Kuriose Gründung: Görlitzer Bauamt brauchte Museum für Kunst aus Abrisshäusern
Von Kai Wenzel
Die Ursprünge der Görlitzer Sammlungen, zu denen heute das Kulturhistorische Museum und die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften gehören, reichen weit zurück. Für das Kulturhistorische Museum liegen sie in der Gründung des „Städtischen Museums für Alterthum und Kunst zu Görlitz“ vor 150 Jahren.
Im Vergleich zu seinen Nachbarstädten war Görlitz mit der Gründung dieses Stadtmuseums etwas spät dran. Während in Zittau bereits seit 1854 und in Bautzen seit 1869 kommunale Museen existierten, besaß die größte Stadt der Oberlausitz eine solche Einrichtung erst seit 1873.
Die Initiative dafür ging auch nicht von Wissenschaftlern oder einem Geschichtsverein aus, sondern vom Stadtbauamt. Es verwahrte Kunstwerke aus historischen Gebäuden, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem rasanten Stadtumbau weichen mussten und gründete mit diesem Bestand das Museum. Insbesondere der Stadtbaurat Oskar Kubale erwarb sich große Verdienste um dessen frühe Entwicklung.
Seit der Gründung hatte das Museum für rund 30 Jahre seinen Standort im ehemaligen Gebäude des Bauamtes am damaligen Jüdenring, heute Hugo-Keller-Straße 16. Dort besaß es anfangs noch keine Ausstellungsräume. Vielmehr sollte es zunächst nur ein Ort des Sammelns und Bewahrens historisch wertvoller Objekte sein, was auch heute noch die vorrangigen Funktionen eines jeden Museums sind. Die Sammlung wuchs jedoch schnell an.
So überwies der Magistrat zahlreiche Kunstwerke aus dem Rathaus. Von der Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz kamen viele Druckgrafiken, die heute zum Bestand des Graphischen Kabinetts der Görlitzer Sammlungen gehören. Viele Bürgerinnen und Bürger schenkten Stücke aus ihrem Privatbesitz und ließen das Museum so zum Gemeinschaftsprojekt der Stadtgesellschaft werden.
Noch im Gründungsjahr wurde ein handschriftlicher Inventarkatalog angelegt. Aber erst seit 1879 war die Museumssammlung an einem Tag pro Woche von 12 bis 13 Uhr öffentlich zugänglich. Zu den ersten ausgestellten Kunstwerken, die aus abgerissenen historischen Gebäuden geborgen worden waren, gehörte ein spätmittelalterlicher Schlussstein mit der Darstellung der Verkündigung an Maria. Er entstand um die Mitte des 15. Jahrhunderts und zierte einst das Innere der 1870 abgebrochenen Görlitzer Spitalkirche St. Jakob. Heute ist der Schlussstein dauerhaft im Kaisertrutz ausgestellt.
Mit dem weiteren Aufstieg von Görlitz während der Gründerzeit wurden die Stimmen lauter, die es als unpassend für eine kulturvolle moderne Stadt empfanden, dass das städtische Museum eher provisorisch im Bauamt untergebracht war und sich kein entsprechendes Fachpersonal um die Sammlungen kümmerte.
Daher fiel der Entschluss, mit der Oberlausitzer Gedenkhalle in Görlitz-Ost einen modernen Museumsneubau zu errichten. Seine Eröffnung am 28. November 1902 bedeutete einen enormen Qualitätssprung für das städtische Museum, das fortan die Bezeichnung „Kaiser-Friedrich-Museum“ trug. Es wurde aus dem Bauamt ausgegliedert und zu einer eigenständigen Institution aufgewertet.
Aus dem Kaiser-Friedrich-Museum wurden später die Städtischen Kunstsammlungen, die jetzigen Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur. Sie verfügen heute über zeitgemäße Ausstellungs- und Depoträume sowie über wissenschaftliches Fachpersonal. Ihre vier Ausstellungshäuser bilden den größten Museumskomplex der Stadt. Die vor 150 Jahren begonnene Arbeit des „Städtischen Museums für Alterthum und Kunst zu Görlitz“ setzt das Kulturhistorische Museum der Görlitzer Sammlungen fort und sieht sich dabei den internationalen Maximen der Museumsarbeit verpflichtet: „Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln“.
Unser Autor Kai Wenzel ist Kunsthistoriker und Kurator für Kunst und Wissenschaftsgeschichte bei den Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur.