Großenhain: Künftig feine Nähte statt auf dem Bock

Großenhain. Der kleine Laden in der Siegelgasse 14 füllt sich. Jennifer Gießelmann hat hier in den letzten Tagen mächtig rangeklotzt, Regale eingeräumt, Nähutensilien ins Geschäft gebracht. „Nur meinen Stoff habe ich noch nicht“, sagt die 29-Jährige und lächelt. Der Transport, der ihr die Ware als Paket bringen sollte, hat sie beim ersten Versuch verfehlt. Doch Jennifer Gießelmann ist optimistisch, dass Anfang der Woche auch die noch leeren Regale gefüllt sein werden.
Denn am Mittwoch wird sie ihren Laden eröffnen. „faden-licious“ wird er heißen und von Stoffen bis Kurzwaren alles anbieten, was Frau - oder auch Mann - zum Nähen braucht. Der Name hat keine bestimmte Bedeutung, entsprang eher so einem Gedankenblitz. „Man hat einfach so darüber nachgedacht - und ,faden-licious‘ war es dann eben“, sagt Jennifer Gießelmann und zuckt mit den Schultern.
Für Kronospan Holztransporte gefahren
Alles andere als spontan indes erfolgt jetzt ihr Schritt in die Selbstständigkeit. Zwar hat sie mit der Näherei bereits im Nebenerwerb gearbeitet. Doch jetzt hat sie ihren bisherigen Hauptjob dem neuen ehrgeizigen Projekt „geopfert“. Denn bis Oktober war Jennifer Gießelmann noch - Berufskraftfahrerin. „Ich habe für Kronospan Holztransporte gelenkt“, sagt sie. „Es war mein Traumberuf.“
Ihr Faible für Nadel und Faden währt allerdings mindestens ebenso lange. "Ich nähe, seit ich 14 bin", erklärt Jennifer Gießelmann. Als sie nach der Geburt ihres jetzt dreijährigen Sohnes zu Hause war, machte sie sich selbstständig im Nebenerwerb. Sie kam mit einer Gruppe Dresdner Näherinnen in Kontakt und machte dadurch in Großenhain erstmals im März 2020 Schlagzeilen. Denn die Dresdnerinnen hatten gerade - eine Woche nach den ersten Maßnahmen gegen Corona - begonnen, Mundschutz-Masken für das Uniklinikum zu nähen.
Sie wollte, wie viele andere auch, in dieser Situation helfen - besorgte sich Schnittmuster und Herstellungsanleitungen. Nachdem sie mit ihrem Ansinnen in der Öffentlichkeit große Resonanz in Arztpraxen, Geschäften, Supermärkten und Kindereinrichtungen fand, setzte sie sich an ihre Maschine - und nähte, was das Zeug hält. Als „kleinen Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnete sie damals in der SZ ihre Arbeit, die sie neben ihrem Job als Kraftfahrerin tat - oft auch sonntags.
Laden schließt eine Marktlücke
Den Wunsch, sich irgendwann einmal ganz auf das Nähen zu konzentrieren, hegt die Mutter zweier Kinder bereits seit etwa sechs Jahren. Nicht, dass ihr das Lkw-Fahren keinen Spaß mehr machte. „Aber ich wollte mich anders orientieren“, begründet die sympathische junge Frau den Schritt. Sicher sei es in diesen Zeiten mutig, ein Geschäft neu zu eröffnen. Doch so viel ist jetzt schon klar: Mit ihrem geplanten Sortiment an Stoffen, Garnen und Kurzwaren wird sie eine seit Jahren bestehende Marktlücke in Großenhain schließen.
Und es soll ja auch nicht nur beim reinen Warenverkauf bleiben. Denn die Anfertigung von Baby- und Kleinkindsachen, aber auch Handtaschen oder Portemonnaies werden ebenso zum Repertoire gehören wie Windeltaschen, Schnullerbänder oder zum Beispiel Untersuchungshefthüllen - natürlich auf Wunsch personalisiert mit Bügelaufkleber oder gestickt. Und seit diesem Jahr bietet sie Näh-Workshops im Alberttreff an, die künftig im eigenen Laden stattfinden sollen.
Erste neugierige Blicke
Vor der Zukunft ist Jennifer Gießelmann nicht bange - trotz der 2G-Regeln, die natürlich auch sie in ihrem Laden einhalten muss. „Es gibt doch genug Möglichkeiten, Waren zu liefern oder anderweitig an den Kunden zu bringen“, sagt sie. Im Domizil auf der Siegelgasse richtet sie sich derzeit ein, hat sämtliche Nähutensilien aus der Wohnung ins 75 Quadratmeter große Lädchen geholt. Die Nähmaschine hat im Büro Platz gefunden, muss hin und wieder wegen des obligatorischen „Schriftkrams“ dem Laptop weichen. Arbeit mit nach Hause nehmen, das will Jennifer Gießelmann künftig nicht mehr.
Dass die räumliche Lage in der Siegelgasse ein bisschen abgeschieden vom eigentlichen Einkaufsrummel ist, mache ihr keine Sorgen. Im Gegenteil. Beim Einräumen habe sie festgestellt, dass die Verbindungsgasse zwischen Frauenmarkt und Naundorfer Straße durchaus von vielen Leuten frequentiert werde. Schon jetzt gibt es neugierige Blicke durchs Schaufenster, was sich denn dort tut. Und Jennifer Gießelmann weiß auch um die Besonderheit ihrer Branche. „Ein Stoffgeschäft ist etwas, was man sucht“, sagt sie mit Blick auf die zu erwartende Kundschaft.
Und mit der Zeit, da darf man sicher sein, wird auch der Paketbote mit den Stoffen für „faden licious“ hier nicht mehr vorbeifahren, ohne den Stoff zu liefern.