"Da ist die rote Linie schon lange weit, weit weg"

Herr Orgus, Sie sind jede Woche dabei bei den Montagsdemos? Aktuell ist das bestimmt wegen der Kooperationsgespräche vorab mit den Demo-Organisatoren nötig, im Sommer war es das vielleicht weniger.
Es gibt eine Verpflichtung der Versammlungsbehörde, dabei zu sein. Zumindest am Anfang, wenn man noch mit teils unerfahrenen Versammlungsleitern zu tun hat. Dann ist durchaus mal zwischendurch ein Gespräch nötig zwischen Versammlungsleiter, Polizei und uns. Die Polizei fordert auch, dass jemand vor Ort ist für die Kooperationsgespräche vorab, und für Auswertungen danach, um dann auch Konsequenzen zu ziehen. Außerdem war damals die Leitungsstelle der Versammlungsbehörde vakant, deshalb hatte ich es übernommen.
Sie machen das bis heute?
Bis vor vier Wochen, als der Görlitzer Demo-Anmelder meinte, er müsse Anzeige stellen und E-Mails mit beleidigendem Hintergrund schreiben. Einfach aus rechtlichen Gründen bin ich derzeit deshalb nicht vor Ort. In Görlitz war ich ansonsten tatsächlich bei fast jeder Demo dabei.
Was genau passiert zum Beispiel bei den Kooperationsgesprächen vor Demo-Beginn?
Es gab verschiedene Bestimmungen zum Versammlungsrecht. Bis zum Wochenende galt die Obergrenze der Teilnehmerzahl von 1.000. Bis vor wenigen Wochen waren nur ortsfeste Versammlungen mit maximal zehn Personen zugelassen, also keine Aufzüge. Wir geben der Polizei vor Ort unsere rechtliche Einschätzung. Entsprechend reagieren die Polizeibeamten.

Inwiefern kann man dann noch irgendetwas ändern? In den vergangenen zwei Wochen waren über tausend Teilnehmer vor Ort, sie bekamen kurz vor Demo-Beginn eine Ausnahmegenehmigung. Es wären auch nicht genügend Polizisten da gewesen, um einschreiten zu können.
Es gibt immer Gefahren- und Ereignisprognosen. Die ergeben sich aus den Gesprächen vorab mit den Organisatoren, was sie erwarten und durch Recherchen der Polizei. Entsprechend werden die Polizeikräfte eingeteilt. Es ist zuletzt vorgekommen, dass Prognosen nicht zutrafen, und das Kräfteverhältnis nicht passte. Das sollte eigentlich nicht passieren. Es kommt aber auch darauf an, mit welchen Teilnehmern man es zu tun hat. In Görlitz blieb es immer weitgehend friedlich. Da kann es auch sein, dass wir zwar mit mehreren hundert Teilnehmern rechnen, aber trotzdem nur mit den Revierbeamten arbeiten und nicht die Bereitschaftspolizei hinzuziehen.
Es gibt auch verbale Gewalt gegen Polizeibeamte
Sie sprachen das friedliche Versammlungsgeschehen an. Verbal empfinde ich die Montagsdemos als ziemlich aggressiv. Auch Sie durften sich vom Görlitzer Demo-Organisator schon Sätze anhören wie „Daran sind Sie schuld, Herr Orgus“, als eine Versammlung nicht möglich war, wie er es wollte. Wie gehen Sie damit um?
Der Inhalt der Versammlungen hat sich tatsächlich gewandelt. Ich kann mich im Sommer an Demos erinnern, wo 100 Teilnehmer in der Spitze vor Ort waren, und es ging in den Redebeiträgen darum, man möge doch seine Kreditkarten zerschneiden, um der Kontrolle des Finanzsystems zu entgehen oder andere Verschwörungstheorien. Das nimmt man sich nicht an. Den Inhalt haben wir auch eigentlich nicht zu beurteilen. Wir haben dafür zu sorgen, dass die Versammlung stattfinden kann. Es gab aber auch Wochen, wo es sehr persönlich wurde, mitunter auch gegen Polizeibeamte.
Was war passiert?
Es gab im Herbst eine Demo, bei der drei Beamtinnen von Teilnehmern aufs Übelste beschimpft wurden. Es ging dabei nicht nur um die Polizistinnen, sondern auch um Drohungen gegen deren Kinder. Da gibt es keine rote Linie mehr zu überschreiten, die ist schon lange weit, weit weg. Da muss man eine Reaktion zeigen.
Wie sieht die aus?
Solche Vorfälle sind dann definitiv Teil des nächsten Kooperationsgespräches. So etwas kann einfach nicht sein. Was macht das mit den jungen Beamten, die in solchen Situationen eingesetzt sind?
Teilnehmer an Montagsdemos unterscheiden sich sehr
Es war bundesweit immer schwer einzuschätzen, wer eigentlich die Teilnehmer der Corona-Demos sind. Wie sehen Sie das für Görlitz?
Am Anfang waren es Leute, die vielleicht staatsverdrossen, generell gegen staatliche Maßnahmen waren, unabhängig vom Inhalt. Es waren auch unerfahrene Versammlungsleiter, keine Berufsdemonstranten. Es ging eher darum, eine Ventilwirkung zu haben. Wogegen nichts einzuwenden ist, wenn man bedenkt, wie schnell die Pandemie und die Maßnahmen über uns hereinbrachen. Alle mussten das erst mal einordnen. Danach haben sich unserer Einschätzung nach einige Verschwörungstheoretiker dazugesellt. Es ist auch immer davon abhängig, wie streng die geltenden Corona-Maßnahmen sind. So kamen zuletzt auch Leute dazu, die einfach Händel gesucht haben mit den Sicherheitsbehörden. Die sich vielleicht dachten, nach den jetzigen rechtlichen Rahmenbedingungen ist in Zittau der "Spaziergang um den Ring" nicht möglich - jetzt gehe ich mal hin, um zu provozieren. Nach wie vor sehe ich aber auch einen großen Anteil derjenigen, die wirklich Probleme haben.
Zum Beispiel?
Eine Zeitlang, in der zweiten und dritten Welle, waren Gewerbetreibende verstärkt dabei, die dann aber wieder ferngeblieben sind, vielleicht, weil sie doch nichts mit den Verschwörungstheoretikern zu tun haben wollten, einzelne hatten dann eigene Veranstaltungen angezeigt. Andere Gruppen wie das Klientel, das provozieren will, haben sich verfestigt. Und ganz zuletzt haben sich auch sehr viele Menschen aus dem medizinischen Bereich mit eingereiht, besonders bei den kleineren Versammlungen in Rothenburg, teils Niesky, Weißwasser. Eine Besonderheit in Görlitz ist das Auftreten der "Freien Sachsen".