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Ins kalte Wasser

Die ersten Seiteneinsteiger starteten ohne Vorbereitung in den Lehrerberuf. Für manche endete das mit einer Kündigung.

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© ronaldbonss.com

Von Andrea Schawe

Mentoren, die keine Zeit haben, überlastete Schulleiter, verständnislose Kollegen, skeptische Eltern, respektlose Schüler: So kann der Alltag eines Seiteneinsteigers an Sachsens Schulen aussehen. „Es gab keinen Crashkurs, keine Vorbereitung, nicht mal einen Zettel, auf dem stand, welche Klassen ich hatte“, sagt Igor Gazaz. Er hat als Seiteneinsteiger die Fächer Physik und Mathe an einer Dresdner Oberschule gelehrt. „Ich wusste nicht mal, wie man ein Klassenbuch führt. Das hat mir auch keiner erklärt.“

Der 39-jährige Dresdner ist Doktor der Physik, war bis 2016 auch im Wissenschaftsbetrieb beschäftigt. Nach mehreren Befristungen hatte er genug und wollte etwas anderes machen. Das Jobcenter vermittelte ihn an die Bildungsagentur. Im August war Gazaz einer von etwa 700 Quereinsteigern, die als Lehrer eingestellt wurden – mit einer Woche Vorbereitung. Die parallel zum Unterricht stattfindende Weiterbildung startete erst drei Wochen nach Schuljahresbeginn. Erst seit Januar hat das Kultusministerium eine dreimonatige Einstiegsqualifikation vor dem Unterricht eingeführt.

In seiner ersten Physikstunde in einer sechsten Klasse „standen alle Kopf“, erzählt er. An Unterricht war nicht zu denken. Gazaz ist überzeugt, dass sich das geändert hätte, auch weil er in der wöchentlichen Weiterbildung neue Methoden lernte. „Hausaufgabenhefte einsammeln zum Beispiel, das kannte ich nicht.“ Ein Problem sei auch die fehlende Unterrichtsvorbereitung gewesen, sagt er. Die Schulleitung bemängelte nach zwei Wochen, dass der Stoff im Unterricht nicht ordentlich vermittelt werde. „Wie man eine Unterrichtsstunde konzipiert, wurde mir nur grob an einem Tag in der Vorbereitungswoche erklärt.“

Fünf Monate später: Die Kündigung, keine Eignung als Lehrer, heißt es. „Warum sie so entschieden haben, weiß ich nicht“, sagt Gazaz. Bis heute hat er keine Beurteilung von der Bildungsagentur bekommen. Er hätte es gern weiter versucht. „Ich war am Anfang zu nett, da tanzen einem die Schüler auf der Nase rum.“ Igor Gazaz ist einer von insgesamt 112 Seiteneinsteigern, bei denen seit August 2015 der Vertrag aufgelöst oder gekündigt wurde. Nach Angaben des Kultusministeriums wird nicht erfasst, aus welchen Gründen Auflösungsverträge oder Kündigungen erfolgten und ob die Initiative vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber ausging.

„Die Eignung wird durch den Schulleiter beurteilt“, sagt Petra Nikolov, die Sprecherin der Bildungsagentur Dresden. Während der sechsmonatigen Probezeit werden die Neu-Lehrer beurteilt, um festzustellen, ob sich die Lehrkraft im Schuldienst bewährt. Im Unterricht sitzen dann Fachberater und Fachbereichsleiter, die überprüfen, ob der Stoff richtig vermittelt wird. In nur zwei Fällen wurden Seiteneinsteiger im aktuellen Schuljahr als „nicht für den Schuldienst geeignet“ befunden und aus diesem Grund gekündigt. Allerdings wird vonseiten der Bildungsagenturen oft versucht, sich vorher zu einigen und einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben – wie in Gazaz Fall. „Ich fühle mich ausgenutzt.“ Er bemängelt vor allem die fehlende Vorbereitung, die Betreuung und den Umgang mit den neuen Lehrern. Die Stimmung im Kollegium sei kühl gewesen, es sei klar zwischen „gestandenen und nicht gestandenen Lehrern“ differenziert worden, sagt der Physiker.

„Viele empfinden die Unterstützung vor allem durch die Bildungsagenturen als katastrophal“, sagt auch Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag. „Sie haben das Gefühl, eher lästig zu sein und nicht gebraucht zu werden.“ Auch manche Schulleitungen seien keine Hilfe, sie würden die Neu-Lehrer als Belastung empfinden.

Auch die Qualifikation ist schwierig: die Mentoren haben nicht genügend Zeit. Erfahrenen Lehrern steht eine Wochenstunde pro Fach zur Verfügung, um die Seiteneinsteiger zu betreuen. „Das ist viel zu wenig“, sagt die Landtagsabgeordnete Falken. Neben Formalitäten wie Klassenbuch führen und Noten geben, muss in dieser Zeit auch der Unterricht vor- und nachbereitet werden. Dazu kommt, dass nicht alle Seiteneinsteiger Zugang zur berufsbegleitenden Weiterbildung an den Universitäten haben – es gibt nicht genügend Studienplätze. „Alle Seiteneinsteiger müssen gleich qualifiziert werden: an der Universität, wo sie Methodik und Didaktik lernen“, fordert Falken.

Auch im kommenden Schuljahr wird der Freistaat wieder Hunderte Nicht-Pädagogen als Lehrer einstellen. „Der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf ist sehr anspruchsvoll“, sagt Manja Kelch, eine Sprecherin des Kultusministeriums. „Wir können nicht ausschließen, dass trotz aller Bemühungen und Angebote, der individuell bestehende Unterstützungsbedarf nicht immer in Gänze erfüllt werden kann.“