Merken

„Jobcenter beraten nicht gut genug“

Aber sie sind gesetzlich dazu verpflichtet, sagt Sozialanwalt Sven Sobe. Solange sie das nicht tun, macht er sich stark für sozial Benachteiligte.

Teilen
Folgen
NEU!
© Anne Hübschmann

Von Susanne Plecher

Großenhain/Dresden. Eines stellt Sven Sobe gleich zu Anfang klar: Deutschland hat ein Prozesskostenhilfesystem, das es auch den Ärmsten ermöglicht, kostenlos vor Gericht für ihre Rechte zu kämpfen und sich anwaltliche Begleitung zu holen. „Dass das im Osten von Vielen immer noch nicht wahrgenommen wird, ist ein strukturelles Problem.“ Sobe, 43, blaue Augen, Wuschelhaar, hat eine kleine Anwaltskanzlei im Dresdner Nordosten.

Das Fenster schenkt einen Blick auf kahle Bäume, die Heide ist nicht weit. Auf dem Fußboden stapeln sich Gesetzesbücher, der große Arbeitstisch ist blank gewischt. Zwei Stühle stehen dem Anwalts- platz gegenüber. Viele Menschen haben auf ihnen schon Platz genommen, erst ihre Probleme geschildert, dann ihre Unterlagen und schließlich ihre Leben ausgebreitet. „Das bleibt nicht aus, und es gehört ja auch dazu, wenn man die Mandanten verstehen will.“ Sven Sobe will verstehen. Und er will helfen. Als Rechtsanwalt kümmert er sich um Verkehrsdelikte, Fälle, die das Baurecht oder das Arbeitsrecht tangieren, er führt unter oder über 55-Jährige von der privaten zurück in die gesetzliche Krankenversicherung. Vor allem aber nimmt er sich jener an, die keine Lobby haben: Arbeitslose, Altersarme, Hartz-IV-Empfänger, Selbstständige oder Arbeitnehmer, die Sozialleistungen aufstocken müssen. Knapp die Hälfte seiner Arbeitszeit bringt er für diese Menschen auf, prüft Bescheide, schreibt Widersprüche.

Viele schlucken es

Ohne, dass sie es bemerkt hätten, hat Sobe schon so manchen Großenhainern Gutes getan, die eigentlich Hilfe bei Petra Wegner von der Sozialberatungsstelle des ASB im Alleegässchen gesucht hatten. Kommt sie im Dschungel aus Gesetzen, Bestimmungen und Regeln der zwölf Sozialgesetzbücher einmal nicht weiter, wählt sie Sobes Nummer. Er findet immer einen Weg. „Der Mann ist spitze“, sagt sie unumwunden. „Ich würde ihn für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen.“ Zweimal pro Jahr lässt er sich persönlich im Alleegässchen blicken und berät dort kostenlos Hilfesuchende.

Diese Arbeit, sagt er, müsste eigentlich von den Jobcentern und den Sozialämtern übernommen werden. „Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet, umfassend aufzuklären. Aber das wird nicht getan“, so Sobe. Warum? Vielleicht, um Budgets nicht zu überschreiten? Spekulation liegt nicht im Wesen eines Anwalts. Er sucht Fakten. Und Fakt ist, dass viele fehlerhafte Bescheide ausgestellt werden. Heizkosten- oder Mietzuschüsse werden häufig nicht richtig berechnet, das Einkommen falsch angerechnet, der Mehrbedarf zu niedrig angesetzt. Viele Antragsteller schlucken das. Setzt sich mal einer zur Wehr, kommt es meist zu einem Prozessverfahren. Die Sozialgerichte aber können vor lauter Aktenstapeln kaum noch atmen, durchschnittlich dauert ein Verfahren zwei Jahre. Sobe sieht es so: „Jeder Widerspruch, den wir im behördeninternen Widerspruch gewinnen, geht nicht vor Gericht.“ Und das hilft am Ende der ganzen Steuerzahlergemeinschaft. Schließlich kostet die Maschinerie aus Richterstellen, Räumlichkeiten, Anwälten und tatsächlichen Prozesskosten sehr viel Geld.

Bescheide sind oft falsch

Mehr als jeder zweite Widerspruch, den Petra Wegner oder Sven Sobe schreiben, hat spätestens im Klageverfahren Erfolg. Ohne Erfolgsaussicht würde Sobe nicht in die Schlacht ziehen. Er prüft sorgfältig, ob sich der Aufwand lohnt oder eine unlautere Absicht dahintersteckt. Meist lohnt es schon aus ganz anderem Grund: Psyche und Selbstwertgefühl der Hilfesuchenden leiden oft. Viele schämen sich, nicht selbst für sich aufkommen zu können, Hilfe zu benötigen, auch wenn sie ihnen gesetzlich zusteht. Und plötzlich ist da einer, der sie anhört, sich um sie kümmert, sie als Person wahrnimmt und nicht als Vorgang ablegt.

Die Dankbarkeit der Mandanten gibt Kraft. Kraft, die man braucht, denn manches Mal machen die Behörden selbst Sobe fast sprachlos. In der Woche vor Weihnachten war das so. Da saß ein junges Elternpaar mit kleinem Tiefbauunternehmen an seinem blank geputzten Tisch. Die Firma war in Schieflage geraten, das Paar hatte kaum noch Geld für Lebensmittel und brauchte dringend Hilfe. Schnell konnte Sobe beim Sozialgericht die Ansprüche auf Hartz-IV-Leistungen, die jedem rechtlich garantiert sind, feststellen lassen.

Kein Geld: Bearbeiter hatte Urlaub

Allein, das Sozialamt zahlte trotz Gerichtsbeschluss nicht. Die Sachbearbeiterin war im Urlaub. Er insistierte so lange, bis das Geld drei Tage vor dem Fest floss. Anderes Beispiel: Ein Mann Mitte 50 fiel bei der Arbeit von einem Baum und brach sich das Rückgrat. Eine Metallplatte und lange Schrauben im Rücken stellten ihn wieder her, arbeitsfähig ist er jedoch nicht mehr. Der Antrag auf Erwerbsminderungsrente wurde abgelehnt. Vier Jahre haben Sobe und er prozessiert, bis er endlich zu seinem Recht kam.

Fühlt sich das nicht manchmal an wie ein Kampf gegen Windmühlen? „Nein“, sagt Sven Sobe energisch. „Der wäre ja aussichtslos. Wir erzielen aber Erfolge.“ Kostenlose Beratungsstellen wie die vom ASB findet er deshalb sehr wichtig. Seiner Meinung nach müsste es sie flächendeckend geben. Auch von Behördenseite würde er sich einige Veränderungen wünschen. Denn das Hauptproblem, das seine Mandanten hatten, bevor sie zu ihm gingen, waren nicht die vielen Gesetze, sondern die vielen Behörden. Keiner blickt mehr durch, wer eigentlich zuständig ist, an wen man sich wenden muss, wer einem hilft. „Es müsste einen Ansprechpartner geben, der alles im Blick hat.“