Wolfgang Geierhos' Sohn lebt in Dubai und hat eine russische Frau. Die Jahreswende 2021 feierte der frühere Rektor der Polizeifachhochschule in Rothenburg bei ihnen. Wie das so ist, wenn man zu Besuch ist, wird man dem Freundeskreis vorgestellt. In Dubai existiert eine Community aus Russen und Ukrainern, wie Geierhos beschreibt. Als sie nun so feierten, meinte eine Ukrainerin zu ihm, Putin werde ihr Land überfallen. Geierhos antwortete völlig entgeistert: "Putin ist doch nicht verrückt". Den Rest des Abends mied sie den Gast aus Deutschland, er war für die Ukrainerin "gestorben".

Die kleine Anekdote beschreibt ziemlich treffend, wir überrascht Geierhos schließlich war, als Russland im Februar 2022 doch die Ukraine überfiel. Er konnte sich das zuvor nicht vorstellen, dass der Konflikt derart entgrenzt wird und alle Hemmungen fallen. Wie Geierhos ging es vielen Beobachtern und Menschen, nicht nur in Deutschland.

Und doch ist es bei Geierhos etwas Besonderes: Es gibt nur wenige, die so gut in der russischen und sowjetischen Geschichte bewandert sind wie der Slawist und Osteuropa-Experte und frühere Präsident der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, der seit vielen Jahren in Görlitz lebt. Ein Wissenschaftler, der die neue deutsche Ostpolitik ab 1970 als große Erfolgsgeschichte sieht und mit Herzblut noch heute von all den Treffen hochrangiger Sicherheitspolitiker aus dem Westen und Osten erzählt, bei denen er selbst dabei war. Ein Mann, der nun im Ruhestand aus einem Altstadthaus in Görlitz verfolgt, wie verrückt tatsächlich nicht nur Putin, sondern die ganze Welt scheinbar oder auch tatsächlich geworden ist.