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„In meiner Playlist läuft der Bi-Ba-Butzemann“

Am Freitag erscheint das neue Album von Silbermond. Ein Interview mit Stefanie Kloß über Demokratieverdruss, Schule schwänzen und die Jugend von heute.

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Stefanie Kloß hat den Durchblick, da können „ihre“ Männer direkt die Augen schließen.
Stefanie Kloß hat den Durchblick, da können „ihre“ Männer direkt die Augen schließen. © Jens Koch

Die Band Silbermond versteht sich auf emotionale Songs über Privates und Gesellschaftliches. Mit ihren von Gitarren getriebenen Hymnen könnten die Bautzener in die Fußstapfen von Stadionbands treten. Ihr Album „Schritte“ ist der Versuch, sich musikalisch neu zu orientieren.

Spielt das politische Geschehen eine Rolle, wenn Sie neue Songs schreiben?

Kloß: Ich beschäftige mich nicht jeden Tag mit Nachrichten und Zusammenhängen, weshalb es mir manchmal schwerfällt, mir eine Meinung zu bilden. Mir hat es sehr geholfen, mich mit Menschen darüber zu unterhalten, wie sie Dinge sehen und einordnen. Daran bin ich gewachsen. Ansonsten lassen wir uns beim Schreiben sehr vom Gefühl leiten und schauen dann, ob es beim anderen auch so ankommt.

In dem Song „Mein Osten“ werfen Sie einen kritischen Blick auf Ihre Heimatregion. Herrscht im Osten Demokratieverdruss?

Nowak: In meiner Familie ist die Demokratie total angekommen, aber ich habe Bekannte, die manchmal komische Kommentare von sich geben. Ich habe mich mit einem Physiker über den weltweiten Rechtspopulismus unterhalten. Er meinte, das habe viel mit dem Internet zu tun. Viele kommen mit der Globalisierung nicht klar. Sie lesen nur Überschriften im Netz und bekommen sofort Angst. Ich finde, Facebook hat die Verantwortung, dass die Leute auch andere Meinungen zu lesen bekommen.

Kloß: Meine Mutter hatte Tränen in den Augen, als ich ihr „Mein Osten“ vorspielte. Sie fühlte sich wirklich verstanden. Zu behaupten, die Menschen im Osten wüssten nicht, wie Demokratie funktioniert, ist zu kurz gedacht. Man muss sich einzelne Biografien anhören und nicht alles über einen Kamm scheren. Für die Ostdeutschen hat sich seit der Wende wesentlich mehr verändert als für die Menschen im Westen. Wir sind sehr dankbar für die Wiedervereinigung, aber da ist immer noch eine offene Wunde, die man pflegen muss. Vielleicht wählen manche ja aus Trotz, Frust oder Überforderung eine Partei, die sie tief im Herzen gar nicht gut finden. Vielleicht wollen sie damit ein Zeichen setzen, damit sich hier überhaupt etwas bewegt.

Im Titelsong „Schritte“ singen Sie davon, dass in Ihrer Kindheit nicht alles rosig war.

Kloß: „Schritte“ beschreibt meine Lebensgeschichte, aber der Song ist auch Sinnbild für den Circle of Life. Während der Albumproduktion kamen Kinder auf die Welt und wir haben im engsten Kreis Menschen verloren. Kurz nach der Wende hatten sich meine Eltern scheiden lassen, das war kein rosiger Moment.

In „Hand aufs Herz“ beklagen Sie sich, dass Ihr Vater Ihnen nie gesagt hat, wie stolz er auf Sie ist. Wie sind Sie damit umgegangen?

Kloß: Mein Vater ist gestorben, als ich 18 war. Er hat immer nur anderen erzählt, dass er stolz auf mich ist. Er hat es mir nie ins Gesicht gesagt. Jetzt, wo ich selber für ein Kind verantwortlich bin, frage ich mich: Was kann ich jetzt besser machen?

Wie haben Sie den Tod Ihres Vaters, den Sie in dem Song „In meiner Erinnerung“ thematisieren, verarbeitet?

Kloß: Ich dachte immer, dass ich das gut weggesteckt habe, aber dann kamen die Erinnerungen zurück. Ich hatte das nicht geplant. Während der Produktion habe ich „In meiner Erinnerung“ kein einziges Mal durchsingen können, weil meine Emotionen zu heftig waren.

Wie kam es zu dem Song „Für Amy“, eine Hommage an einen jungen Silbermond-Fan?

Kloß: Es gab tatsächlich eine Begegnung mit einem Fan, den Namen haben wir geändert. Es gibt sehr viele Amys in diesen Zeiten. Auch ich war früher eine von denen, die dachten, sie seien nur mittelmäßig. Wenn ich in Zeiten von Instagram aufgewachsen wäre, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Ich hätte dem Wettbewerb wahrscheinlich nicht standgehalten. Der Song ist ein Plädoyer dafür, sich so zu nehmen, wie man ist und daraus das Beste zu machen. Als Band rennen wir auch nicht jedem Trend hinterher.

War es in den 1990er-Jahren leichter, Teenager zu sein?

Nowak: Es war anders. Würde das Leben tatsächlich immer schwieriger werden, wäre es im Mittelalter ja total einfach gewesen. Ich glaube, viele Teenager checken, dass Instagram nicht der Heilige Gral ist. Jeder Teenie hat seine schwierige Phase. Ich habe die Schule geschwänzt, aber nicht für einen guten Zweck. Schule war für mich schwierig, ein hartes Pflaster. Ich habe sie vor dem Abi abgebrochen und somit die Mittlere Reife.

Lag es an den Lehrern?

Nowak: Es lag an meiner Konzentration. Ich werde unruhig, wenn ich zu lange in einem Raum sitze, und ich habe große Probleme mit Bürokratie. Das Schlagzeugspielen hat mich gerettet.

Kloß: Ich war Klassensprecherin, aber nicht das große, hübsche und dünne Mädchen. Ich war einfach nur clever. Ich war der Robin Hood der Klasse.

Was gab es zu erkämpfen?

Kloß: Einmal haben sich die Stundenpläne so krass überschnitten, dass ein Schüler drei Klausuren an einem Tag schreiben sollte. Da habe ich gesagt, dass das so nicht geht. Oder wenn ein oder zwei Leute von uns die Klassenfahrt nicht bezahlen konnten, habe ich dafür gesorgt, dass die anderen ein bisschen Kohle zusammenlegen. Robin Hood eben.

Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Mutter sind?

Kloß: Weniger Schlaf! Ich bin zum Glück jemand, der überall schlafen kann. Alles andere hat sich bei mir in einem normalen Maß verändert. Ich habe mit Mitte 30 noch tausendmal mehr Rock ’n’ Roll in mir als viele andere in meinem Alter. Weil wir machen dürfen, was wir wollen. Der Rest ist eine Herausforderung wie bei allen Frauen, die Kind und Beruf verbinden.

Nehmen Sie Ihren Sohn mit auf Tour?

Kloß: Manchmal kommt er mit, manchmal bleibt er bei seinem Opa. Er hat ein Spielzimmer im Bandbus, aber weil der kleine Wurm neugierig ist, bleibt er nicht an einem Platz. Nowi ist sein Erlebnisonkel.

Steht er auf Musik?

Kloß: In meiner Playlist läuft jetzt ganz oft „Bi-Ba-Butzemann“. Wenn er zu unserer Musik tanzt, werten wir das als gutes Zeichen. Er steht total auf Soundbücher mit klassischer Musik.

Das Album erscheint auch in einer auf 3.000 Exemplare limitierten Spezialausgabe für alle, die mit Ihnen am 31. Oktober 2020 in der Berliner Columbiahalle Stefanies 36. Geburtstag feiern wollen.

Nowak: Außer einem Konzertticket und einer Vinylplatte ist ein Fotobuch mit drin.

Kloß: Die Rapper veröffentlichen ihre Alben immer in einer Premiumbox. Da packen sie dann einen Hoodie, eine Mütze und einen Schlüsselanhänger mit rein. Seit Kurzem ist es rechtlich erlaubt, ein Konzertticket in so eine Box zu packen. Es nutzt sich nicht ab und läuft nicht ein, wenn man es in die Waschmaschine packt.

Das Interview führte Thomas Neumann

Silbermond live:

● 25. 1. 2020 in der Arena Leipzig,

● 1. Februar in der Mercedes Benz-Arena Berlin,

● 4. Februar in der Messehalle Erfurt 

● 22. August zu den Filmnächten am Elbufer Dresden.