SZ + Görlitz
Merken

Wie die AfD die Corona-Demos für sich verbuchen will

Die AfD fordert, das Versammlungsrecht zu öffnen. Dabei kann sie in Görlitz nicht bei den Protestlern Fuß fassen. Andere waren schneller - und radikaler.

Von Susanne Sodan
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Auf dem Postplatz begann die Demo, bei der laut Polizei rund 600 Protestler zusammenkamen. Eigentlich waren es vier Demos, von dreien merkte man aber wenig.
Auf dem Postplatz begann die Demo, bei der laut Polizei rund 600 Protestler zusammenkamen. Eigentlich waren es vier Demos, von dreien merkte man aber wenig. © SZ/sdn

Um die 600 Personen haben sich an der Montagsdemo in Görlitz beteiligt. Ein Ziel: "Das Bestrafen der Schuldigen, die uns drangsalieren", teilte Demo-Anmelder Frank Liske auf dem Postplatz mit. Wieder waren mehr als zehn Personen bei der Demo anwesend, deshalb musste sie geschlossen werden. Wieder Lautsprecher-Ansagen der Polizei, die niedergejohlt werden. Wieder diverse "Spaziergänge" durch die Stadt, weitere Versammlungen. Es gebe in Görlitz an diesem Abend noch weitere Demonstrationen, so Liske zu seinen Anhängern, "geht einfach mal gucken". Drei weitere Versammlungen waren angemeldet, zwei davon direkt von der AfD.

AfD auf Montagsdemos unerwünscht?

Darauf weist auch Sebastian Wippel, Stadtrat in Görlitz und Landtagsabgeordneter der AfD, auf seiner Facebookseite hin. Die Reaktionen aber fallen verhalten aus. "Das braucht die AfD nicht vereinnahmen. Wir denken selbst! Macht ihr erst mal nen Untersuchungsausschuss", schreibt ein Nutzer. Ein anderer: "Seit wann sind die Montags-Spaziergänge AfD-Veranstaltungen?" Für manchen gehört die AfD gar inzwischen zu den "Altparteien": "Und nichts davon geht von den Rattenfängern der AfD aus. Bleibt fein auf euren Pöstchen ihr Altparteimitglieder. Abkassieren ohne was zu riskieren = AfD". Zu zahm scheint manchen die Partei also zu sein.

Aus mehreren Gründen fiel es der AfD schwer, die Corona-Protestler für sich einzuholen. Zu radikal kann sie sich nicht geben, die sächsische AfD soll als Prüffall gelten, aufgrund der Rechtslage kann der Verfassungsschutz dazu aber keine Angaben machen. Zudem brauchte sie zu Beginn der Corona-Pandemie lange, überhaupt einen Standpunkt einzunehmen. Andere waren schneller, etwa die als rechtsextrem eingestuften "Freien Sachsen".

AfD will gelockertes Versammlungsrecht

Nichtsdestotrotz scheint die AfD sich den Demonstranten nahestellen zu wollen. So hatte etwa der Vorsitzende der AfD-Fraktion Görlitz, Lutz Jankus, Hinweise veröffentlicht, wie man sich im Falle eines Bußgeldbescheides nach einer nicht genehmigten Demo verhalten solle.

42 Ordnungswidrigkeitenanzeigen stellte die Polizei auch am Montagabend in Görlitz, eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, drei wegen Hausfriedensbruchs, eine Anzeige wegen des Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung. Einen 35-Jährigen, der unter Alkoholeinfluss stand, und einem Platzverweis nicht nachkam, nahm die Polizei in Gewahrsam.

Im Vergleich etwa zu Bautzen, wo es wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam, blieb es in Görlitz friedlich. "So kann’s gehen", schrieb Sebastian Wippel auf Facebook. Auch in Zittau und Weißwasser kündigte die AfD für Montagabend Demos an - vielleicht haben die Bemühungen auch andere Gründe: Am Mittwoch findet eine Landtags-Sondersitzung statt. Es geht um einen Antrag der AfD, die fordert, dass Versammlungsrecht während der Corona-Pandemie weniger stark einzuschränken.

Dieser Vorstoß kam ursprünglich nicht von der AfD. Hagen Husgen, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft Sachsen, hatte gefordert, das Versammlungsrecht ab Mitte Januar wieder zu lockern. Der gesellschaftliche Disput sei an die Polizei ausgegliedert worden, so Husgens Kritik. Gesellschaftliche Probleme aber ließen sich grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen.

Wie künftig umgehen mit den Demos?

Ob das so ist - es sich um einen reinen Meinungsstreit handelt -, darüber lässt sich streiten. Denn nicht selten münden die Demos inzwischen in Gewalt. Inzwischen findet man in den sozialen Netzwerken unter Corona-Maßnahmengegnern häufig die Behauptung, es seien nun gezielt Störer, die für Eskalation sorgen, unter die sonst friedlichen Demonstranten gemischt worden. Dabei hatte das Landesamt für Verfassungsschutz bereits vor Wochen vor einer Radikalisierung gewarnt, etwa durch rechtsextremistische Gruppierungen wie den "Freien Sachsen", die Themen wie die Corona-Maßnahmen aufgreifen, denen es aber vor allem um eine Diffamierung des Staates gehe, um eine "Überwindung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschlands", erklärte der Verfassungsschutz gegenüber der SZ.

Dass das so weit nicht hergeholt ist, zeigen die "Freien Sachsen" in ihrem Silvester-Post auf Telegram: Es komme die Zeit der "politischen Neuorganisation", heißt es, "in der Bürger wieder ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen."

In Görlitz blieb es bislang weitgehend friedlich. Möglicherweise, weil die "Freien Sachsen" hier weniger vertreten zu sein scheinen, als in anderen Städten. In den sozialen Netzwerken, etwa Telegram-Kanälen, findet man aber auch in der Region radikalere Töne. Auch das hatte der Verfassungsschutz festgestellt. Man muss nicht lange suchen. Unter Wippels Facebook-Post über die friedliche Görlitzer Demo schreibt prompt eine Nutzerin: "Nur mit friedlichen Demos gibt es keinen Erfolg."

Wie mit den Corona-Protesten weiter umgehen, das ist ein schwieriger Punkt. Insgesamt dürfte es schwerfallen, eine neue Corona-Verordnung zu erstellen. Unklar noch, wie sich die Infektionszahlen entwickeln werden. Aktuell liegt die Sieben-Tage-Inzidenz laut RKI im Landkreis Görlitz bei rund 211. Bundesweit dagegen steigt sie wieder an, es werden auch deutlich mehr Omikron-Fälle entdeckt.

Auch Görlitzer FDP schießt gegen Kretschmer

Dazu kommen Querelen innerhalb des demokratischen Lagers. FDP und CDU - bis zur jüngsten Bundestagswahl sahen sich die beiden Parteien als Traumpaar an. Nun ist das anders, wie etwa der heftige Disput zwischen Ministerpräsident Michael Kretschmer und dem damals noch designierten Justizminister Marco Buschmann von der FDP bei einer ZDF-Talkrunde zeigte. Auch in Görlitz schießt die FDP nun verbal gegen Kretschmer.

Auf ihrem Instagram-Account postete der FDP-Stadtverband Görlitz einen Beitrag, in dem er Kretschmer vorwirft, lieber "FDP-Bashing" zu betreiben, statt Verantwortung zu übernehmen und ein gutes Pandemie-Management zu betreiben. Die CDU Sachsen versuche, über eigene Fehler hinwegzutäuschen. "Fakt ist, in Sachsen haben wir die schlechteste Impfquote und eine unzufriedene Bevölkerung." Kretschmers Lösung sei Lockdown und langsames Handeln. "Aber keine Sorge" heißt es an Kretschmer gerichtet, die FDP löse nun die Probleme, "Sie können weiterschlafen." Den FDP-Stadtverband leitet Martin Braun, FDP-Kreisvorsitzender ist der Zittauer Rechtsanwalt Hans Grüner, der im September per Direktmandat in den Bundestag einziehen wollte. Er erhielt 7,4 Prozent der Erststimmen.

Vor einem reichlichen Jahr, als die zweite Corona-Welle auf Sachsen zurollte, wurde Kretschmer kritisiert, viel zu spät Maßnahmen ergriffen zu haben. Einen Vorwurf, den man ihm aktuell aber schwerlich machen kann. Sachsen gehörte zu den ersten Bundesländern, die im Herbst verschärfte Maßnahmen ergriffen - was wiederum die Corona-Proteste aufflammen ließ. Ob alle Maßnahmen zielführend waren, darüber kann man streiten. Was die Görlitzer FDP anders gemacht hätte, ist nicht bekannt.