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Siemens Energy: Görlitzer Werk gibt Förderschülern eine Chance

16 Görlitzer Förderschüler waren bei Siemens Energy zur Praxiswoche. Von sich aus hätten sie sich kaum getraut, sich zu bewerben. Doch auch das Unternehmen wird positiv überrascht.

Von Susanne Sodan
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Teamarbeit. Sandeep Upadhyaya, Werkstudent bei Siemens Energy, hilft den Schülerinnen Bianca Schneider (links) und Laura-Sophie Klaute beim Löten.
Teamarbeit. Sandeep Upadhyaya, Werkstudent bei Siemens Energy, hilft den Schülerinnen Bianca Schneider (links) und Laura-Sophie Klaute beim Löten. © Martin Schneider

Eine ruhige Hand wird hier gebraucht: Finn lötet ein Blatt aus Metalldraht an ein ebenso dünnes Metall-Ästchen. Der 14-Jährige ist Schüler der Förderschule Mira Lobe in Görlitz. Zusammen mit 15 Mitschülern absolvierte er bei Siemens Energy eine Praxiswoche. Und hat Feuer gefangen. Im Ausbildungszentrum bauten die Schüler kleine Leuchten in Form von Bäumen, "wir haben eine Rundführung durch das Unternehmen bekommen", erzählt Finn. So konzentriert der Achtklässler eben noch Metall lötete, so begeistert wirkt er, wenn er von der Woche erzählt. Dass er hier gut hinpassen könnte, ist sogar Werkleiter Sven Werner aufgefallen. Wenn alles klappt, wird Finn im Herbst wieder bei Siemens zu Gast sein für ein weiteres Praktikum. Und dann, wer weiß.

Wenn alles klappt, wird Finn bald zu Siemens zurückkehren, als "richtiger" Praktikant.
Wenn alles klappt, wird Finn bald zu Siemens zurückkehren, als "richtiger" Praktikant. © Martin Schneider

Schwierige Suche nach Praktikumsplatz für Förderschüler

Initiator der Praxis-Woche ist Christoph Scholze, Innovationsberater im Landkreis Görlitz. Mit Schulen hat er öfter zu tun, unter seiner Regie läuft etwa ein Projekt, das Grundschulen und Unternehmen zusammenbringt, um bei Kindern das Interesse für IT zu wecken. Von der Förderschule Mira Lobe hatte er erfahren, dass es mit Praxismöglichkeiten für die Jugendlichen oft schwierig aussieht. Was dann freilich die Startbedingungen in einen Beruf später schwerer macht. Welche Interessen und Stärken ein Kind hat - dafür sind Praktika schließlich da. "Daraufhin habe ich meine alten Kollegen angesprochen", erzählt Scholze. Der Maschinenbauingenieur war früher stellvertretender Betriebsratschef bei Siemens. So entstand mit dem Unternehmen und der Schule die Praxiswoche.

Dazu gehörte etwa ein Einblick in betriebliche Abläufe und das Ausbildungszentrum: So niedlich oder auch artifiziell die Bäume letztlich aussehen, so simpel war die Produktion nicht. Für das Wurzelwerk, der Lampenfuß, ging es an den 3-D-Drucker. Das Geäst aus Schweißdraht verlangt mindestens Geduld. Dazu die Elektrik, kleinere Berechnungen standen auch an. Zur Seite standen den Jugendlichen die Siemens-Studenten, darunter Samdeep Upadhyaya. Aus Nepal ist er in die Oberlausitz gekommen, studiert hier Mechatronik. Einer der dualen Studiengänge: parallel absolviert er seine Ausbildung bei Siemens. "Es war ein cooles Projekt", sagt er. "Die Schüler waren wirklich diszipliniert, es hat viel Spaß gemacht."

Talente kamen zum Vorschein

Neben angehenden Mechatronikern waren auch künftige Energie- und Umwelttechniker dabei. "Die Hilfe durch die Studenten für unsere Schüler war genial", sagt Daniela Hähnchen, stellvertretende Leiterin der Förderschule Mira Lobe. Mit ihnen stand den Schülern mal jemand ganz anderes als die Lehrer zur Seite, jemand eher in ihrer Altersklasse. "Es war eine gute Betreuung", findet auch Frank Leuthold, Lehrer für Werken. "Unsere Schüler haben gesehen: Ich kann was erreichen." Manche Schüler, sagt Daniela Hähnchen, seien richtig aus sich herausgekommen.

In der achten und in der neunten Klasse steht für die Förderschüler je ein Praktikum an, erklärt sie. Zumindest ihres Wissens nach hat sich dafür bislang noch keiner ihrer Schüler bei Siemens beworben. "Ich denke, da wird vielleicht der Mut fehlen oder das Selbstbewusstsein", sagt sie. "Und jetzt haben wir mehrere dabei, die hier gerne direkt ein Praktikum machen würden." Tatsächlich sei es generell schwierig für die Schüler, einen Praktikumsplatz zu finden. Viele versuchen es beispielsweise im lokalen Handel, "die Schüler können ja auch nicht weiter weg", sagt sie. "Es ist schön, dass wir die Möglichkeit hatten!"

Chance für Schüler, "die wir bisher nicht so auf dem Schirm hatten"

Wunderbar, so fasst Werkleiter Sven Werner die Woche zusammen. "Unseren Azubis hat es wahnsinnig Spaß gemacht." Eine Woche, in der sie nicht nur lernten, sondern ihr Wissen weitergeben konnten. Die Praxisaufgabe für die Schüler, der Baum, war dabei so gestellt, dass verschiedene Bereiche gefragt waren und vielleicht jeder etwas einbringen konnte. Dass er in dieser Woche junge Menschen kennenlernen würde, "die wirklich Potenzial haben" - so richtig habe er das vorab nicht gedacht. "Aber einige Kandidaten könnten wir uns gut bei uns vorstellen."

Dass Förderschülern der Mut fehlt, sich bei Siemens zu bewerben, ist durchaus nachvollziehbar. Die Ausbildungsplätze gelten als begehrt, durchaus auch bei Abiturienten. "Aber wir suchen Menschen, die wirklich gerne praktisch arbeiten", sagt Werner. Mit den Förderschülern kamen junge Menschen zu Siemens, "die wir bisher so nicht auf dem Schirm hatten." Das ist die andere Seite: 750 Menschen arbeiten bei Siemens Energy in Görlitz, 19 Stellen war zu Ende Juni zu besetzen, 15 neue Azubis will der Standort einstellen. Was auch für ein Unternehmen wie Siemens so leicht nicht mehr ist, schilderten Werner und der Betriebsratsvorsitzende Ronny Zieschank erst vor wenigen Tagen. "Jemanden nach Görlitz zu bekommen, ist nicht einfach. Da müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen", so Zieschank. Ein Schritt dafür: Ab Oktober 2025 gilt die 35-Stunden-Woche.

So scheint es, dass die vorige Woche ein Gewinn für alle Beteiligten war. Aber es verlangte auch Mühe, schildert Christoph Scholze. Siemens-Mitarbeiter, Ausbilder und nicht zuletzt die Dual-Studierenden nahmen sich viel Zeit. "Ich fürchte, jedes Jahr kann ein Unternehmen eine solche Woche nicht anbieten", sagt Scholze. Sein Ziel nun: Weitere Unternehmen finden, die sich jährlich für eine Praxiswoche abwechseln.