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"Sogar 10-Jährige dealen schon"

Die Kontakt- und Anlaufstelle KAM in Großenhain und Meißen hilft als neutraler Ort mit Beratung u. a. bei Suchtproblemen. Ihre Weiterexistenz stand auf der Kippe.

Von Kathrin Krüger
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Die Berater Anke Kaleße und Jens Höfer sowie David Meis (v.l.) vom Träger Produktionsschule Moritzburg in der Großenhainer KAM-Beratung Dresdner Straße.
Die Berater Anke Kaleße und Jens Höfer sowie David Meis (v.l.) vom Träger Produktionsschule Moritzburg in der Großenhainer KAM-Beratung Dresdner Straße. © Kristin Richter

Großenhain/Meißen. Von außen ist die Beratungsstelle KAM kaum einsehbar. Und das ist gut so. Menschen, die hierher kommen, wird ein geschützter Raum zugesichert. Es sind Leute, die ihr Leben nicht mehr im Griff haben. Oder Angehörige, die wollen, dass ihr Kind, Partner oder sonstiger Verwandter von Drogen loskommt. Seit 2014 existiert dieser erste Anlaufpunkt in Meißen-Triebischtal, seit 2016 auch in Großenhain auf der Dresdner Straße sehr zentral. Jetzt stand die weitere Finanzierung dieses Angebots auf der Kippe. Hilfesuchende wandten sich deshalb an die SZ. Wir sprachen mit den Beratern Anke Kaleße aus Großenhain und Jens Höfer aus Meißen sowie David Meis vom Träger, der Produktionsschule Moritzburg.

Herr Meis, jetzt kam die gute Nachricht, dass das Jobcenter des Landkreises Meißen die Beratung aus kommunalen Mitteln weiter fördert. Die Verlängerung bis zum 31. Dezember 2022 ist gesichert. Können Sie jetzt aufatmen?

Nicht ganz, denn wir bekommen auch Co-Finanzierung vom Land. Dort haben wir vom Sozialministerium noch keine Zusage und mussten jetzt noch einmal nachhaken. Wir hoffen sehr, dass wir je eine volle Personalstelle in Großenhain und auch in Meißen weiter anbieten können.

Frau Kaleße, Sie sind die Ansprechpartnerin in Großenhain. Kommen die Menschen alle freiwillig ins KAM?

Nicht alle. Sie werden über das Jobcenter vermittelt, wenn dort eine Sucht vermutet wird und Menschen verhaltensauffällig sind. Sie kommen auch über die Jugendgerichtshilfe, wenn ein Drogentest gemacht werden soll oder eine Arbeitsstelle für Sozialstunden gebraucht wird. Außerdem sind wir Netzwerkstelle vom Jugendamt. Aber manche kommen auch aus eigenem Antrieb. Wir sind ja nicht "das Amt", sondern ein neutraler Ort. Wir sind Lotsen, die z. B. an spezielle Beratungsstellen weitervermitteln.

Es gibt viele Möglichkeiten, in eine Sucht zu schlittern, und nicht nur sozial Schwache sind davon betroffen. Herr Höfer, was genau können Sie tun?

Manchmal reicht ein einziges Gespräch, manchmal geht die Betreuung über Jahre. Bei Suchtkranken vermitteln wir in die Entgiftung bzw. qualifizierte Entwöhnung. In dieser Zeit nehmen wir den Klienten ihre Alltagsprobleme ab: den Hund oder die Katze in Betreuung geben, den Briefkasten leeren und so was. Denn viele Klienten sind alleinstehend, was oft Teil ihres Problems ist. Im zweiten Schritt ist es manchmal nötig, eine Langzeittherapie anzuschieben und vor allem dort den Kontakt zu den Menschen zu halten. Sonst sind die Rückfallquoten hoch. Ist der Klient dann wieder in seinem Alltag, braucht er eine Tagesstruktur. Wir vermitteln in Arbeitsgelegenheiten und schaffen mit unseren Netzwerkpartnern für einige sogar den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt.

Großenhains Oberbürgermeister hat neulich im Stadtrat gesagt, dass er die zunehmende Zerstörungswut an öffentlichen Einrichtungen auch auf die Corona-Beschränkungen zurückführt. Trifft diese Kausalität auch auf Ihre Klienten zu?

Die Pandemie ist tatsächlich ein Katalysator für Probleme, die eh schon bestehen. Wir haben das bereits im Frühjahr gemerkt, als wir die einzige Beratungsstelle waren, die noch offen hatte. Vielfältige Konflikte sind da aufgebrochen, wir haben als niederschwelliges Angebot viel familientherapeutische Hilfe geleistet. So erfuhren wir von Tätlichkeiten, ungewollten Schwangerschaften. Auch der Rauschmittelkonsum wurde auffälliger. Können Sie sich vorstellen, dass schon Zehn-, Zwölfjährige dealen?

Gibt es jetzt im zweiten Lockdown Unterschiede zum ersten?

Ja, insofern, als dass die zuständigen Ämter jetzt besser darauf eingestellt sind und reagieren. Die Krise hat die Netzwerkarbeit professionalisiert. So gibt es verstärkte Inobhutnahmen von Kindern, deren Eltern sich nicht angemessen um sie kümmern. Und es gibt zunehmende Obdachlosigkeit, auf die reagiert werden muss. Und wie gesagt, die Klienten werden jünger. Alkohol ist zwar immer noch die Droge Nummer eins im Landkreis. Aber die Abhängigkeit von Cannabis nimmt zu. Crystal ist auch ein großes Problem.

Als Kontakt- und Anlaufstelle haben Sie für jeden, der kommt, ein offenes Ohr. Von jetzt auf gleich wird man bei Ihnen angehört. Wie können Sie das unter den derzeitigen Ausgangsbeschränkungen garantieren?

Wir mussten unsere Öffnungszeiten einschränken: Offene Sprechzeit ist jetzt nur noch wochentäglich von 9 bis 12 Uhr. Nachmittags finden Klientengespräche mit festen Terminen statt. Telefonisch sind wir bis 18 Uhr erreichbar. Wichtig ist aber, und deshalb ist auch die Weiterfinanzierung so nötig, dass die bestehenden Kontakte zu den Klienten nicht abrupt unterbrochen werden. Das würde viel Aufgebautes wieder zerstören und gegebenenfalls auch die Beschaffungskriminalität ansteigen lassen.

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