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Helmut, der Keyboardschüler

Man ist nie zu alt für eine neue Herausforderung, beweist Helmut Thunig. Wie sich der 88-Jährige gesund tastete.

Von Henry Berndt
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Von Abba bis Amigos hat Helmut Thunig nach zehn Jahren Keyboardunterricht so ziemlich alles drauf. Christine Schoch ist stolz auf ihren Schüler.
Von Abba bis Amigos hat Helmut Thunig nach zehn Jahren Keyboardunterricht so ziemlich alles drauf. Christine Schoch ist stolz auf ihren Schüler. © René Meinig

Seine Frau war konsequent, das wusste Helmut Thunig genau. Wenn er sich jetzt nicht in einer Musikschule anmelden würde, dann würde sie ihre Drohung wahr machen und das Keyboard an einen der Enkel weitergeben. Damals stand das Instrument schon einige Jahre ungenutzt herum. „Anfangs habe ich ein bisschen vor mich hingedudelt“, sagt Thunig, „aber dann habe ich schnell die Lust verloren.“

Früher, als Kind in Schlesien, hatte er mal kurz Akkordeon gespielt. Aber heute? Lange genierte er sich und glaubte, dass man sich mit fast 80 Jahren doch nur lächerlich macht, wenn man sich in einer Musikschule erkundigt. Nach dem Motto: „Guter Mann, das lohnt sich doch nicht mehr! Gehen Sie doch lieber ins Altersheim!“ Doch jetzt nahm Helmut Thunig seinen Mut zusammen und rief bei der Klavierlehrerin Christine Schoch in Langebrück an. Zu seiner großen Überraschung war die begeistert und erzählte ihm gleich von anderen Schülerinnen und Schülerin im fortgeschrittenen Alter. Drei Tage später hatte Thunig seine erste Keyboardstunde.

Das ist nun zehn Jahre her. Inzwischen ist Thunig 88 Jahre jung, und gehört immer noch zu den motiviertesten und fleißigsten Schülern in der Musikschule Langebrück. „Am Anfang hatte ich große Angst vor der linken Hand und das hat auch lange gedauert“, sagt Thunig. Inzwischen machen beide Hände, was er will. Auch die Dutzenden Knöpfe, mit denen er den Rhythmus auswählen und das Tempo verändern kann, hat er längst im Griff. Gern wählt er auch mal ein anderes Instrument aus. Ein gezielter Knopfdruck und er spielt Panflöte, Orgel – oder Akkordeon, fast wie früher.

Weil er auch zu Hause jeden Tag zwei bis drei Stunden übt, können die beiden jede Woche ein neues Stück beginnen. Mit der Zeit ist die musikalische Auswahl immer größer geworden. Besonders gern spielt er Volkslieder, Evergreens, zum Beispiel von Abba, und Schlager. Die Amigos haben es ihm angetan. „Ihre Musik ist sehr schwer zu spielen, aber die beiden Männer imponieren mir so. Also nicht unbedingt optisch, aber sonst schon.“

Selbst mitsingen tut Thunig nie. Irgendwie ist ihm seine Singstimme über die Jahre abhandengekommen, aber das stört ihn nicht. In all den Jahren hat er kaum mal eine Keyboardstunde verpasst. „Er schaut nie auf die Uhr oder fragt sich, wie lange die Stunde noch geht“, sagt Christine Schoch. „Er genießt jede Minute.“ Deswegen ist er am frühen Freitagnachmittag auch stets pünktlich. Das hat Helmut Thunig wohl noch von früher im Blut, als er als Tierarzt in seiner Großtierpraxis arbeitete und Termine nun mal einzuhalten waren. Lange Zeit war er im Gestüt in Moritzburg angestellt. Die Tage waren vollgepackt. Ans Musikmachen war damals nicht zu denken.

Heute ist das anders. Die Stunden am Keyboard gehören für ihn zu den schönsten des Tages. Egal, ob in der Musikschule oder zu Hause. Gerade dann, wenn er sich mal einsam fühlt. Seit seine Frau vor vier Jahren starb, hat er daheim nur noch selten Zuhörer. Meist stöpselt er die Kopfhörer in die Buchse, damit er die Nachbarn nicht stört. Erst, wenn er ein Lied gut drauf hat, gibt er ihnen eine kleine Kostprobe.

Er kann sich noch gut daran erinnern, wie seine Frau so liebend gern mit hinunter in den Keller gekommen ist, wenn er gespielt hat. „Das war für sie das Allerschönste“, sagt er. 60 Jahre waren die beiden verheiratet. Zuletzt war sie schon schwer dement gewesen, doch sobald er für sie eines der alten Volkslieder angestimmt habe, sei ihr Herz aufgegangen und sie habe mitgesungen. Bis zu ihrem letzten Tag habe er für sie gespielt.

Auch Helmut Thunig selbst sagt von sich, dass ihn die Musik nicht nur jung gehalten, sondern sogar gesund gemacht habe. Bevor er mit dem Spielen anfing, seien seine Finger steif und seine Gelenke dick gewesen. Heute fliegen seine Hände geradezu über die Tasten. Schmerzen hat er keine mehr und auch im Kopf sei er klarer denn je. „Ich fahre Auto und mache alles noch selbst. Viel davon habe ich der Musik zu verdanken.“

Da gibt er gern auch etwas zurück. Als seine Keyboardlehrerin Christine Schoch nach einem Schlaganfall vor drei Jahren zeitweise halbseitig gelähmt war, machte er ihr Mut und versicherte er, dass sie schon bald wieder gemeinsam Musik machen würden. Und so kam es. Zwar fällt ihr das Laufen noch immer schwer, doch am Keyboard ist sie wieder die Alte.

Heute steht „Waterloo“ von Abba auf dem Programm. In D-Dur. Helmut Thunig zieht die Stirn kraus. Das sieht schwierig aus. Seine Lehrerin aber ist sicher: „Herr Thunig, das schaffen wir auch noch.“

Wollen Sie auch ein Instrument lernen, ganz gleich, wie jung oder alt Sie sind? Christine Schoch freut sich auf Ihre Anfrage unter 1035201 70020 oder über [email protected]