SZ + Großenhain
Merken

Pulverfabrik-Pläne in Großenhain: "Rheinmetall war kein Ende, sondern ein Anfang"

Über vier Monate war darüber spekuliert worden, ob auf dem einstigen Militärflugplatz in Großenhain eine Pulverfabrik gebaut wird. Mit ungeahnten Folgen.

Von Catharina Karlshaus
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Großenhains Oberbürgermeister Sven Mißbach auf dem Areal des Flugplatzes. Das künftige Industriegebiet war im Frühjahr weltweit in die Schlagzeilen geraten. Geschadet habe das nicht.
Großenhains Oberbürgermeister Sven Mißbach auf dem Areal des Flugplatzes. Das künftige Industriegebiet war im Frühjahr weltweit in die Schlagzeilen geraten. Geschadet habe das nicht. © Kristin Richter

Großenhain. Dass der 27. März ein Montag gewesen ist, weiß Sven Mißbach noch ganz genau. Der Terminkalender des Großenhainer Oberbürgermeisters sei eigentlich gut gefüllt gewesen, als plötzlich hereinplatzte, was die Röderstadt in den kommenden Monaten nicht loslassen würde. Mehr noch. Die Nachricht, dass die Leipziger Volkszeitung exklusiv davon Kenntnis zu haben schien, auf der Fläche des ehemaligen Militärflugplatzes werde vermeintlich eine Pulverfabrik der Rheinmetall AG errichtet, sollte Großenhain gewaltig in die Schlagzeilen bringen.

Nicht nur über die Grenzen des sächsischen Freistaats hinaus - ihm gehört das 146 Hektar große, bebaubare Areal, - sondern die Kommune wurde in ein weltweites Netz an Spekulation, Bewertungen und Meinungsbildung katapultiert. „Das Schlimmste an der Situation war, dass wir tatsächlich nichts, absolut gar nichts wussten. Rheinmetall selbst schwieg ebenso wie die Staatskanzlei, welche wiederum auf die in derlei Angelegenheiten zuständige Bundesregierung verwies, und wir wurden von Radio- und Fernsehsendern und Zeitungsanfragen förmlich überrannt“, erinnert sich Sven Mißbach und schüttelt den Kopf.

Millionenaufwand für Sanierung der Flächen

Inzwischen kann der Verwaltungschef allerdings schon wieder darüber lachen. Dass möglicherweise lediglich eine undichte Stelle in der Informationskette für so viele Vermutungen, aber auch Befürchtungen und Verärgerung gesorgt hatte. Um die Bebauung eines geschichtsträchtigen Areals, für das die Großenhainer in den vergangenen Jahren gemeinsam mit dem Flächenmanagement des Freistaates hart gearbeitet hätten.

Immerhin: Mit einem Millionenaufwand waren kontaminierte Teilflächen des zunächst von den Nationalsozialisten und nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 1990er-Jahre von den russischen Streitkräften genutzten Geländes durch die Landesregierung saniert worden. Und nach der finalen Zustimmung des Stadtrates und der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zur Unterstützung aller Maßnahmen in der Staatskanzlei Ende vergangenen Jahres ist man sich sicher, auf dem richtigen Weg zu sein.

Keine Anschubfinanzierung durch den Bund?

Ein Weg, auf dem unerwartet ein nachhaltiges Intermezzo lang der Rüstungskonzern Rheinmetall thronte. Der fortan gesäumt worden ist von Statements, Unterschriftenaktionen, Protestkundgebungen und einem offenen Brief des Großenhainer Stadtrates gegen eine Ansiedlung.

Einer, welcher noch im Nachhinein flankiert wurde von Veröffentlichungen in der New York Times und erst Anfang Dezember wieder in der Neuen Züricher Zeitung, die ausgehend von Großenhain wortreich die Unfähigkeit Deutschlands zur sicherheitspolitischen Zeitenwende herleitete. „Doch offenkundig trug auch das Verhalten des deutschen Verteidigungsministeriums und der Firma Rheinmetall nicht gerade dazu bei, das Zutrauen der Bürger vor Ort zu gewinnen. Abgeordnete des Bundestags berichten, das Verteidigungsministerium präferiere Sachsen als Standort für die Fabrik, wolle aber weder eine Anschubfinanzierung noch Abnahmemengen garantieren. Dies wiederum sei eine Forderung von Rheinmetall gewesen, was das Unternehmen aber weder bestätigt noch dementiert“, heißt es in der Ausgabe vom 4. Dezember.

Mit Großenhain selbst habe niemand gesprochen

Woher das Geplänkel um die Ansiedlung eigentlich gekommen war und wem es letztlich nützte, im Frühjahr so unverhohlen in die Öffentlichkeit gezogen worden zu sein, blieb bisher unbeantwortet. Ende Juli beendete Rheinmetall-Chef Armin Papperger selbst das Hin und Her, indem er wissen ließ, man werde etwaige Pläne nicht weiterverfolgen. Stattdessen wolle man den bestehenden Standort im bayerischen Aschau am Inn ausbauen. Und ein Unternehmenssprecher attestierte nach mehren Anfragen von Sächsische.de schriftlich, es gab und gibt keine Verhandlungen mit Großenhain. Eine Wortwahl, die tatsächlich nichts zu wünschen übrig lässt. „Denn natürlich hat mit uns niemand gesprochen oder gar verhandelt“, gibt Sven Mißbach zu bedenken.

Die Konsequenzen aus dem Rheinmetall- Debakel hätten alle Beteiligten gezogen. Miteinander reden sei das A und O, wolle man zum Erfolg führen, was jetzt erst einmal dringend eine Anbindung an Wasser und Strom bräuchte. Das ganz große, international agierende Unternehmen habe zwar bisher noch nicht an die Rathaustür geklopft. Aber dass Großenhain in aller Munde gewesen sei, habe der Stadt vom Image her keineswegs geschadet.

Ansiedlung auch im Windschatten von Dresden

Zahlreiche Anfragen, so Wirtschaftsförderer Tom Quenstedt, seien eingegangen und allein im Dezember hätten zwei Firmen für den Standort Großenhain ihr Interesse bekundet. „Rheinmetall war keinesfalls das Ende, sondern durchaus ein Anfang für Großenhain. Es gibt keinen Grund sich wegzuducken, wir werden uns weiterhin um eine Ansiedlung bemühen, und sei es im positiven Windschatten solcher Unternehmen wie dem Taiwanesischen TSMC, der sich in der nicht weit entfernten Landeshauptstadt ansiedelt“, erklärt Sven Mißbach. Überlegenswert wäre es beispielsweise, ob sich im hiesigen Industriegebiet nicht ein bis zwei große Zulieferbetriebe ansiedeln könnten, die der Chiphersteller bräuchte.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bescheinigt dem Areal jedenfalls gute Entwicklungschancen. Wie er im Gespräch mit Sächsische.de betont, sei es eine erstklassige Fläche, auf der namhafte Firmen angesiedelt werden könnten. Gemeinsam mit der Stadt Großenhain werde der Freistaat dafür im kommenden Jahr alle Anstrengungen unternehmen.