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Waggonbau Görlitz: Großbrand von 1983 war der teuerste in der gesamten DDR

Mitten in der Nacht entwickelte sich vor 40 Jahren ein Großbrand im Görlitzer Waggonbau. Hunderte Feuerwehrleute rückten an, die Halle aber war nicht mehr zu retten. Aufgeklärt wurde der Brand nie.

Von Ralph Schermann
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Das Bild zeigt das Waggonbau-Werk in Görlitz nach der politischen Wende.
Das Bild zeigt das Waggonbau-Werk in Görlitz nach der politischen Wende. © Bombardier

Im Nachweisbuch der Kriminaltechniker des Görlitzer Volkspolizeikreisamtes sind für das Jahr 1983 nicht mal hundert Einsätze vermerkt. Manche von ihnen aber hatten es durchaus in sich – wenn auch nicht wegen „Mord und Totschlag“, wie heutige Krimis die Realität verzerren.

Der Einsatz Nummer 47/83 nennt für den 26. Oktober einen „Großbrand VEB Waggonbau Werk II“ mit ausgewerteten Bauzustands-, Schuh- und weiteren Spuren sowie einer Fotodokumentation. Bodenproben wurden zu einer speziellen Laboranalyse nach Dresden geschickt. Am 8. November war für die Kripo-Techniker der Fall erledigt: „Kein Hinweis auf brennbare Lösungsmittel.“ Alles Weitere ging sie nichts mehr an. Wohl aber die Ermittler.

Alles begann am 26. Oktober 1983. Ein Mitarbeiter der Betriebsfeuerwehr bemerkte auf einem Kontrollgang um 23.50 Uhr einen Brand in der Halle 220 und alarmierte sofort seine Werkswehr. Diese rief die Görlitzer Berufsfeuerwehr zur Unterstützung. In besagter Halle brannten lichterloh Paletten mit Furnierholz, die Wehrleute brauchten schnell weitere Unterstützung.

Um 23.58 Uhr rückte die Werksfeuerwehr des VEB Maschinenbau an. Sirenen alarmierten die freiwilligen Feuerwehren, die 20 Minuten später anrollten, gerade in jenem Moment, als nach einem heftigen Knall die Halle einem Feuerball glich. Es war zum „flash over“ gekommen, jener von den Feuerwehren gefürchteten explosionsartigen Durchzündung. Die Hitze war so gewaltig, dass bei einem an der Halle vorbeifahrenden Löschfahrzeug die Blaulichter schmolzen und die Scheiben platzten.

Alles an vorhandenen Löschmannschaften wurde nun dazu eingesetzt, umliegende Gebäude zu schützen. Um den gewaltigen Flammen Herr zu werden, schickte die Leitstelle nun auch noch Wehren umliegender Dörfer nach Görlitz. Um 0.30 Uhr wurde Großalarm für die Betriebskampfgruppen ausgelöst, weil sich die Flammen bedrohlich dem Abstellgelände der Kampfgruppen-Fahrzeuge näherten.

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Die Halle – es war eine plasteummantelte Stahlkonstruktion – hielt nicht länger stand. Träger bogen sich wie Gummi. Das Dach stürzte ein, was aber auch einen Vorteil hatte: Die Wucht schlug große Teile des Feuers aus. Um 1.07 Uhr informierte der Einsatzleiter, dass die Halle zwar noch weiter brennt, für umstehende Anlagen jedoch keine Gefahr mehr besteht. „Brand unter Kontrolle“ hieß an dieser Stelle: kontrolliertes Abbrennen.

Die Löscharbeiten dauerten bis in die Vormittagsstunden, nach Abzug der Wehren übernahm dann die Waggonbau-Werksfeuerwehr Brandwache und Restlöscharbeiten. Diese dauerten noch eine Woche, weil immer wieder Glutnester aufflackerten.

Doch auch für die Berufsfeuerwehr gab es keine Pause. Um 13.21 Uhr wurde sie auf die Bahnhofstraße 14 gerufen, wo eine 49-jährige Frau beim falschen Umgang mit einem Gasherd fahrlässig eine Explosion ausgelöst hatte, die sämtliche Fenster und Türen aus dem mehrstöckigen Gebäude riss. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Im Waggonbau ging es in jenen Stunden um die Ermittlungskompetenz. Noch in der Nacht waren neben der Betriebsleitung der Staatsanwalt, die diensthabende Gruppe der Kripo, die Kriminaltechnik und Mitarbeiter der Staatssicherheit eingetroffen, bald darauf redete ihnen auch höchstselbst der Görlitzer Polizeichef und die Spitzen der SED-Kreisleitung hinein. Es wurde eine enge Abstimmung aller Maßnahmen vereinbart, federführend ermittelte aber die Görlitzer Kriminalpolizei.

Bald stand fest, dass es sich eindeutig um Brandstiftung handelte. Der Ausbruch des Brandes wurde für 22.15 Uhr, die Vorbereitung der Tat sogar viel früher nachgewiesen. Deshalb steht im Einsatzbuch der Kriminaltechnik als nachträglicher Vermerk der 25. Oktober 1983 als Tag der Tat.

Die Kripo nahm mehrere Verdächtige vorübergehend fest, doch eindeutige Beweise fehlten. So blieb es denn bis heute bei Gerüchten und Vermutungen, warum und wie genau es zu diesem verheerenden Brand kam. Eines aber steht fest: Der mit mindestens 88 Millionen Mark bezifferte Schaden ging als höchster Brandverlust in Görlitz zu DDR-Zeiten in die Statistik ein.