion von Google Übersetzer!"

Man sieht es ihr vielleicht nicht sofort an, aber Schwester Katarina ist digital und bestens vernetzt. Mit flinken Fingern wischt sie über ihr Tablet, öffnet die Kontakte: "Schauen Sie mal, wie viele Mohammeds ich hier habe! Da verliere ich manchmal den Überblick!" Deshalb schreibt sie kleine Notizen hinter viele der Namen: 'Tunesien' etwa, weil ein Mohammed gerade in Tunesien ist, oder 'Papa Juliz', weil ein anderer Mohammed eben der Papa von Juliz ist. Auf das Netzwerk, das Seifert inzwischen aufgebaut hat, ist sie stolz. "Die Leute schreiben mir, wenn sie Hilfe brauchen oder Fragen haben, zum Beispiel einen Deutschkurs machen wollen oder einen neuen Kinderwagen suchen", erzählt sie. Die Anfragen leite sie dann an ihr Netzwerk weiter, meistens finde sich etwas.

Trotz Sprachbarriere: Miteinander lachen geht immer

Doch heute soll es um Begegnung gehen. In dem großen Raum der Peregrinus-Herberge stehen sechs Tische, gedeckt mit Kerzen und Gebäck. An einem sitzen drei junge Syrer mit schwarzen Bärten und Kapuzenpullis, am anderen eine ältere Ukrainerin, und am vordersten links sitzen zwei Frauen mit ihren Kindern. Eine davon ist die 33-jährige Shahnaz. Die gelernte Friseurin ist nach der Machtübernahme der Taliban aus ihrer Heimatstadt Ghazni in Afghanistan geflohen, zusammen mit ihrem Mann – ja, Mohammed – ihrem Sohn Mustafa (9) und ihrer Tochter Sara (5). In Görlitz fühle sie sich wohl, sagt Shahnaz, sie wolle gerne bleiben. Seit 20 Tagen besucht sie einen Integrationskurs – also hauptsächlich einen Sprachkurs, erklärt Schwester Katarina. Sie ist zum Begegnungscafé gekommen, um Deutsch zu üben.

Also dann. "Wie bist du von Afghanistan nach Deutschland gekommen?" "Mit dem … Shahnaz lacht verlegen – mit dem…"

"Mit dem Flugzeug? Mit dem Auto? Zu Fuß?"

"Flugzeug!", sagt sie und freut sich, dass sie das Wort erkennt, "mit dem Flugzeug in den Iran, und dann mit dem Bus und Zug und zu Fuß."

"Wie lange hat das gedauert?"

"Zwei Tage", sagt Shahnaz.

"Zwei Monate!", kräht Mustafa von unten rechts. Er spricht nach drei Jahren Grundschule bereits hervorragend Deutsch.

Es ist kein Gespräch, wie man es mit Freunden nach Feierabend führt. Es beschränkt sich auf einfache Wörter, man spricht langsam und deutlich, und mit den Themen würde man keinen Philosophiewettbewerb gewinnen. Doch es ist erstaunlich, wie viel man trotzdem gemeinsam lachen kann.

„Da gucken die Leute, wenn ich plötzlich auf Arabisch loslege“

Schwester Katarina sagt, sie könne es gut nachvollziehen, wenn man anfangs Hemmungen wegen der Sprachbarrieren hat. „Ich zeige am Anfang immer auf mich und sage: Ich bin Katarina. Und du?“ Danach kriege man einen Draht, „notfalls mit Händen und Füßen.“ Sie rät, die geflüchteten Menschen nicht nur auf ihre Herkunft zu reduzieren und stattdessen über alltägliche Dinge zu reden – Familie, Sport oder Kochen. Hauptsache, man spreche Deutsch, damit die Menschen es üben können. Wenn es wichtig ist, zum Beispiel weil es um das Ausfüllen eines Formulars geht, benutzt sie den Google Übersetzer oder bittet jemanden, zu helfen. Ein paar Wörter in den jeweiligen Landessprachen kann sie aber auch: „Da gucken die Leute dann, wenn ich plötzlich auf Arabisch loslege.“

Seifert setzt sich zu der Ukrainerin, die allein gekommen ist. "Mir ist es ein Anliegen, dass niemand hier sitzt und sich verloren fühlt", sagt sie. Es sei nicht einfach, genug Gesprächspartner für die Geflüchteten zu finden. Das sieht man auch an diesem Tag: Es sind deutlich mehr Migranten als Einheimische gekommen, von den wenigen Deutschen sind die meisten aus Seiferts Netzwerk. Eine Ausnahme ist Traude Kochs. Die 82-Jährige ist selbst auf das Begegnungscafé aufmerksam geworden und war schon mehrmals da. Wenn man sie fragt, warum, erzählt sie von ihrem Leben. Kochs hat 15 Jahre als Ärztin in Bolivien gearbeitet, in unzugänglichen Bergregionen und Gefängnissen. "Ich bin dort fremd gewesen, den Menschen hier geht es doch heute genauso." Dass es in Deutschland gerade so viele Vorbehalte gegen Fremde gäbe, erklärt Kochs damit, dass zu wenig miteinander gesprochen werde. "Die Leute wollen ja arbeiten, und sie wollen die Sprache lernen." Dafür müssten sie sich ausprobieren können: "Da ist so ’ne olle Oma wie ich doch genau richtig!"

Neue Räumlichkeiten für Begegnungscafé gesucht

Inzwischen haben sich für jeden Tisch Gesprächspartner gefunden, die Stimmung in dem kleinen Saal ist angenehm gelöst. Schwester Katarina würde das Projekt Begegnungscafé gerne ausweiten, denn am Donnerstag findet es vorerst das letzte Mal in den Räumen der Peregrinus-Herberge statt. Die Räumlichkeiten werden danach wieder für den Gästebetrieb benötigt. Seifert sieht darin auch eine Chance: "Mit wechselnden Orten erreiche man auch mehr Menschen." Aktuell ist sie dazu mit Schulen und Kirchgemeinden im Gespräch. Die Nachfrage sei auf jeden Fall da: "Wir brauchen nur den Raum. Ich organisiere die Migranten", sagt Seifert und lacht.