SZ + Görlitz
Merken

Glänzende Görlitzer Synagoge schließt noch keine Wunden

Zwei neue Bücher über die Synagoge und jüdisches Leben in Görlitz zeigen, wie gefährdet die Versöhnung bleibt.

Von Sebastian Beutler
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Görlitzer Synagoge glänzt nach ihrer Wiederherstellung. Aber reicht das?
Die Görlitzer Synagoge glänzt nach ihrer Wiederherstellung. Aber reicht das? © André Schulze

Andras Varga lebte mit seiner Familie in den 1970er- und 1980er-Jahren in Görlitz. Was nur wenige wussten, der Ungar war Jude und hatte seine gesamte Familie im Holocaust verloren. Später zogen sie fort.

2018 besuchte er mit seiner Tochter wieder Görlitz. Sie gingen zur Synagoge, die damals noch eine Baustelle war, und beteten am Schabbat-Abend. Plötzlich beschimpfte sie ein Mann, die Juden würden das Geld im Keller horten und er müsse hier diesen Sauladen renovieren von seinem Geld.

In dem gerade erschienenen Buch "Jung und Jüdisch in der DDR" schildert die Tochter, wie sie in diesem Moment starr wurde und ihr erneut so deutlich vor Augen stand, dass bei allem wieder vorhandenen jüdischen Leben in Deutschland mit dem Holocaust "Welten aufgehört haben, für immer aufgehört haben, zu existieren, und sie fehlen bis heute".

Zwei neue Bücher von einem kleinen Verlag

Der kleine Verlag Hentrich & Hentrich aus Leipzig und Berlin hat dieses Buch herausgegeben. Er hat sich auf jüdische Kultur und Zeitgeschichte konzentriert. Auch das Buch von Alex Jacobowitz über die neue Görlitzer Synagoge erschien in diesem Verlag. Da geht es um die wechselhafte Geschichte des Gebäudes und doch lautet der Grundtenor: Wie gefährdet ist jüdische Leben in Deutschland heute wieder? Eine Frage, die immer wieder aufs Neue gestellt werden muss.

Das Titelbild vom Buch "Die neue Görlitzer Synagoge" von Alex Jacobowitz. ISBN 978-3-95565-463-4, 29,90 Euro.
Das Titelbild vom Buch "Die neue Görlitzer Synagoge" von Alex Jacobowitz. ISBN 978-3-95565-463-4, 29,90 Euro. © SZ/Sebastian Beutler

Das Buch ist ursprünglich zur Eröffnung der Synagoge im vergangenen Jahr erschienen. Niemand sonst dachte offensichtlich daran, sich aus diesem Anlass der Geschichte des Gebäudes zu widmen. Und auch zuvor machte sich niemand daran, die Historie der Synagoge so detailliert zu erzählen.

Jacobowitz erweitert mit seinem Buch damit die Veröffentlichungen über jüdisches Leben in Görlitz. Zu DDR-Zeiten gab es kaum etwas zu diesem Thema, das Eis brach erst mit der Veröffentlichung von Roland Otto, damals Mitarbeiter im Görlitzer Ratsarchiv, zum Ende der DDR-Zeit. Zugleich erweitert Jacobowitz unser Bild dadurch, dass er sich die Mühe gemacht hat, im Archiv der Jüdischen Gemeinde Dresden, im Leo-Baeck-Institut, vor allem aber im Zentralarchiv für die Geschichte der Juden an der Hebräischen Universität in Jerusalem nach Dokumenten über die Görlitzer Juden zu suchen. Und zu finden.

Unwürdiges Gefeilsche um den Kaufpreis in der DDR

So dokumentiert er erstmals sehr ausführlich, wie die Synagoge nach 1945 zunächst in der Obhut der sowjetischen Besatzungsmacht stand, dann der Jüdischen Gemeinde in Dresden übergeben und schließlich an die Stadt Görlitz verkauft wurde. So belegt er minutiös, wie die damalige Stadtverwaltung um den Kaufpreis feilschte, den Kauf fast schon wieder absagte und dann doch das Gebäude für 65.000 Mark erwarb. Das machte schon auf die jüdischen Zeitgenossen nicht den Eindruck einer ehrlichen Wiedergutmachung oder späten Reue nach der Vernichtung jüdischen Lebens durch die Nationalsozialisten. Und auch mit dem Abstand von 60 Jahren sind diese Zeugnisse bürokratischer Sprache nur schwer zu lesen.

Das Titelbild vom Buch "Jung und Jüdisch in der DDR" von Sandra Anusiewicz-Baer und Lara Dämmig, ISBN: 978-3-95565-466-5, 24,90 Euro.
Das Titelbild vom Buch "Jung und Jüdisch in der DDR" von Sandra Anusiewicz-Baer und Lara Dämmig, ISBN: 978-3-95565-466-5, 24,90 Euro. © SZ/Sebastian Beutler

Viele anrührende Beispiele

Jacobowitz fand bei seinen Recherchen zudem anrührende Geschichten. Von Amanda Hannes, die in Tormersdorf ums Leben kam, und deren Dienerin ihren letzten Wunsch erfüllen konnte: Sie schmuggelte den Leichnam von Amanda Hannes irgendwie zum Jüdischen Friedhof, wo er neben dem ihres Mannes beerdigt wurde. Oder die Geschichte von Kantor Neuhaus, der bis zu einer Denunziation in der berüchtigten NS-Zeitung "Der Stürmer" sowohl Kantor der Jüdischen Gemeinde als auch einer evangelischen Gemeinde sein konnte. Oder die eindrücklichen Aufnahmen des Verfalls der Synagoge aus dem Jahre 1977, die große Bildstrecken füllen. Auch der abgedruckte Brief der späteren Ehrenbürgerin, Else Levi-Mühsam, aus dem Juli 1983 an den damaligen Görlitzer OB mit der Bitte, eine Gedenktafel vor der Synagoge aufzustellen und sie vor weiterem Vandalismus zu schützen, ist ein Zeitdokument ersten Ranges.

Das alles wäre noch eindrücklicher, wenn die Erzählung im Buch nicht so sprunghaft und episodenhaft wäre. Und wenn Jacobowitz das Görlitzer Geschehen nach 1945 wiederum vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Gedenkkultur in Deutschland schildern würde. Es brauchte auch in Berlin fünf Jahrzehnte, ehe die Villa am Wannsee, wo die Endlösung der Juden beschlossen wurde, eben nicht mehr als Kindererholungsheim genutzt, sondern zum Dokumentationszentrum umgestaltet wurde. Es dient nicht zur Entschuldigung, sondern zur besseren Einordnung, auf diese veränderte Gedenkkultur hinzuweisen, wenn es um die Görlitzer Synagoge geht.

Ein nationales Kulturdenkmal, das mit Leben erfüllt werden muss

Jacobowitz sieht stattdessen viele Belege, wie sich antisemitisches Denken und Handeln in Görlitz immer wieder zeigt. Er sieht das mit dem Blick eines Angehörigen des jüdischen Volkes, dessen Schmerz über den millionenfachen Mord im Holocaust nie vergehen wird. Und als Beteiligter der völlig überflüssigen Auseinandersetzungen in der Ära des früheren Görlitzer Oberbürgermeisters Joachim Paulick. Die Vertrautheit mit dem Gegenstand muss nicht schaden, es kann auch mahnen, doch im Falle der Görlitzer Synagoge führt die persönliche Betroffenheit zu einer Überzeichnung.

Görlitz hat sich vergleichsweise rasch nach 1990 zu seiner Geschichte bekannt und wollte die Synagoge zu einem Europäischen Kultur- und Bildungszentrum gestalten. Dass dieser Weg nicht geradlinig verlief, schildert Jacobowitz anschaulich in seinem Buch. Gleich nach der Wende war an jüdisches Leben in Görlitz zudem nicht zu denken. Nun, da eine Gemeinde hier im Aufbau ist, dient das Haus auch wieder teilweise seiner ursprünglichen Aufgabe. Das ist ein großer Gewinn für diese Stadt.

Und die Synagoge ist etwas, was sie nie zuvor war: Ein nationales Kulturdenkmal, das mit Leben gefüllt werden muss. Als Richtschnur könnte gelten, was Siegfried Freund, der große Görlitzer Rabbiner, zur Einweihung der Synagoge sagte: "Es ist nicht nötig, dass alle Menschen ein und denselben Glauben haben, aber nötig ist, dass wir alle wechselseitig Achtung vor der religiösen Überzeugung des anderen haben."