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Über Post, Zufall und Glück

Gabriele Witschaß hat beruflich viele verschiedene Bereiche durchlaufen. So war sie auch schon Bürgermeisterin.

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Auf dem Foto in dem Buch von Matthias Körner zeigt Gabriele Witschaß im Jahr 1996 als damalige Bürgermeisterin von Wiednitz einen Plan für den Schlosspark.
Auf dem Foto in dem Buch von Matthias Körner zeigt Gabriele Witschaß im Jahr 1996 als damalige Bürgermeisterin von Wiednitz einen Plan für den Schlosspark. © Foto: Angela Donath

Von Angela Donath

Bernsdorf. Offen ist der Blick von Gabriele Witschaß – wie vor 25 Jahren. An das Foto kann sie sich auch gut erinnern, denn „das war später sogar in einem Buch“. Matthias Körner hat das einst geschrieben, es trägt den Titel „Wiednitz – ein Lausitzer Dorf“. Geschichten und Geschichtchen über Wiednitz sind darin gesammelt und niedergeschrieben worden. Natürlich kam auch Gabriele Witschaß darin vor, sie war schließlich mit Mitte 20 Bürgermeisterin in Wiednitz. „Ach, und das Kleid auf dem Foto! Das fand ich schick, heute würde man den Schnitt wohl «Lagenlook» nennen. Es war weiß und schwarz kariert und mogelte Stellen weg, die man nicht zeigen wollte. Die Kette hatte mir mein Mann aus der Dominikanischen Republik mitgebracht.“

Gabriele Witschaß ist Jahrgang 1963. Aufgewachsen ist sie in Hoyerswerda, ihr Spielplatz war das Indianerdorf. Schön war das, aber es gab noch schöneres: Die Großeltern lebten in Straßgräbchen, im dortigen Forsthaus. „Dort war ich, wann immer es ging. Ich hatte eine enge Bindung zu den beiden und war in den Ferien ganz oft dort. Durch Straßgräbchen und die Nähe zu Bernsdorf war ich eigentlich im Herzen schon Bernsdorferin.“

Nicht nur Briefe austragen ...

Mit dem Herzen Kommunalpolitikerin wurde Gabriele Witschaß später – bis dahin brauchte es einige Zufälle, gute Weggefährten und das Glück der Tüchtigen. „Eigentlich wollte ich, wie viele junge Frauen damals, Kindergärtnerin werden. Einen Studienplatz gab es schon, Berlin hätte das sein sollen. Aber irgendwie wollte ich das nicht so richtig.“ Es tagte ein Familienrat. Instandhaltungsmechaniker? Die Idee wurde verworfen. Und dann kam die Sache mit der Post. „Was soll ich denn da machen? Briefe austragen?“ Als klar wurde, dass eine Arbeit bei der Post nicht nur Briefe-Austragen ist, war die Entscheidung gefallen: „Ich wurde Facharbeiterin für Betrieb und Verkehr des Post- und Fernmeldewesens“. Es wird geschmunzelt bei diesem Sprach-Ungetüm und festgestellt, dass das kleine Land DDR bei der Erfindung großer Begriffe sehr kreativ war. „Aber“, so Gabriele Witschaß, „ich hab’ bei der Post viel gemacht. Gelernt habe ich in Hoyerswerda, im schönen Postamt in der Altstadt.“ Heute weiß man, dass dort Konrad Zuse ein paar Jahre seiner Jugend verbrachte. Damals kannten nur wenige seinen Namen, und an seine Erfindungen, die auch Voraussetzung für das heutige Fernmeldewesen sind, war ebenfalls nicht zu denken.

„Ich hab viel gelernt und das hat Spaß gemacht. Ich bediente Kunden am Postschalter, verkaufte Briefmarken, nahm Pakete und Päckchen entgegen, vermittelte Telefongespräche und Telegramme.“ Diese Aufzählung von Tätigkeiten sorgt für Lachen und die Erkenntnis, dass Jüngere hier Verständnisschwierigkeiten haben könnten. Gabriele Witschaß legt noch eins drauf, als sie sagt: „Ich habe oft in Hoyerswerda in den Postämtern die Vertretungen übernommen. In jedem Wohngebiet gab es eine Post oder sogar mehrere. Es waren viele – ich kannte alle.“

Die Arbeit bei der Bauernpartei

Den Vorgesetzten blieben die Fähigkeiten der jungen Frau nicht verborgen. Bald nach Abschluss der Lehrausbildung hieß es: „Du musst studieren!“ So ging es nach Leipzig zum Studium und mit jedem Semester dem Abschluss als Techniker/Technologe für Post und Fernmeldewesen entgegen. Wieder ihr offenes Lachen: „Ich hätte nun selbstständig Reparaturen an der Technik ausführen können – also theoretisch“, räumt sie ein. Praktisch war eher die Technologie ihr Ding. Sie optimierte und vereinfachte Wege für die Zusteller, brachte zentrale Zustellanlagen auf den Weg. Gabriele Witschaß wurde Dienststellenleiterin des Leitpostamtes in Kamenz. „Das war wunderbar und hat Spaß gemacht, nur das Gehalt hätte gern höher sein dürfen. Nach der Geburt des ersten Kindes wurde es schwierig, immer pünktlich nach Kamenz zu kommen. Gleitzeit gab es nicht und verkürzte Arbeitszeiten für junge Mütter waren auch nicht üblich.“

Bei der DBD, der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands, so erfuhr sie, suchte man für Hoyerswerda Verstärkung. Sie sprach vor und bekam die Stelle. Erster Sekretär war Johann Kasper, der lebenskluge Mann und Heimatschriftsteller aus Zeißig. Ihm zur Seite stand Matthias Körner, der sich nach der Wende ganz für das Schreiben entschied und dem Wiednitz das erwähnte Heimatbuch verdankt. Philosophisches Denken im Büro und ehrlicher Umgang mit den handfesten Problemen der Bauern außerhalb – so lässt sich diese Zeit beschreiben. „Mit den Bauern konnte ich gut. Sie waren geradezu, machten keine großen Worte – mit ihnen konnte man arbeiten.“ Gabriele Witschaß hatte eine neue Berufung gefunden. 1988 kam das zweite Kind zur Welt –- und die Wende nahte. „Während der Herbstdemos waren wir mit Plakaten unterwegs. «Ohne Bauern kein Brot» stand da drauf. Wie es mit den Bauern und den Broten wirklich bestellt war, davon hatten wir noch keine Ahnung.“

Vorausschauender war da der lebenserfahrene Johann Kasper. „Du musst noch mal was Neues machen, eine Arbeit, die jetzt gebraucht wird.“ Die Bauernpartei, das ahnte er schon, würde das nicht mehr lange sein. „Willst du nicht Bürgermeisterin in Wiednitz werden? Die brauchen dort eine.“ Die noch unter DDR-Recht durchgeführten Kommunalwahlen des Jahres 1989 waren annulliert worden; die Wahlen mussten 1990 nach bundesdeutschem Recht wiederholt werden.

Bürgermeisterin? In Wiednitz? Mit 26 Jahren? „Ich wusste nicht, was man da alles tun muss. Ich wohnte außerdem in Bernsdorf. Die Bauernpartei war die stärkste Kraft im Wiednitzer Gemeinderat – ich wurde die neue Bürgermeisterin. Attraktiv war das nicht gerade. Wir verwalteten eigentlich den Rückgang: Die Brikettfabrik Heide mit dem Kraftwerk, das Waldbad, ein paar Jahre später die Schule.“ Erfolge wie die Sanierung des Jägerhofes und seine Umnutzung zur Kultur- und Sportstätte stellten sich erst viel später ein. „Da hatte uns noch Stanislaw Tillich geholfen – vor seiner Zeit als Ministerpräsident. Man konnte damals mit denen, die was zu sagen hatten, noch reden. Echt, das war so.“

Kleinen Gemeinden wurde es in dieser Zeit nicht leicht gemacht. Die Dörfer sollten möglichst rasch eingemeindet werden – das war Ziel der Politik. Auch das Amt des Bürgermeisters selbst verlor zunehmend an Bedeutung. Sie waren bald nur noch im Ehrenamt tätig. Gegen die Eingemeindung wehrte sich Wiednitz, so lange es ging; eine Verwaltungsgemeinschaft mit Bernsdorf war jedoch ab 1994 unumgänglich.

Gabriele Witschaß war nun ehrenamtliche Bürgermeisterin von Wiednitz, ihr Arbeitsort war das Rathaus in Bernsdorf. Hier leitete sie das Hauptamt. Mitunter hatte sie mit Problemen zu tun, die sie als Bürgermeistern für Wiednitz vielleicht gern anders geregelt hätte, als sie es als Hauptamtsleiterin im Sinne der Gleichbehandlung tun musste. Dieser Spagat muss ihr mehr als gut gelungen sein, die Wiednitzer vertrauten ihr. Im Jahr 2001 hätte Gabriele Witschaß ihre Doppelbelastung gern beendet. Sie kandidierte nicht mehr als Bürgermeisterin. Ein anderer Kandidat fand sich jedoch nicht. 93 Prozent der stimmberechtigten Wiednitzer schrieben auf den leeren Stimmzettel den Namen Gabriele Witschaß – sie nahm die Wahl noch einmal an.

Den Kontakt halten

Gelernt hatte sie bei der Post, Erfahrungen sammelte sie als noch sehr junge Frau bei der Bauernpartei. Durchsetzungskraft bewies sie als Bürgermeisterin und auch als Hauptamtsleiterin im Rathaus Bernsdorf. Die Frage nach dem Inhalt ihrer Arbeit beantwortet Gabriele Witschaß lachend und mit folgenden Worten: „Im Hauptamt kümmern wir uns um alles, was nichts mit Bau oder Finanzen zu tun hat. Wir bearbeiten Anträge, beispielsweise für den Personalausweis. Wir regeln die Probleme, die beim Betrieb von Schulen und Kitas anfallen, kümmern uns um Städtepartnerschaften und um Kultur und Heimatpflege. Es ist nie langweilig. Ach, und ich besuche, um einen engen Kontakt zu halten, außerdem noch jede Ortschaftsratssitzung: in Straßgräbchen, in Zeißholz, in Großgrabe – und in Wiednitz.“