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Gegen den Verfall zu DDR-Zeiten: Wie Görlitzer die Altstadt retteten

Die Görlitzer Altstadt verfiel zu DDR-Zeiten zusehends. Doch hinter den bröckelnden Fassaden gab es erstaunliche Initiativen. Darüber berichtete vor 45 Jahren die Zeitschrift „Kultur im Heim“.

Von Ralph Schermann
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Zu Lasten Tausender Neubau-Plattenwohnungen in Königshufen verfiel 1989 die Görlitzer Altstadt immer mehr -  hier die Apothekergasse. Doch in den Wohnungen sah es auch erstaunlich schick aus.
Zu Lasten Tausender Neubau-Plattenwohnungen in Königshufen verfiel 1989 die Görlitzer Altstadt immer mehr - hier die Apothekergasse. Doch in den Wohnungen sah es auch erstaunlich schick aus. © Ratsarchiv Görlitz

Görlitz steht sogar auf der Landkarte! So lautete allen Ernstes eine Zwischenüberschrift in der „Kultur im Heim“ vor 45 Jahren. Das war eine in der DDR äußerst beliebte Zwei-Monats-Zeitschrift für Wohnraumgestaltung, gegründet 1956 im Verlag „Die Wirtschaft“. Sie informierte auf jeweils 50 Seiten mit hohem Farbanteil über Möglichkeiten der Wohnraumgestaltung sowie über neue Modelle der DDR- und der internationalen Möbelindustrie. Nach der Wende wurde sie bei Gruner & Jahr noch bis 2004 unter dem Titel „Neues Wohnen“ weitergeführt.

Die Zeitschrift „Kultur im Heim“ war mit 2,50 Mark für DDR-Verhältnisse teuer, erschien aber in großem Format und auf Kunstdruckpapier (oben links ein Titel von 1979). Seitenweise berichtete die Ausgabe über originelle Wohnideen in sanierten Häusern der h
Die Zeitschrift „Kultur im Heim“ war mit 2,50 Mark für DDR-Verhältnisse teuer, erschien aber in großem Format und auf Kunstdruckpapier (oben links ein Titel von 1979). Seitenweise berichtete die Ausgabe über originelle Wohnideen in sanierten Häusern der h © Repros: Sammlung Ralph Schermann

Die besagte Überschrift 1979 war allerdings kein Synonym dafür, dass die Berliner Herausgeber die Stadt am Rand des Landes nicht kannten – sondern dass sie über die Wohnmöglichkeiten in der damaligen Altstadt entzückt waren. Beim äußerlich immer sichtbarer werdenden Verfall kaum zu glauben, aber es war damals tatsächlich die Zeit, als in wenigen Vorzeigeobjekten („Goldener Baum“, „Altstadtjugendklub“) die Abgabe alter Bausubstanz in Privathände für fast schon symbolisch zu nennende Preise erheblich zunahm und zwischen Peter- und Neißstraße sogar gefördert wurde – sofern die gestressten Bauherren alle möglichen und vor allem unmöglichen Abenteuer der erforderlichen Personal- und Materialbeschaffung durchstanden.

Die Zeitschrift entdeckte in der Görlitzer Altstadt jedenfalls so viele berichtenswerte Objekte, dass sich die Redaktion glatt für 14 reich illustrierte Seiten dafür entschied. Dazu kamen mit jeweils einer Seite Porträts über den umtriebigen Görlitzer Denkmalpfleger Horst Kranich und den damals relativ jungen Stadtarchitekten Dr. Köhler.

80 Prozent der Bausubstanz nicht gut

Beide nannten die vom Rat der Stadt erstellte „Städtebauliche Leitplanung“ als Grundlage und bekannten aus heutiger Sicht erstaunlich freimütig, dass 80 Prozent (!) der Bausubstanz der Görlitzer Altstadt in einem unbefriedigenden Zustand sind. Man sei sich der Verpflichtung zum Erhalt bewusst, stehe aber erst ganz am Anfang einer städtebaulichen Sanierung der historischen Substanz. Man müsse bedenken: Da es wesentlich langwieriger sei, ein Patrizierhaus aufzuarbeiten als einen Neubaublock hinzustellen, müsse man vorerst mit Kompromissen leben und sehe es da fachlich mit Freude, wenn sich „zunehmend Bürger an so schwierige Ausbauten solcher Häuser wagen“.Solch Wagnis konnte sich in der Tat sehen lassen. Viele Beispiele sahen sich die Reporter Edeltraud Beer und Bernd Fahlend auch an: „Hinter den historischen Fassaden der 83.000-Einwohner-Stadt fanden wir neue Wohnungen mit modernen Bädern und Heizungssystemen, dahinter interessant gestaltete Innenhöfe – eine beachtliche Leistung“, war zu lesen. Und anzuschauen. Jede Menge Zimmereinblicke, mutige Gestaltungen von Fenstern, detaillierte Ablageflächen, passgerecht gemachte Möbel, Einbindung von Kunstwerken und baulichen Gestaltungselementen. Originelle Kinderzimmerideen wechselten mit verblüffenden Schlaf- und Wohnzimmereinbauten, großräumigen Küchen und mal modernen, mal historisch nachempfundenen Stilelementen. Die Reporter kamen in mancherlei Gespräche mit den „Mietern von heute“, nur auf eins verzichtete der Beitrag: auf die Abbildung von Fassaden, wenngleich damals durchaus einige wenige sich sehen ließen. Aber die Zeitschrift blieb sich da wohl lediglich ihrem Anliegen treu. Und so sah sie sich auch nicht genauer an, wie sich neben den tatsächlich bewundernswerten Lösungen längst allerlei Probleme häuften.

Die Zeitschrift „Kultur im Heim“ war mit 2,50 Mark für DDR-Verhältnisse teuer, erschien aber in großem Format und auf Kunstdruckpapier (oben links ein Titel von 1979). Seitenweise berichtete die Ausgabe über originelle Wohnideen in sanierten Häusern der historischen Görlitzer Altstadt, vom urgemütlichen Wohnzimmer mit der Kombi alter und neuer Möbel bis hin zu einem abenteuerlichen Kinderzimmer (obere Bilder). Ausführlich wurde jedes Bild erläutert, und das über mehrere Doppelseiten (die untere Reihe zeigt zwei davon). Repros: Sammlung Ralph Schermann (Zeitschriftenfotos Stefan Thomm und Rainer Kitte)