„Im Bilderberg-Mythos steckt ein wenig Einbildung“
Das Bilderberg-Treffen ist bekannt für seine Geheimhaltung, die Teilnehmer sind eine Auslese der Politik- und Wirtschaftselite Europas und Nordamerikas. Der Vorsitzende verteidigt das Gesprächsformat gegen Kritik.
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Sebastian Kunigkeit
Paris. Die Bilderberg-Konferenz versammelt einmal im Jahr hohe Politiker, Wirtschaftsbosse, Akademiker und ein paar Journalisten hinter verschlossenen Türen. Bei den Treffen in wechselnder Besetzung gilt die „Chatham House Rule“: Die 130 Teilnehmer dürfen die besprochenen Informationen verwenden, aber die Redner nicht namentlich zitieren. Diesmal tagt die Runde von Donnerstag an in Dresden. Kritiker sprechen von einem „elitären Zirkel“, der demokratischen Grundprinzipien entgegenstehe. Der Vorsitzende des Lenkungsausschusses der Konferenz, Axa-Chef Henri de Castries, hält im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Paris dagegen.
Auszug aus der Teilnehmerliste der Bilderberg-Konferenz in Dresden
Die Geheimhaltung um das Treffen gibt Anlass zu viel Argwohn und Kritik. Warum sprechen Sie hinter verschlossenen Türen?
„Wenn ich die Frage umdrehen darf: Warum konzentriert man sich so auf die Geheimhaltung von Bilderberg, wenn es jeden Tag zehntausende Treffen gibt, deren Inhalt nicht öffentlich ist? Was wäre die Rechtfertigung? Es ist kein Parlament, keine operative Organisation. Es ist eine informelle Gruppe, die über verschiedene Themen spricht und die Diskussion hinter verschlossenen Türen führt, um die Gespräche zu erleichtern. Warum sollten diese Menschen nicht das gleiche Recht auf Privatsphäre haben wie jeder normale Bürger?“
Themen und Demos
An der Bilderberg-Konferenz Ende der Woche in Dresden werden rund 130 Entscheider aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Militär und Medien teilnehmen. Wie die Konferenzleitung am Dienstag mitteilte, sagten Gäste aus 20 Staaten ihr Kommen zu.
Themen der 64. Konferenz werden den Angaben zufolge unter anderem die Flüchtlingskrise und Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts sein. Vor den Präsidentschaftswahlen wollen sich die Konferenzteilnehmer auch mit der politischen und wirtschaftlichen Lage in den USA befassen. Weitere Themenschwerpunkte sind China, Russland, der Nahe Osten, Cyber-Sicherheit, Energie- und Rohstoffpreise, Prekariat und Mittelschicht sowie technologische Innovation.
Die Teilnehmer dürfen Gesprächsinhalte verwenden, aber Redner nicht namentlich zitieren. Gegner sprechen von einem „elitären Zirkel“, der demokratischen Grundprinzipien entgegenstehe.
In Dresden sind zahlreiche Gegenproteste angekündigt, darunter von der rechtsextremen NPD und linken Gruppen. Auch das islam- und fremdenfeindliche Pegida- Bündnis hat Aktionen angekündigt. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor. Die Anmeldungen im Überblick:
Thema: Protest der „Mahnwache für Frieden - Dresden“ anlässlich der Bilderberg-Konferenz 2016
Teilnehmerprognose: 10 bis 50
Wann: 11.06.2016
Wer: natürliche Person
Was: Kundgebung
Wo: Dresden Altstadt
Thema: Wer bestimmt wirklich
Teilnehmerprognose: 50 bis 100
Wann: 11.06.2016
Wer: LOVEstorm people
Was: Versammlung
Wo: Dresden Altstadt
Thema: Bilder gegen Bilderberg
Teilnehmerprognose: 1000
Wann: 11.06.2016
Wer: natürliche Person
Was: Aufzug mit Kundgebung
Wo: Dresden Altstadt
Thema: ANTI – BILDERBERGER FTS
Teilnehmerprognose: 50 bis 200
Wann: 11.06.2016
Wer: Freie Bürgerinitiative
Was: Kundgebung
Wo: Dresden Neustadt
Thema: Erstellung einer Dresdner Proklamation
Teilnehmerprognose: 400 Teilnehmer
11.06.2016
ALTERNATIVE für Deutschland Sachsen
Kundgebung
Dresden Altstadt
TTIP, Ceta
Teilnehmerprognose: 1000
Wann: 12.06.2016
Wer: natürliche Person
Was: Kundgebung
Wo: Dresden Altstadt
Thema: Wer bestimmt wirklich
Teilnehmerprognose: 50 bis 100
Wann: 12.06.2016
Wer: LOVEstorm people
Was: Versammlung
Wo: Dresden Altstadt
Thema: Bilder gegen Bilderberg
Teilnehmerprognose: 1000
Wann: 12.06.2016
Wer: Freie Bürgerinitiative
Was: Kundgebung
Wo: Dresden Neustadt
Thema: Erstellung einer Dresdner Proklamation
Teilnehmerprognose: 400 Teilnehmer
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Sie haben sehr viel mehr Einfluss als normale Bürger.
„Ich würde dieses Urteil voll und ganz verstehen, wenn bei Bilderberg Entscheidungen getroffen würden, die sich auf öffentliche Systeme auswirken. Es ist aber ausschließlich ein informeller Kreis, in dem Diskussionen zu breiten Themen geführt werden und Menschen Meinungen austauschen.
Kritiker argumentieren, dass Bilderberg einen Raum schafft, in dem ohne Kontrolle bestimmte Agenden vorangetrieben werden können.
„Erstens: Was wissen sie denn darüber? Und zweitens ist es völlig klar, dass dort keine Entscheidungen getroffen werden. Kompetente Menschen stellen ihre Meinungen vor, andere fragen nach, man stellt sich manchmal gegenseitig infrage, sodass die Teilnehmer ihre eigene Meinung bilden können - was ist schlimm daran? Damit Sie echte Diskussionen bekommen und manche Leute wirklich offen sprechen können, brauchen Sie Regeln wie die Chatham House Rule.“
Wie laufen die Gespräche konkret?
„Es ist ein großer Konferenzraum, die Gäste sitzen in alphabetischer Reihenfolge. In einem Jahr ist A vorne, im nächsten Jahr ein anderer Buchstabe. Das Format ist sehr klassisch: Es gibt ein Podium, ein Moderator stellt das Thema vor, dann können ein, zwei, manchmal drei Diskussionsteilnehmer ihre Sichtweisen vorstellen. Und dann gibt es eine offene Diskussion mit dem Saal.“
Was haben die Teilnehmer von dem Treffen?
„Das Bewusstsein von etwa 130 Menschen zu einer breiten Auswahl von Themen ist beim Rausgehen größer als beim Reingehen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, wir diskutieren seit Jahren über neue Technologien. Vor vielen Jahren war es sehr interessant für mich, dort die ersten Diskussionen um Cybersecurity zu hören. Wir versuchen, die Gäste so auszuwählen, dass wir sehr verschiedene Sichtweisen hören. Wenn man nur die üblichen Verdächtigen nimmt, bekommt man nur die üblichen Gespräche.“
Sie treffen sich in Dresden, einer politisch polarisierten Stadt. Haben Sie keine Bedenken mit Blick auf mögliche Proteste?
„Nein. Wir treffen uns jedes Jahr in einem anderen Ort. Diese Konferenzen haben manchmal Anlass zu Demonstrationen im Umfeld gegeben, aber es waren eigentlich immer friedliche Versammlungen. Und Deutschland ist bekannt für seine Organisationsfähigkeit.“
Was glauben Sie, warum es gerade um diese Konferenz so viele Vorwürfe, Fragen und auch Verschwörungstheorien gibt?
„Menschen träumen gerne und stellen sich vor, dass es irgendwo einen Orden gibt, wo einige Leute alles entscheiden. Da steckt ein wenig Einbildung in dem Mythos um Bilderberg. Es ist aber eigentlich viel simpler. Ja, es stimmt, dass viele der Teilnehmer große Verantwortung haben, wichtige Jobs, die Akademiker einen hohen Fachkenntnisstand. Daran ist doch nichts falsch. Wenn wir unsere Welt besser verstehen wollen, ist es gut, Gespräche zwischen diesen Menschen zu erleichtern. Denn sich gegenseitig zuzuhören heißt immer, sein Verständnis zu verbessern. Und manchmal helfen widersprüchliche Sichtweisen, bessere Antworten zu finden.“
Am Ursprung des Bilderberg-Treffens stand auch ein transatlantischer Gedanke - ist das heute noch relevant?
„Ja, ich denke, das ist relevanter denn je. Was haben wir gemeinsam? Vor allem zwei sehr grundlegende Werte: Die Überzeugung, dass die individuelle Freiheit wichtig ist, und dass jedes Individuum die anderen respektieren muss. Wir leben in einer Welt, in der die Dinge sich sehr schnell wandeln und wo es nicht unbedeutende Bedrohungen gibt. Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam zu verstehen versuchen, wie diese zwei Kernwerte am Leben gehalten werden können.“ (dpa)